360 Grad

It Was Unusual

von
Günter Wallraffs neue Reportage lief bei RTL. Warum man dem Sender ein derartiges Format gar nicht mehr zutraut. Ein Kommentar.

RTL hat seinen Ruf weg: Am Nachmittag sendet man mit «Mitten im Leben» und «Familien im Brennpunkt» Formate, die sich qualitativ auf niedrigstem Niveau bewegen und die so vor zehn Jahren wohl noch undenkbar gewesen wären. In der Prime-Time setzt man mit Formaten wie «Deutschland sucht den Superstar» auf ein Menschenbild, das so wohl kaum jemand unterstützen kann, während man mit «Bauer sucht Frau» und «Schwiegertochter gesucht» die niedersten Zuschauerinstinkte zu befriedigen versucht. Was dann noch übrig bleibt? Ein wenig Comedy, bei der man allerdings oft nur schwerlich lachen kann, US-Serien, boulevardeske Drittanbieterformate und mittelmäßige bis ansehbare, in seltenen Fällen aber auch gute deutsche Serien. Und «Wer wird Millionär?».

War der Begriff „Unterschichtenfernsehen“ vor etwa zehn Jahren noch die düstere polemische Vision eines Late-Night-Talkers, hat sie heute Deutschlands erfolgreichster Privatsender zur Realität gemacht. Das Beste von dem, was man dort sendet, ist noch der belanglose Eskapismus, das vielleicht gut gemachte, aber wenig anspruchsvolle Format. Der Großteil des Programmumfelds besteht aus ausgetrocknetem Ödland, das aber Quoten holt.

Der vergangene Mittwoch war, unter diesen Gesichtspunkten betrachtet, ein ungewöhnlicher Sendetag. Denn um 21.15 Uhr strahlte man die neue Reportage des so berühmten wie berüchtigten Undercover-Journalisten Günter Wallraff aus, der diesmal im Umfeld dubioser Paketzustelldienstleister unterwegs war und auf erschreckende Zustände gestoßen ist. Das genaue Thema der Dokumentation war im Vorfeld nicht angekündigt worden, wahrscheinlich nicht nur, um noch ein wenig billige Publicity mitzunehmen, sondern auch, damit das unter die Lupe genommene Unternehmen GLS die Ausstrahlung nicht noch durch eine einstweilige Verfügung hätte unterbinden können.

Relevanz bei RTL? Das ist angesichts des derzeitigen Programmumfelds überraschend: Günter Wallraff und Fredy, der Fickfrosch – endlich vereint. Sicherlich wäre es auch interessant, ersteren einmal zum «Supertalent»-Casting zu schicken. Oder vielleicht möchte er sich von Tine Wittler auch einmal die Wände streichen und eine neue Küche einrichten lassen. Seine Berichte hierüber würde man sicher mit großem Interesse verfolgen.

Aber all die (billige) Ironie einmal beiseite: Denn Wallraffs neue Reportage konnte, nachdem er mit seinem letzten Bericht «Schwarz auf Weiß» wegen seiner durch nichts zu rechtfertigenden Blackface-Taktik auf berechtigte Kritik gestoßen war, qualitativ überzeugen und wies nur wenige Mängel auf. Die im Anschluss bei «sternTV» stattfindenden Diskussion konnte ebenfalls aufgrund ihrer nüchternen Führung und der stimmigen Gesprächsleitung durch Steffen Hallaschka gefallen. Etwas, das man bei RTL nicht häufig sieht. Ein Einzelfall? Oder vielleicht das sehnlich erwartete Licht am Ende des Tunnels?

Mit 360 Grad schließt sich auch nächsten Freitag wieder der Kreis.

Kurz-URL: qmde.de/57021
Teile ich auf...
Kontakt
vorheriger ArtikelNach «John Carter»-Flop: Alan Horn übernimmt Disney Studiosnächster ArtikelDegeto-Geschäftsführerin übernimmt BR-Fernsehdirektion

Optionen

Drucken Merken Leserbrief



Heute für Sie im Dienst: Fabian Riedner Mario Thunert

E-Mail:

Quotenletter   Mo-Fr, 10 Uhr

Abendausgabe   Mo-Fr, 16 Uhr

Datenschutz-Info

Letzte Meldungen

Werbung

Mehr aus diesem Ressort


Jobs » Vollzeit, Teilzeit, Praktika


Surftipp


Surftipps


Werbung