Das NDR-Magazin «Zapp» wirft «Investigativ» unsaubere Arbeit vor. Reporter Wolfram Kuhnigk erklärt: Wir arbeiten zu 100 Prozent authentisch.
Der NDR wirft RTL II handwerkliche Fehler beim Reportage-Magazin «Investigativ» (läuft derzeit dienstags um 22.15 Uhr) vor. RTL II wurde in der Öffentlichkeit bisher eher mit Unterhaltung als mit Journalismus in Verbindung gebracht. Doch die Münchener arbeiten an einer Qualitätsoffensive und holten dazu auch den renommierten Journalisten Wolfram Kuhnigk (Foto) mit an Bord: Dieser berichtet im RTL II-Magazin «Investigativ» über Gesellschaftsthemen und war zuvor unter anderem schon für das RTL-Magazin «Explosiv» tätig. Das NDR-Medienmagazin «Zapp» recherchierte und will herausgefunden haben, dass nicht alle von RTL II gesendeten Fakten der Wahrheit entsprechen sollen: In der «Investigativ»-Folge über Gang-Kriminalität vom 13. März 2012 werde in einem Werbe-Vorschautrailer der O-Ton eines angeblichen Gang-Chefs so massiv gekürzt, dass die Aussage sinnentfremdet dargestellt wird, kritisiert das NDR-Magazin.
Der Protagonist erzählt im Trailer: „Wir erpressen Schutzgeld, wir bedrohen die Leute, wir terrorisieren die Bezirke und verdienen so Geld." Dann folgt ein Umschnitt. Tatsächlich wird im kompletten Ausschnitt nach der Werbung deutlich, dass dem Zuschauer der zweite Teil – und damit der gesamte Kontext – dieser Aussage zunächst verschwiegen wurde. Denn der Protagonist spricht gar nicht über sich selbst, sondern über einen anderen Kriminellen: "(…) Wie dämlich muss dieser Mensch sein, sich noch vor die Kamera hinzustellen und das zu erzählen (…)“ Zitate so sinnentfremdend zu kürzen, sei mit seriösem Journalismus nicht vereinbar – auch nicht in Teasern. RTL II äußert sich dazu laut NDR eher ausweichend: „Wir haben unsere Protagonisten aus der Gang-Szene mit offenen Interviews konfrontiert, dabei ehrliche Gespräche geführt und dies haben wir dokumentiert." Das Medienmagazin Quotenmeter.de fragte erneut bei RTL II sowie direkt beim verantwortlichen Journalisten Wolfram Kuhnigk nach: Wie authentisch ist das Format wirklich?
Reporter Kuhnigk dazu: „Unsere Arbeitsweise und Darstellung ist zu 100 Prozent authentisch. (…) Egal ob ich mit Hooligans, Gangs oder kriminellen Jugendlichen spreche, die Situationen entstehen zu 100 Prozent im Moment des Gespräches, das zeigen alle Sendungen auch deutlich.“ Dabei seien 20 Vorgespräche keine Seltenheit, bevor die eigentlichen Dreharbeiten beginnen, so der Journalist. Den fragwürdigen Trailer-Zusammenschnitt der O-Töne räumt dieser zum Teil ein, verteidigt aber die Glaubwürdigkeit des Formats: „Der Vorwurf, unser Trailer-Schnitt bei den gefährlichen Gangs sei überspitzt, sei dahingestellt, ein Trailer ändert aber nichts an der von uns recherchierten Wirklichkeit, den authentischen und realistischen Interviews mit den Gangmitgliedern sowie der Qualität und Vollständigkeit des Sendematerials.“
RTL II wird zudem vorgeworfen, dass gesendete Statistiken nicht belegbar seien. In «Investigativ» vom 13. März 2012 heißt es: „Es gibt in Deutschland etwa 250.000 Gangmitglieder. (...) Geschätzte 53 Prozent aller bundesweit registrierten Straftaten gehen auf das Konto von Gangs.“ Das Bundeskriminalamt (BKA) sowie das kriminologische Forschungsinstitut in Niedersachsen könnten die Zahlen dem NDR-Bericht zufolge nicht bestätigen. Fakt ist, dass RTL II zwar keine direkte Quelle benennt und Zahlen lediglich schätzt, dies allerdings auch direkt offen On-Air zugibt – auch wenn dem Zuschauer dabei nicht deutlich wird, welcher Experte auf welche Weise zu diesen Statistiken kommt.
