Wes Andersons neuer Film kann trotz gewohnter Zutaten und Starbesetzung nicht vollständig überzeugen.
Selbst unter den bekanntesten und erfolgreichsten Hollywood-Regisseuren können längst nicht alle von sich behaupten, eine eindeutig wiedererkennbare Handschrift bei der Ausübung ihres Berufs an den Tag legen zu können. Wes Anderson gehört jedoch keineswegs zu jener Gattung Regisseur, die keinen Wert auf einen eigenen Stil legt oder sich mitunter auch bewusst einer werkübergreifenden Machart verweigert. Man muss kein absoluter Filmnerd sein, um beim direkten Vergleich von Produktionen wie «Die Royal Tenenbaums» (2001) oder «Die Tiefseetaucher» (2004) inszenatorische Gemeinsamkeiten feststellen zu können. Selbst Andersons letzte Regiearbeit, der auf einer Kurzgeschichte von Roald Dahl basierende Stop-Motion-Animationsfilm «Der fantastische Mr. Fox» (2009), konnte seine Realisierung durch den kreativen US-Amerikaner nicht leugnen.
Sein Markenzeichen ist dabei stets eine verspielte Skurrilität, die sich auf fast schon einzigartige Weise durch viele Bereiche seiner Filme, vom trockenen Humor über die Figuren und Dialoge bis hin zur außergewöhnlichen Bildsprache, zieht. Alles gepaart mit einer gewissen Melancholie. Auch sein neuestes Werk, das den wohlklingenden Titel «Moonrise Kingdom» trägt und seinen ersten Realfilm seit fünf Jahren darstellt, bildet da keine Ausnahme. Leider kann die tragikomische Liebesgeschichte dennoch nicht ganz an die Klasse der großen Werke Andersons anknüpfen.
Schauplatz des Films ist eine kleine Insel vor der Küste Neuenglands während der 60er Jahre, auf der sich die Ereignisse nach dem Ausreißen zweier Kinder überschlagen. Während der Waisenjunge Sam (Jared Gilman) aufgrund mangelnder gegenseitiger Sympathie im Umgang mit anderen Jungen genug vom Leben im lokalen Pfadfindercamp hat, möchte die eigenwillige Suzy (Kara Hayward) ihrer anstrengenden Familie, von der sie sich missverstanden fühlt, entfliehen. Das gleichzeitige Verschwinden der beiden 12-Jährigen ist dabei jedoch kein Zufall. So pflegen Sam und Suzy schon seit einem Jahr eine Brieffreundschaft und planen nun, in der Wildnis gemeinsam im Liebesglück zu schwelgen. Doch sowohl der Sheriff des Eilands (Bruce Willis) als auch der Leiter des Pfadfindercamps (Edward Norton) sowie Suzys Eltern (Bill Murray, Frances McDormand) setzen alles daran, die Kinder aufzuspüren und nach Hause zurückzubringen.
Schon der Beginn von «Moonrise Kingdom» trägt dabei unverkennbar den Stempel Wes Andersons. Unter fast gänzlichem Verzicht auf Schnitte erkundet die Kamera mit in regelmäßigen Abständen eingesetzten Fahrten und gelegentlichen Schwenks auf ganz eigene sowie äußerst elegante und unaufdringliche Art und Weise das Haus von Suzys Familie, mitsamt den einzelnen Familienmitgliedern. Ganz ähnlich geht sie wenig später auch bei der Vorstellung des Pfadfindercamps vor, in dem der bei Pflegeeltern lebende Sam seinen Sommer verbringt. Ohne Schnitt oder eine Überblick verschaffende Totale der Szenerie fährt sie einzelne Stationen innerhalb des Lagers ab. Bezugspunkt hierbei ist der das Pfadfindertum sehr ernst nehmende, jedoch angesichts des Verschwindens eines „seiner“ Kinder zunehmend überforderte Lagerleiter Randy Ward, der vom sichtlich in seiner Nebenrolle aufgehenden Edward Norton («American History X», «Fight Club») herrlich überzogen verkörpert wird.
