Aber wer war Rich Ross eigentlich? Ist er tatsächlich nur ein Sündenbock, oder war sein Rausschmiss unvermeidlich? Ehe sein Nachfolger bekannt wird, lohnt sich ein Blick in seine Akte:
Ein TV-Gigant ersetzt einen beliebten Film-Geschäftsführer
Rich Ross agierte zwar bloß zweieinhalb Jahre in der Rolle des Chairmans der Walt Disney Studios, jedoch umspannt seine Karriere beim Unterhaltungskonzern über fünfzehn Jahre. Seit 1996 bekleidete er unterschiedliche Positionen beim Disney Channel, anfangs im Bereich Programmplanung und Produktion, zuletzt in der geschäftsführenden Rolle des President of Disney Channels Worldwide. Während seiner Zeit bei Disneys Bezahlkanal baute Ross die Verwertungs- und Vermarktungskette dieses Geschäftsbereichs enorm aus, setzte intensiver auf eigene Marken mit Wiedererkennungswert und startete unter anderem die immens erfolgreichen Serien «Hannah Montana», «Die Zauberer vom Waverly Place» und «Phineas und Ferb» sowie die «High School Musical»-Filmreihe. Das Wirtschaftsmagazin Fast Company platzierte ihn für diese Leistungen auf Rang 5 der 100 kreativsten Geschäftsleute.
Aufgrund Ross' beeindruckender finanziellen Errungenschaften für den Disney-Konzern stand er auf der Liste der Personen, die eine Beförderung erhalten müssen, ehe sie von der Konkurrenz weggeschnappt werden, ganz oben. Als Dick Cook im Oktober 2009 vollkommen überraschend seinen Posten als Chairman der Walt Disney Studios abgab (wohl aufgrund von Unstimmigkeiten mit Iger), war Ross' große Stunde gekommen. Es bedeutete allerdings auch einen denkbar schlechtern Start: Die ersten Tage und Wochen seiner Zeit in Disneys Filmsegment musste er damit verbringen, sich bei Cooks eifrigen Anhängern (darunter Johnny Depp, Jerry Bruckheimer sowie Steven Spielberg) vorzustellen und die Wogen zu glätten.
Ross' Filme
Als Chairman eines Filmstudios gilt es unter anderem, Film- und Geschäftsideen für das Studio zu entwickeln, die daraufhin an kreativere/fähigere Leute weitergeleitet werden. So war Ross' direkter Vorgänger eine der treibenden Kräfte dahinter, dass Disney sich um die Verwirklichung eines Abenteuerfilms auf Basis der Themenparkattraktion «Pirates of the Caribbean» bemühte. Außerdem gilt es als Vorsitz eines Filmstudios, zu entscheiden, ob an einen herangetragene Projekte einen Daumen nach oben oder nach unten bekommen. Einmal entschieden, ist dieser Prozess allerdings noch nicht beendet. Abgelehnte Filme können etwa mit einem neuen Regisseur oder Drehbuchautor erneut vorgeschlagen werden, während genehmigte Filme (ob aus eigener Ideenzüchtung oder von externer Stelle aufgenommen) noch aufgrund verschiedener Faktoren wie dem Budget gestoppt werden könnten. Fertige Filme gilt es dann sicher auf dem Markt zu platzieren: Marketing, Vertrieb, strategisch kluge Starttermine und insbesondere im Falle Disneys gilt es auch die weitere Verwertungskette zu beachten.
Es dürfte sich von selbst erklären, dass sich der Stand eines Chairmans proportional damit festigt, wie gut er all diese Bereiche beherrscht beziehungsweise wie gut sein Händchen darin ist, für diese Aufgaben befähigte Köpfe zu beauftragen.
Disneys Portfolio während der Amtszeit von Rich Ross war zu einem Löwenanteil mit Filmen gefüllt, die das Mitglied der Academy of Motion Picture Arts and Sciences von Dick Cook erbte und deswegen in variierendem Umfang zu betreuen hatte. Kurz nach seinem Amtsantritt startete Robert Zemeckis 3D-Film «Eine Weihnachtsgeschichte», auf dessen Marketing Ross nur noch wenig Einfluss hatte und der weit unter den gesteckten Erwartungen lief. Größeren Einfluss hatte Ross auf die Marktpositionierung des noch unter Cook gedrehten «Alice im Wunderland». Tim Burtons Fantasystreifen durchbrach an den Kinokassen die Milliarden-Dollar-Marke, wofür Ross ein Stück der Industrieanerkennung erhielt. Doch einen geerbten Film, dessen Starttermin schon vom Vorgänger festgelegt wurde und dessen frühes Marketing ebenfalls von ihm angestoßen wurde, erfolgreich ins Kino zu bringen, kann einem Studio-Vorsitzenden nur bedingten Respekt einbringen.
Es folgten «Prince of Persia: Der Sand der Zeit» (mäßig erfolgreich) und «Duell der Magier» (gescheitert), ebenfalls Cook-Projekte, jedoch hatte Ross bereits nahezu die komplette Vermarktung zu verantworten. Was sich Ross mit «Alice im Wunderland» aufbauen konnte, war nun bereits in den Sand gesetzt. Auch «Tron: Legacy» lief unter den Erwartungen, Zemeckis zweites großes 3D-Disney-Projekt «Milo und Mars» wurde sogar zu einem der größten Flops der jüngeren Filmgeschichte. Wenige Wochen später ging auch der erste von Ross selbst mit einem „Okay!“ bedachte Film, die billig produzierte Teenie-Tragikomödie «Prom», an den Kassen baden. An Erfolgen konnte sich Ross nur «Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten» (unter Ross gedreht und vermarktet, noch von Cook genehmigt) und «Die Muppets» (dito) anrechnen lassen. Dies wurde aber schnell zu Grunde gerichtet, als «John Carter» eine totale Bruchlandung hinlegte und Disney, je nach Schätzung, 80 bis 120 Millionen Dollar Verlust einbrachte. Dick Cook gab zwar den Startschuss für diesen Film, aber Ross genehmigte das Budget, überwachte die Produktion und ließ die viel geschundene Marketing-Arbeit zu.