Kleinkarierte Kritik eines öffentlich-rechtlichen Senders oder emotionsgeladener Boulevard-Journalismus mit wenig beleghaften Fakten? Die wöchentlichen Recherchen des NDR-Medienmagazins gelten als zuverlässig – auch wenn die Redaktion vor allem gegenüber privatwirtschaftlichen Medien stets besonders kritisch hinschaut, was in der Branche ein offenes Geheimnis ist. Dennoch war es dieselbe preisgekrönte Redaktion, die beispielsweise gut recherchierte Fakten zum unmoralischen Umgang mit «Frauentausch»-Protagonisten aufgedeckt hatte. Doku-Formate stehen seit langem in der öffentlichen Kritik und fahren trotzdem meist gute Marktanteile ein. «Investigativ» ist allerdings nachweislich kein gescriptetes Format und wird von RTL II konsequent als seriöser Journalismus verkauft.
Dementsprechend liegen die handwerklichen Maßstäbe höher. «Investigativ»-Macher Kuhnigk relativiert die Statistik-Vorwürfe: „Klar ist, dass es zwischen offiziellen Verlautbarungen und deren Zahlen und der recherchierten Wirklichkeit oft eine große Diskrepanz gibt. Das zeigte sich uns nach zahlreichen Gesprächen gerade bezogen auf das Thema der „Gangs“. Polizisten bestätigten mir in informellen Gesprächen immer wieder den stetig steigenden Einfluss von Gangs in Deutschland. Pressestellen standen für Statements jedoch nicht zur Verfügung.“ Quotenmeter.de liegt der «Investigativ»-Briefwechsel mit der Duisburger Polizei vor. Aufgrund der Vielzahl an Medienanfragen seien „aus Gründen der Gleichbehandlung“ begleitende Dreharbeiten prinzipiell nicht mehr möglich. Kuhnigk beklagt gegenüber Quotenmeter.de zudem, dass seine der NDR-Redaktion zugemailten Antworten teils nur verkürzt im «Zapp»-Beitrag wiederzufinden seien. Damit spielt dieser den „schwarzen Peter“ der vermeintlichen „verkürzten Darstellung“ einiger Statements an die NDR-Kollegen zurück: Beim Statistik-Vorwurf sei laut Kuhnigk beispielsweise nur ein Teil seiner Antwort wiedergeben worden. Doch wie kommt RTL II dann zu Statistiken, die selbst dem BKA unbekannt scheinen? Kuhnigk erklärt: „Hier haben wir die wissenschaftliche Beratung eines Soziologen in Anspruch genommen, der an einer renommierten deutschen Universität zu genau dieser Thematik forscht. Von ihm haben wir erfahren, dass immer mehr Straftaten von den organisierten Gruppen verübt werden.“ Aus Gründen des Quellenschutzes wolle er aber auch keine Beraternamen veröffentlichen.
Es erscheint überraschend, aber mittlerweile nutzt sogar die Bereitschaftspolizei in Dachau eine «Investigativ»-Folge über Hooligans als Schulungsvideo. Abschließend versichert Wolfram Kuhnigk gegenüber Quotenmeter.de: „Mir ist bewusst, dass niemand perfekt ist, aber dennoch bin ich überzeugt davon, dass wir, bezogen auf die sechs produzierten Folgen, möglichst sorgfältig und sauber gearbeitet haben.“ Bleibt abzuwarten, ob sich seriöser Journalismus tatsächlich langfristig gegen die „fun“-Mentalität durchsetzten kann. Aber Wolfram Kuhnigk scheint zu ahnen: Der NDR is watching you…