Wenn Serienfans derzeit im Bahnhofskiosk ihres Vertrauens stöbern, ist ihnen vielleicht schon „torrent“ aufgefallen: ein neues Magazin für serielles Erzählen. Wir haben uns die Erstausgabe angeschaut und mit Verleger Marcus Kirzynowski über die Idee für das Heft gesprochen.
Cineasten haben ihre eigenen Fachzeitschriften, Science-Fiction-Fans, Comicfreunde, Videospieler, Technik-Nerds und Apple-Jünger ebenso. Fast jedem Hobby der Digital- und Populärkultur kann heute mit einem speziellen Magazin gefrönt werden – ob es nun „Wired“, „GameStar“, „Chip“ oder „Mac Life“ heißt. Und was ist mit Serienfans? Mit den Fernsehfreaks, die Formate wie «Breaking Bad» oder «Mad Men» vergöttern? Ihr Hobby wurde bisher im Zeitschriftenmarkt stiefmütterlich behandelt. Eigentlich unverständlich, denn in einer Fernsehzeit, in der (vor allem in den USA) immer mehr Sender und ihre Zuschauer die Liebe für gute und lange Seriengeschichten entdecken, ist der gedankliche Sprung zu einer Zeitschrift für serielles Erzählen nicht mehr allzu weit.
Dies hat sich auch Marcus Kirzynowski gedacht, studierter Journalist und Sozialwissenschaftler – aber vor allem Serien-Fan: „Ich fand es merkwürdig, weil es ja sonst zu jedem noch so ungewöhnlichen Hobby, zu jeder Musikrichtung, Sportart etc. mindestens ein oder zwei Printmagazine gibt.“ Warum aber nicht einfach im Internet über die eigenen Lieblingsserien schreiben? „Ich hätte keine Lust, ständig neue Newsmeldungen zu verfassen, sondern möchte Texte veröffentlichen, die sich etwas tiefer und ausführlicher mit Serien auseinandersetzen. Und dafür ist Print meiner Meinung nach immer noch die geeignetste Form.“ So reifte langsam die Idee zur Zeitschrift „torrent“, deren Erstausgabe seit einigen Wochen im Handel erhältlich ist und Freunden hochwertiger Serien ein gedrucktes Zuhause geben soll. Der Untertitel: „Magazin für serielles Erzählen“.
Gut 60 werbefreie Seiten bekommt der Käufer für sechs Euro und findet darin unter anderem ein ausführliches Feature über die Entwicklung britischer Serien (von «Doctor Who» bis «Sherlock») in den vergangenen Jahren. Das Cover der Erstausgabe zieren Betty und Don Draper, zwei Hauptfiguren aus «Mad Men» – dem großen Kritikerliebling in den USA, der einen großen Anteil am Erfolg des seriellen Erzählens hat und den Weg für weitere Hochglanz-Serien ebnete.
Die DVD-Veröffentlichung der dritten «Mad Men»-Staffel ist dementsprechend im Magazin ebenso Thema wie fast vergessene TV-Klassiker – beispielsweise «Space 2063» oder «Third Watch». Zum Großteil beleuchtet „torrent“ aber aktuelle Serien aus den USA, die vielleicht in Deutschland noch nicht angelaufen sind. Und zwar nur solche, die eben ihren Fokus auf das serielle, auf das komplexe Erzählen legen – auf eine „Komplexität, die diejenige von Kinofilmen meist weit hinter sich lässt“, wie es im Vorwort des Magazins heißt. Denn solche Formate erzählen über viele Staffeln – und damit über viele Jahre des eigenen Lebens – hinweg ihre Geschichten, die immer wieder aufeinander aufbauen.
Abseits ihrer Komplexität ist für solche Serien gerade das Bezeichnende, dass sie keinen weiteren gemeinsamen Nenner aufweisen. „Ich glaube nicht, dass es über die Komplexität hinaus stilistische oder inhaltliche Merkmale gibt, die alle modernen Serien gemeinsam haben. Es gibt natürlich bestimmte Erzählstile, die dann aber meist eher Serien bestimmter Sender gemeinsam haben“, so Marcus Kirzynowski. Beispielsweise seien Serien des amerikanischen Pay-TV-Programms HBO langsamer erzählt als das durchschnittliche Format des Senders Showtime. Serien von AMC, das den Quotenhit «The Walking Dead» zeigt, würden sich nochmal etwas anders entwickeln.
Von AMC kommt auch eine neue Western-Serie namens «Hell on Wheels», deren erste Folgen in „torrent“ bewertet werden. Deutsche Zuschauer haben auch noch nichts von «Homeland» gesehen, das ebenfalls ein Thema ist und als „bester Neustart der US-Seriensaison“ hoch gelobt wird. Neben einer solchen Vorschau auf kommende Serienhits bietet das Magazin auch Texte zu Formaten, die hierzulande bereits ausgestrahlt werden: beispielsweise die White-Trash-Serie «Shameless» oder das britische «Misfits». DVD-Besprechungen von Neuerscheinungen finden sich später im Heft. Verzichtbar sind hingegen die Nachrichtenseiten, da das Magazin bei Erfolg bestenfalls viermal im Jahr erscheinen wird.
Den allergrößten Teil der Artikel hat Verleger Marcus Kirzynowski selbst verfasst, der sein Magazinprojekt finanziell allein stemmt. Sein Schreibstil in den Texten ist direkt, schnörkellos, ehrlich; er passt damit einfach irgendwie zu den besprochenen Serien und kann gut besprochene Szenen visualisieren. Stilistische Höchstleistungen – wie vielleicht bei Serienbesprechungen im „Spiegel“ – fehlen, werden aber durch das Fachverständnis des Autoren (das bei eben jenen Serienbesprechungen in anderen Zeitschriften oft fehlt) mehr als ausgeglichen. Dennoch wäre der eine oder andere kommende Gastschreiber in „torrent“ wünschenswert, um stilistisch mehr Abwechslung in die Texte zu bringen.