Darüber hinaus schickte Ross bloß sehr wenige neue Filme in Produktion. Was wiederum seine Position bei Disney noch stärker schwächte. Denn ein Filmstudio, das kaum Filme rausbringt, steht auf sehr wackeligen Beinen. Erst den etwaigen Erfolg von Sam Raimis «Oz: The Great and Powerful» hätte sich Ross ganz allein auf seine Fahnen schreiben können, aber der Film startet erst im März 2013. So viel Geduld wollte die oberste Konzernleitung offenbar nicht mehr aufbringen.
Ross' Geschäftsphilosophie
Eine der obersten Prioritäten von Rich Ross war es, dass sich Disney noch stärker auf etablierte Marken sowie die Schöpfung neuer Franchises konzentriert. Deswegen dünnte sich Disneys Produktions-Pipeline auch dermaßen aus: Das frühere Haupt des Disney Channels war der Ansicht, dass sich das Studio gar nicht weiter mit mittelgroßen Projekten abgeben müsse. Disney sei im Stande, allein auf Produktionen der Marken Pixar, Marvel und Walt Disney Animation Studios sowie gelegentlicher, bombastischer (und Franchise-tauglicher) Realfilme à la «Fluch der Karibik» zu fußen. Zu Beginn seiner Amtszeit predigte Ross noch, dass Disney sich außerdem nach sehr kostengünstigen Produktionen umschauen müsse, die das Profil erhöhen sollten und dennoch publikumstauglich seien. Ihm schwebten Dramen nach dem Vorbild von «Blind Side – Die große Chance» vor, allerdings verstummten diese Forderungen nach dem Flop von «Prom».
Zugegeben: Vollkommen absurd ist Ross' Vision nicht. Im Disney Channel tummeln sich schließlich auch zahllose Serien-Marken, außerdem ist Disney dank seiner Fernsehsender, Themenparks und Merchandising-Möglichkeiten ideal für die Ausbeutung großer Filmmarken. Die Ausführung war jedoch zu megalomanisch. Eine gefloppte Fernsehserie lässt sich zwischen den großen Geschäftsbringern Disneys einfacher verkraften, als ein Kino-Misserfolg der Größenordnung eines «John Carter». Mit einer kleinen Auswahl grundsolider Erfolge hätte sich dieser Schaden vielleicht abfangen lassen können. Doch dieses Sicherheitsnetz fehlte in Ross' Geschäftsplan, so dass Disney mit jedem Film volles Risiko eingeht.
Die Suche nach einem Nachfolger
Zu guter Letzt schien Rich Ross' Schicksal bei Disney dadurch besiegelt, dass viele seiner Geschäftspartner Probleme entwickelten, mit ihm umzugehen. Steven Spielberg, Jerry Bruckheimer, Pixars John Lasseter, Stacey Snider von DreamWorks und Marvel Entertainment CEO Ike Perlmutter sind nur einige der lautesten Gegner Ross' – was wiederum auch für seinen Nachfolger einen schweren Einstand bedeuten könnte. Dieser muss nämlich zunächst mit allerhand verprellten Egos verhandeln.
In Medien wie der NY Times oder der LA Times wird bereits laut darüber spekuliert, wem diese schwierige Aufgabe zuteil kommen könnte. Am 8. Mai steht der nächste Finanzreport Disneys aus, bis dahin sollte im Idealfall ein Ersatz für Ross gefunden sein. Sehr viele Insider sprechen sich für Kevin Feige aus, der bislang die Marvel Studios leitet. Dieser sieht sich selbst allerdings eher als Kreativperson und genießt es, zu weiten Stücken an den Inhalten der Marvel-Kinofilme beteiligt zu sein. Deshalb bestehen große Zweifel daran, ob Feige sich für eine geschäftsorientierte Stellung entscheiden würde. Ähnliches gilt für John Lasseter, der stark in die gestalterischen Prozesse der Disney-Trickstudios involviert ist und auch Berater der Themenparks ist.
Ein weiterer Name, der in dieser Nachfolgerdebatte fällt, ist der von Blockbuster-Überproduzent Jerry Bruckheimer. Außerhalb der «Pirates of the Caribbean»-Filme hatte der einstige Erfolgsgarant in den vergangenen Jahren weniger Glück, wofür manche Stimmen teilweise auch das Marketing schuldig machen. Es wäre ein Geschäftsbeschluss mit überdeutlicher Botschaft, sollte Disney-CEO Bob Iger dem Produzenten den Posten des Studio-Chairmans anbieten.
Darüber hinaus wäre das gewiss einen Eintrag in die Kino-Geschichtsbücher wert: Jerry Bruckheimer, der Mann hinter harter Action wie «Bad Boys» und «Black Hawk Down», leitet die filmischen Geschicke des Micky-Maus-Konzerns. Seien wir ehrlich: Das klingt doch nach was ...