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Der erste Teil seiner Reportage besteht daraus, Ausschnitte aus dem Arbeitsleben verschiedener Zusteller zu zeigen. Diese müssen für einen Hungerlohn von weniger als vier Euro stündlich nicht selten an einem Tag mehr als eine Tonne an Paketen schleppen, werden im Pausenraum rechtswidrig videoüberwacht und haben sich an einen zweiseitigen Strafenkatalog zu halten, der für etliche Kleinigkeiten hohe Bußgelder vorsieht. Nicht selten müssen die Arbeitskräfte mehr als 14 Stunden täglich schuften - und in einem von Wallraff als "Märchenbuch" bezeichneten Protokoll für die Behörden Pausen eintragen, in denen sie in Wahrheit gearbeitet haben.
Was diese Schilderungen immer wieder positiv gegenüber vielen anderen Reportagen abhebt, sind die zahlreichen Betroffenen, die über viele Arbeitstage hinweg von Wallraff begleitet werden. Da diese den Journalisten nicht als ebensolchen, sondern viel mehr als Kollegen ansehen, vermittelt man den Zuschauern ein Gefühl von Authentizität und Nähe, das nur selten so gut umgesetzt wird wie hier. Durch die eine oder andere Grafik, Ausschnitte von Verträgen und zahlreichen Schilderungen von Wallraff selbst als Off-Sprecher kommt dabei allerdings trotzdem niemals das Gefühl auf, man befinde sich lediglich in einem reinen Erlebnisbericht.
Einen ganz kurzen Moment gibt es jedoch, der den Dokusoap-geschädigten Konsumenten empfindlich aufschrecken lässt. Als nämlich der ehemalige GLS-Mitarbeiter Sascha Mex von seinen vier Arbeitsmonaten berichtet, die den Familienvater an die äußerste Belastungsgrenze gebracht haben und sogar fast die Scheidung von seiner Frau bedeutet hätte, ist im Hintergrund tragische Musik zu hören. Aber keine Angst: Anders als bei den sich an menschlichen Schicksalen ergötzenden RTL-Formaten verstummt diese Musik bereits nach wenigen Sekunden wieder, es ist keine Empathie heuchelnde Stimme im Hintergrund zu vernehmen und auch Zeitlupen zur Überdramatisierung spart man sich hier glücklicherweise.
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Einen höheren Mehrwert bietet dagegen der zweite Teil der Sendung, in dem auf die vom Unternehmen beauftragten Subunternehmer eingegangen wird. Denn diese sind direkt für das Wohlergehen der Fahrer zuständig, nicht die GLS an sich. Diese sind jedoch oftmals ehemalige Fahrer, die sich in der Hoffnung auf bessere Lebensstandards und Verdienste freiwillig für diesen Posten bereiterklärt haben und stehen in enger Abhängigkeit zum großen Transportunternehmen. Hier zeigt Wallraff endlich neue Aspekte, die dem Zuschauer erheblich dabei helfen, den Mechanismus derartiger Lieferdienste zu begreifen. Darüber hinaus sind die hier eindrücklich geschilderten Sachverhalte großen Bevölkerungsteilen mit Sicherheit noch nicht vertraut, man geht also mit zum Teil neuen Erkenntnissen aus der Sendung heraus.
Insgesamt ist «Günter Wallraff deckt auf» nicht der große Skandal, den sich nach dem langen Geheimhalten des Inhalts sicher einige davon versprochen hatten. Zwar zeigt der Journalist auch hier wieder eindrucksvoll die Perversion eines Dienstleisters auf, der sich nur im Werbefilm als freundliches Unternehmen darstellt. Jedoch sind leider einfach zu viele Inhalte zu bekannt, um für wirkliche bundesweite Aufruhr zu sorgen. Auf der anderen Seite setzt sich Günter Wallraff mit dieser Thematik auch weitaus weniger der Gefahr aus, selbst ins Kreuzfeuer der medialen Kritik zu gelangen als beim letzten Mal. Für das RTL-Programm ist diese Reportage natürlich dennoch ein großer Gewinn gegenüber der sonst vorherrschenden Banalität und Inhaltsleere. Und gut strukturiert, erzählt und erklärt sind die geschilderten Sachverhalte auch ohne Frage.