Dieser rundum gelungene Einstieg, bei dem auch dem provinziellen Leben auf der kleinen Insel eine sehr einnehmende Atmosphäre verliehen wird, findet seinen Höhepunkt in der originellen Zusammenführung der Handlungsstränge der beiden, heimlich ineinander verliebten Kinder. Insbesondere der etwas später als Rückblick präsentierte Briefwechsel der beiden Protagonisten ist ein charmanter filmischer Leckerbissen. Doch bleiben diese Szenen auch schon mit die größten Highlights innerhalb der Haupthandlung des Films. Diese geht nach der ersten Viertelstunde für die restliche Laufzeit nämlich eher schleppend voran, weiß Sams und Suzys nun spätestens im Mittelpunkt stehende Liebesgeschichte trotz eines vielversprechenden Starts und der durchaus sehenswerten Bemühungen der beiden Schauspieldebütanten Jared Gilman und Kara Haywerd nur leidlich zu fesseln. Mag es nun der Fokus auf Kinder als Protagonisten oder ein weniger naheliegender Grund sein, die Anderson sonst so locker von der Hand gehenden skurrilen Momente wirken im Zusammenspiel von Sam und Suzy bisweilen recht gezwungen und aufgesetzt, mitunter gar deplatziert.
Dass Anderson sein Handwerk allerdings keineswegs verlernt hat, sieht man dafür an dem immer wieder eingestreuten Einblick in die Suchbemühungen der für die Kinder verantwortlichen Erwachsenen. Die von den großartig besetzten prominenten Stars getragenen Szenen gehören zweifellos zu den im weiteren Verlauf des Films leider zu rar gesäten Lichtblicken. Vor allem der bereits erwähnte Edward Norton sowie ein ergrauter Bruce Willis («Stirb langsam», «Sin City») wissen vollends zu überzeugen. Letzterer changiert in seiner für einen Wes-Anderson-Film sehr typischen Rolle äußerst gekonnt zwischen subtil-witziger Naivität und tieftrauriger, wenn auch meist nur angedeuteter Melancholie. Es sind solche Figuren und die von ihnen mit Leben und eigensinnigem Charme gefüllten Szenen, die einen Großteil des Reizes von Wes Andersons Œuvre ausmachen.
Doch bleiben die von ihnen geprägten Momente in «Moonrise Kingdom» meist nur noch Nebenschauplätze, weshalb sich der wesentliche Teil des Films aus Ermangelung an weiteren Höhepunkten und erinnerungswürdigen Momenten, wie sie beispielsweise Andersons großartige Werke «Die Royal Tenenbaums» und «Die Tiefseetaucher» zuhauf boten, allzu sehr in die Länge zieht. Auch das turbulente Finale kann dies nicht mehr wettmachen, schießt es hier und da gar etwas über das Ziel hinaus, sodass das Geschehen mitunter nicht mehr liebenswert-skurril, sondern schon ein wenig albern daherkommt.
«Moonrise Kingdom» ist dabei trotz allem keinesfalls ein schlechter Film. Angesichts der gelungenen Exposition und der vorangegangenen Arbeiten Wes Andersons lässt sich das Gefühl allerdings nur schwer abschütteln, dass auch hier mehr drin gewesen wäre. Zwar kann vor allem die Bildsprache wie gewohnt durchweg Auge und Geist erfreuen, beim Haupthandlungsstrang will der Funke jedoch nicht so recht überspringen. Die in ihren skurrilen Nebenrollen überaus unterhaltsam aufspielenden prominenten Darsteller wissen für die größtenteils langatmige Liebesgeschichte aber zumindest ein wenig zu entschädigen. Skeptiker seines Schaffens wird Wes Anderson mit seinem neuesten Werk jedoch nicht überzeugen können. Vielmehr dürfte «Moonrise Kingdom» sie in ihren Ansichten noch bestärken. Anhänger seiner bisherigen Filme könnten bei nicht allzu hohen Erwartungen hingegen einen Blick wagen.
«Moonrise Kingdom» ist ab dem 24. Mai in vielen deutschen Kinos zu sehen.