Hingeschaut

«Günther Jauch»: Willkommen im Boulevard

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Bei Günther Jauch war am Sonntagabend Samuel Koch zu Gast. Was zunächst ein zweites «stern TV» zu werden drohte, entwickelte sich noch zu einer spannenden Diskussion.

Da es gerade im Ersten Deutschen Fernsehen jede Woche so viele vermeintliche Polittalks gibt, dass nicht mehr nur die Gäste, sondern mitunter sogar die wirklich interessanten Gesprächsthemen ausgehen, veranlasst die Programmverantwortlichen immer öfter dazu, Themen aus Alltag und Boulevard zu nutzen. An diesem Sonntag gab es dann auch bei «Günther Jauch» eine Sendung, die nicht besonders viel mit politischer Thematik zu tun hatte. Stattdessen lud man Samuel Koch ein, der über ein Jahr nach seinem schweren Unfall bei «Wetten, dass..?» über sein Leben berichten sollte. Nachdem zunächst vieles an Jauchs «stern TV»-Moderation erinnerte, entwickelte sich mit der Zeit doch immerhin noch ein interessantes Gespräch in einer Runde mit beeindruckenden Persönlichkeiten.

In der ersten Viertelstunde widmet man sich zunächst voll und ganz der inzwischen etwas leidigen Unfall-Thematik Samuel Kochs, der zunächst vornehmlich auf Fragen antworten muss, zu denen er sich bereits in vorherigen TV-Auftritten geäußert hatte. So gibt er auch weiterhin an, sich an keine Details des Unfallhergangs zu erinnern, er sieht weiterhin die Verantwortung bei sich selbst, glaubt allerdings nicht, leichtfertig gehandelt zu haben. Die sehr bedrückende Atmosphäre, das typische Frage-Antwort-Spiel zwischen Moderator und Betroffenem und die Tatsache, dass Samuel alleine mit seiner Schwester und seinem Vater in der Gesprächsrunde sitzt, erinnert in diesen Minuten doch stark an «stern TV» - vor allem, weil wenig später sogar noch ein Clip eingespielt wird, in der ein Kamerateam den jungen Mann in seinem Alltag begleiten soll. All das hat relativ wenig mit der sonstigen Ausrichtung dieser Sendung zu tun.

Doch glücklicherweise treten nach einer Weile drei weitere Gäste der Runde hinzu, dank derer im zweiten und deutlich längeren Teil der Sendung nicht nur der Fall Koch thematisiert wird. Vor allem Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, und der ehemalige MDR-Intendant Udo Reiter bringen frischen Wind in die Runde, da sie auch gesellschaftlich relevante Themen zur Sprache bringen. Schneider, der vor sieben Jahren seine Tochter in Folge einer Leukämieerkrankung verloren hat, bringt gar eine Debatte über den Gottesglauben und die Auswirkungen von schweren Schicksalsschlägen auf diesen Glauben ins Rollen. Als in den letzten Minuten der Umgang von Versicherungen und Staat mit behinderten Menschen zur Sprache kommt, erreicht der Talk sogar eine zuvor nicht unbedingt erwartete Spur von politischer Relevanz.

Geht man also nur der Frage nach, ob Günther Jauch in seiner Rolle als Talkmaster überzeugt und die Sendung vom Sonntag insgesamt unterhaltsam war, kann man das nach einigen Schwierigkeiten zu Beginn der Sendung durchaus bejahen. Auch wenn es Jauch wieder einmal schwer gefallen ist, auch eine Diskussion zwischen seinen Gästen in die Wege zu leiten, stellt er oftmals gute Fragen, wenngleich diesen nicht selten der journalistische Mehrwert abgeht. Eher etwas peinlich ist es, gleich mehrmals auf die zur Zeit in den Kinos sehr erfolgreiche französische Komödie «Ziemlich beste Freunde» anzuspielen, auch wenn dieser Vergleich nur wenig Sinn macht und man überdies versucht, Szenen aus dem Film auf das reale Leben zu übertragen. Ebenfalls nicht wirklich nötig ist es, diesen Streifen durch einen Trailer und einen Gruß des Mannes, auf dessen Leben die Story grob basiert, noch weiter in den Mittelpunkt zu stellen. Allerdings ist es der Sendung und dem Moderator auch zugute zu halten, wenn trotz allem das Niveau des Gesprächs nicht völlig abflacht und zumindest ein paar Minuten für wirklich spannende Themen wie die Rolle von Behinderten in der Gesellschaft oder den Umgang mit einem unerwarteten Schicksalsschlag genutzt werden - außer natürlich man thematisiert es völlig überdramatisiert wie bei einigen Privatsendern.

Insgesamt jedoch bleibt anzuzweifeln, ob sich mit «Günther Jauch» auch der meistgesehene Polittalk im deutschen Fernsehen immer boulevardeskeren Themen öffnen sollte. Gewiss besitzt der Fall Samuel Koch eine hohe gesellschaftliche Relevanz, jedoch gibt es ausreichend Formate, in denen diese Thematik weitaus besser aufgehoben wäre als hier (unter anderem das bereits erwähnte «stern TV»). Gerade an einem Tag, wo die Präsidentschaftswahl in Frankreich die Schlagzeilen beherrscht, weil Nicolas Sarkozy seinem sozialistischen Kontrahenten unterliegt und die nationalistische Kandidatin Marine Le Pen Rekordwerte erzielt und darüber hinaus zwei wichtige Landtagswahlen unmittelbar bevorstehen, sollte man eigentlich als politisch interessierter Bürger erwarten können, dass beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen politische Relevanz vorgeht. Mit der Sendung vom Sonntag jedoch geht man einen weiteren Schritt in Richtung Boulevard.

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