360 Grad

'Cause He's as Free as a Bird Now

von
Was soll aus Sat.1 ohne Schmidt werden? Und was hat zum plötzlichen Aus geführt? Julian Miller versucht sich an Antworten.

Was soll aus Deutschland nur werden? Die Bundespräsidenten kommen und gehen, die Quoten von Entertainertitan Thommy „Ach Wurschd“ Gottschalks neuer Show ziehen auch nicht gerade in relevantem Maße an, nachdem er den Schreibtisch umgestellt und die Fenster im Humboldt-Carré zugenagelt hat, und nun hat am Mittwoch auch noch der Gott der deutschen Late-Night die Brocken hingeschmissen. Oder besser gesagt: Hat sie wohl hinschmeißen müssen. Die Angst vor der Dieter-Bohlen-Alleinherrschaft steigt. Rapide.

Gescheitert ist das Late-Night-Unterfangen letzten Endes wohl an den miserablen Quoten, die sich auch in der Zielgruppe zumeist weit unter Senderschnitt bewegten. Natürlich hat Sat.1 damit rechnen müssen – und die Verantwortlichen wären sicherlich blauäugig gewesen, wenn sie Durststrecken nicht miteinkalkuliert hätten. Die «Harald Schmidt Show» war in erster Linie ein Prestigeprojekt, um dem Sender Profil zu geben, das ihm fehlt. Denn bis auf «The Voice of Germany» sendet man kaum hochwertige Formate, sondern bestückt die Prime-Time mit mäßigen bis halbwegs ansehbaren Familienkomödien, Endloswiederholungen von Hollywood-Spielfilmen und sensationsgeilen Verbrauchermagazinen. Hochglanz in der Prime-Time gibt es bei Sat.1 mit wenigen Ausnahmen nur bei eingekaufter US-Serienware und im Sportbereich. Damit die wirtschaftliche und intellektuelle Elite für sich zu gewinnen oder bei Medienberichterstattern und -kritikern insgesamt gut wegzukommen, ist kaum möglich.

Im Sommer letzten Jahres wurde dann bekannt, dass Harry es retten sollte. Und es war spätestens in der zweiten Sendewoche offensichtlich, dass Sat.1 hier einen langen Atem beweisen müsste. Eine Late-Night im klassischen Stil, wie es sie mit Schmidt nun wieder gab, lebt nicht vom Hype um eine furiose Premierensendung, sondern von wiederkehrenden Elementen und einer langsam wachsenden aber treuen Zuschauerklientel. Die zu finden, braucht Zeit. Zeit, von der man im Privatfernsehen nicht allzu viel hat, wenn man den Erfolg an den Einschaltquoten ablesen muss. Insofern war es mutig, fast schon bewundernswert, dass Sat.1 dieses Experiment wagte und mit einer Neuauflage der «Harald Schmidt Show» Programm für eine Randzielgruppe (nämlich primär die Intellektuellen) machen wollte. Die Kritiker hatte man schnell auf seiner Seite – doch im Tagesgeschäft zählt gute Presse eben nicht so viel wie das, was man morgens an den Quotentabellen ablesen kann. Gute Rezensionen bezahlen keine Rechnungen.

All das muss man bedenken, wenn man zu einem zusammenfassenden Bild über das nun recht abrupte Aus dieses Experiments gelangen möchte. Es ist kein Geheimnis, dass man für Prestigeprojekte einen langen Atem brauch. Doch auch wenn man den täglichen Quotenhorror lange mitgemacht und am Schluss auch noch einen dritten Sendeplatz für Harry bereitgestellt hat, war es im Endeffekt vielleicht doch die Kurzatmigkeit von Sat.1, die die Show nun zu Fall brachte. Im September wirkte die Sendung in Teilen noch etwas holprig, vieles war noch „Trial and Error“, bei dem man aber rasch dazulernte. Die Figur des Butler Markus wurde immer seltener verwendet, dafür verstärkt auf Olli Dittrich und Jan Böhmermann gesetzt, die wesentlich besser in die Sendung passten als die Kunstfigur des Redaktionsleiters. Von Woche zu Woche nahm die inhaltliche Qualität des Formats zu und besonders in letzter Zeit konnte man einige Sprünge nach oben feststellen. Aber es dauert eben doch eine gewisse Zeit, bis sich das auch in den Zuschauerzahlen niederschlägt. Offenbar zu lange für Sat.1.