Eine solche gibt es inhaltlich bereits durch andere Rubriken, so beispielsweise ein Porträt des Drehbuchautors Aaron Sorkin («The West Wing», «The Social Network»), kurze Rezensionen von Kino- und TV-Filmen oder auch von Print-Publikationen für Serienfans. Eine hervorragende Idee ist die Rubrik „Ausstieg“ am Ende des Heftes, die diesmal in einer Grafik aufzeigt, wie der Erfolg des Formats «Doctor Who» vernetzt ist mit vielen späteren britischen Serien. Bitte mehr davon in den nächsten Heften!
Außerdem gibt es Mitschriften von Podiumsdiskussionen wie der „Cologne Conference“, einem Film- und Fernsehfestival. Exklusive Interviews haben es leider noch nicht in das Heft geschafft – dies soll sich laut Kirzynowski vielleicht schon bald ändern: „Wir bereiten gerade ein Interview mit Dominik Graf über seine langjährige TV-Arbeit vor.“ Regisseur Graf wird aber bereits in der Erstausgabe gewürdigt: Eine von ihm gedrehte «Fahnder»-Folge stellt man in der Rubrik „Das unentdeckte Meisterwerk“ vor – dies ist einer der besten Artikel im gesamten Magazin. Weniger gelungen ist der Hintergrundbericht zu den großen britischen Serien der letzten Jahre: Zwar werden hier viele zu entdeckende UK-Perlen nacheinander vorgestellt, eine Einordnung und Zusammenfassung des „englischen Serien-Gens“, wie der Titel beschreibt, gibt es aber erst kurz gegen Ende. Negativ fällt hier auch die falsche Schreibweise deutscher Sendernamen auf.
Insgesamt sind auch eher Einzelserien das Thema, keine allgemeineren theoretischen Texte, die in einem solchen Magazin auch einen guten Platz hätten. „Es wird sicher öfter mal solche übergreifenden Artikel geben, wo es sich thematisch anbietet“, so der Verleger. Kurze Bezüge zu anderen Serien stellt man dennoch in vielen Texten her, beispielsweise bei «Homeland» zur israelischen TV-Vorlage oder bei «Shameless» zum halbstündigen Format «Californication».
Eines hat man gewiss nach der Lektüre von „torrent“: Lust auf einen langen Serienabend mit Sendungen, von denen man im Heft vielleicht zum ersten Mal gehört hat und die darauf warten, vom geneigten Serienfan entdeckt zu werden. Neueinsteiger sind nicht die erste Zielgruppe dieses Heftes, sondern eher solche Menschen, welche die Handlung der vier Staffeln von «Breaking Bad» im Schlaf nacherzählen können oder die die Größe des HBO-Hits «The Sopranos» würdigen – auch wenn dieser im deutschen Fernsehen bezeichnenderweise niemals Fuß fassen konnte. Falls es aber doch Menschen geben sollte, die nun auf den Geschmack gekommen sind, hat Marcus Kirzynowski einen einsteigerfreundlichen Serientipp auf Lager: „Da «Six Feet Under» ein heißer Kandidat für meine Lieblingsserie aller Zeiten ist, würde ich die empfehlen. Sie ist einerseits schon typisch für die ganzen modernen, komplex erzählten Serien, aber leichter zugänglich als andere. Erstens ist das Tempo nicht ganz so langsam wie bei den «Sopranos» oder «Mad Men» und zweitens kommt man durch den lakonischen Humor, insbesondere der ersten Folgen, leichter hinein.“
Eines versteht aber vielleicht selbst der große Serienfan nicht, wenn er „torrent“ erstmals im Zeitschriftenhandel sieht: Was hat es mit dem Titel auf sich? Im Vorwort wird erklärt, dass die moderne Art, Serien zu erleben, einem Strom (engl. torrent) gleicht: Ob es das Anschauen einer ganzen Staffelbox in wenigen Tagen, die fließende Art des seriellen Erzählens oder die digitale Art der Distribution (Stichwort iTunes) ist – alles sei im Strom, wie es heißt. Ein anderer Name hat für Serienfan Kirzynowski nie zur Debatte gestanden: „Ich wollte nicht so einen einfallslosen Titel wie "TV Serie", und "Fortsetzung folgt" wäre einfach zu lang und sperrig gewesen. Ich hatte mal überlegt, das Magazin "Stream" oder "Strom" zu nennen, was ungefähr das gleiche ausgesagt hätte, aber das klingt halt sehr nach einem Magazin der Stadtwerke.“
So ist es also „torrent“ geworden – ein Titel, der auf den ersten Blick nicht offenbart, was er aussagen will und damit ein kleines Geheimnis in sich birgt. Freilich ein wirklich kleines – zumindest im Gegensatz zu jenen, die liebgewonnene Figuren wie Walter White in «Breaking Bad», Hank Moody in «Californication» oder Don Draper in «Mad Men» mit sich tragen und die Faszination am modernen, seriellen Erzählen nähren. Schön, dass diese weltweite Leidenschaft für gute Serienstoffe ein ebenso leidenschaftliches deutsches Printmagazin hervorgebracht hat, das diesen audiovisuellen Meisterwerken gebührend Rechnung trägt.
Die Zeitschrift „torrent“ ist im Bahnhofsbuchhandel und unter www.torrent-magazin.de zum Preis von 6 Euro erhältlich.