Es scheint mittlerweile egal zu sein, ob ein intellektuell anspruchsvolles Format beim öffentlich-rechtlichen oder beim Privatfernsehen läuft. Zumindest, wenn es sich um die Vollprogramme handelt. Denn ein Überleben war der qualitativ hochwertigen «Harald Schmidt Show» weder bei Sat.1 noch bei der ARD gegönnt, wo die Absetzung angesichts der Talkshowschwemme wohl nur eine Frage der Zeit gewesen wäre. Traurig, dass experimentelles oder nicht Mainstream-gemäßes Fernsehen fast nur noch auf Spartensendern möglich scheint. Um es mit einem sehr treffenden Tweet von Nela Panghy-Lee zu sagen: „Das Tragische ist doch, dass nicht jedes Genie das passende Format findet oder nicht jedes Format einen passenden Sender.“

Harald Schmidt ließ sich am Mittwoch nur mit einem kurzen „Schade“ zum Aus seiner Sendung zitieren. Erst um 23.30 Uhr bekam man die zahlreichen Spitzen gegen Sat.1 und das TV-Business im Allgemeinen zu sehen – und konnte sich dabei schieflachen. Schmidts Geschäftspartner Fred Kogel fand dagegen nüchterne und desillusioniertere Worte: „Die Sendungen waren gut, die Quoten waren es insgesamt noch nicht. Eine tägliche Late-Night-Show braucht entsprechende Rahmenbedingungen und vor allem Zeit. Wenn man darüber keine Einigung erzielen kann, hört man besser auf.“ Scheint so, als würde gerade nicht nur beim Ersten der Programmdirektor mit dem Dolch in der Hand hinter seinem Aushängemoderator stehen. Fest steht: Mit der «Harald Schmidt Show» hat das deutsche Fernsehen seine einzige Late-Night im klassischen (amerikanischen) Stil verloren, weil die Sendung nicht schnell genug von einer ausreichend großen Masse angenommen wurde.

Es ist wohl noch deutlich zu früh, um zu spekulieren, wie es mit Schmidts Karriere nun weitergehen wird. Aber wenn er sich beeilt, kann er ja noch vor der Beendigung des „Relaunchs“ (wann auch immer das sein wird) in Gottschalks Late-Night-Sendung am Vorabend unterkommen. Sofern «Gottschalk live» nicht innerhalb weniger Wochen dasselbe Schicksal wie das der «Harald Schmidt Show» erleiden wird, versteht sich. Die alten Haudegen der Unterhaltungsbranche scheinen auf dem Abstellgleis zu landen. Oder noch schlimmer, bei «Frag doch mal die Maus».

Bonmot am Rande: Nicht nur mit der Absetzung der «Harald Schmidt Show» sorgt Sat.1 in dieser Woche für Negativschlagzeilen. Wie Imre Grimm von der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung am Dienstagabend berichtete, plant man in Unterföhring auch eine Familienkomödie über Trisomie-21-Betroffene mit dem hübschen Titel «Die Mongolettes». Dass der Ausdruck 'mongoloid' rassistische Ursprünge hat und dass die Mongolei bereits im Jahr 1965 die WHO bat, diesen Begriff nicht mehr in dieser Form zu verwenden, stört Sat.1 offenbar wenig. „Wir hatten da keine Bedenken“, heißt es von Senderseite. „Wir wissen auch, dass das politisch unkorrekt ist, aber das Wort 'mongoloid' ist im Sprachgebrauch verankert.“ Ist es auch. Genauso wie Neger, Drecksjude oder Untermensch. Kann man sicher auch tolle Komödientitel draus basteln. Color your life. Or powered by emotion. Or something. Whatever.

Mit 360 Grad schließt sich auch nächsten Freitag wieder der Kreis.

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