Die Kritiker

«Ein deutscher Boxer»

von
Grimme-Preisträger Eric Friedler porträtiert Charly Graf, den ehemaligen Zuhälter, der sich während seiner Haftzeit den Meistertitel erboxte.

Der mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Dokumentarfilmer Eric Friedler («Aghet – Ein Völkermord») nimmt sich in diesem Porträt dem ehemaligen Profiboxer Charly Graf an. 1951 als unehelicher Sohn einer ungelernten Arbeiterin und eines schwarzen US-Soldaten geboren, wächst Graf in den so genannten Mannheimeimer Benz-Baracken auf. Mit 17 Jahren beginnt er eine Boxkarriere. Zunächst auch von seinen Trainern aufgrund seiner Hautfarbe für beschränkt gehalten, erfährt Graf dank schnellen k.o.-Siegen erstmals Akzeptanz von außerhalb. Die Medien feiern ihn als „jungen Cassius Clay“ oder als „Ali vom Waldhof“, doch dann verliert der Jungspund mangels ausreichender Kondition einen Kampf gegen den jugoslawischen Profi Yvan Prebeg, welcher wenige Monate zuvor noch amtierender Europameister im Halbschwergewicht war.

Von dieser Niederlage aus seiner einzigen Erfolgsgeschichte gerissen, sucht Graf Bestätigung im Mannheimer Rotlichtmilieu, wo er mit dem organisierten Verbrechen in Berührung kommt. Er macht sich des illegalen Glücksspiels, der Zuhälterei und Rohheitsdelikten schuldig, weshalb er mehrfach ins Gefängnis wandert – zusammengerechnet verbringt Graf zehn Jahre seines Lebens hinter Gittern. Als ihm während der Haft untersagt wird, seine schwerkranke Mutter zu besuchen, zettelt er eine Gefängnismeuterei an, so dass er in die JVA Stammheim verlegt wird. Die Gefängnisleitung legt ihn dort mit dem ehemaligen RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock zusammen, rückblickend schwören Boock und Graf, dass sich die Leitung wohl erhoffte, dass sich der der Boxer und Boock gegenseitig an die Gurgel gehen. Ärger war tatsächlich vorprogrammiert, war Graf doch wenig belesen, während sich Boock selbst als Intellektuellen sah, der zudem die Ausbeutung von Frauen als die größte aller möglichen Gräueltaten betrachtet. Wie durch ein Wunder bleibt die nonverbale Konfrontation zwischen den beiden Gefängnisgenossen jedoch aus, und es entwickelt sich eine ungewöhnliche Freundschaft. Der einstige RAF-Aktivist begeistert Graf für hohe Literatur und überzeugt ihn, dass nicht-sportliche Gewalt eben nicht männlich, sondern schlichtweg idiotisch ist. Er muntert ihn auch auf, sich wieder als Boxer zu versuchen, was schlussendlich zu einer Ausnahmegeschichte des deutschen Profisports führt: Während seiner Inhaftierung nimmt Graf an offiziellen Wettkämpfen teil und erkämpft sich den deutschen Meistertitel.

Allerdings wird ihm wenige Monate später auch dieser Triumph genommen, als ihm unter dubiosen Umständen der Titel aberkannt wird. Ein weiterer Grund, weswegen Graf selbst sein Leben als ständigen Kampf beschreibt, gegen sich selbst, Intoleranz und unverständliche Entscheidungen.

Friedlers auf effekthascherische Dramatisierungen verzichtendes Porträt zeigt zwar auch Grafs außergewöhnliche Biografie auf, stützt aber vor allem auf Grafs Selbstreflexionen. In einfühlenden, ungeschnittenen Interviewpassagen denkt er über den Rassismus nach, den er in seiner Jugend erfuhr, erklärt, dass seine Aggressivität lange aus Selbsthass wuchs und demontiert den Begriff der Resozialisierung. Seiner Ansicht nach konnten ihn seine Gefängnisaufenthalte nicht resozialisieren, da sein damaliges Ich unwissentlich von Egoismus getrieben gewesen sei und seine Sozialisierung noch bevorstand.

Das Porträt lässt auch Peter-Jürgen Boock ausführlich zu Wort kommen, der diesem Film nachdenkliche und pointierte Anekdoten aus der gemeinsamen Haftzeit beisteuert. Weitere Zeitzeugen sind unter anderem Liedermacher Konstantin Wecker, Box-Manager Jean Marcel Nartz, Box-Promoter Ebby Thust und Boxstallgründer Wilfried Sauerland, deren Aussagen jedoch als schmückendes Beiwerk dienen. «Ein deutscher Boxer» ist hauptsächlich als Introspektive Grafs angelegt, was bei dieser Persönlichkeit auch zweifelsohne der interessantere, da ergiebigere Ansatz ist. Durch Friedlers primär thematische Aneinanderreihung von Interviewaussagen und historischem Filmmaterial verliert der Zuschauer jedoch zwischenzeitlich leicht den chronologischen Überblick. Deswegen kann es jenen, die sich mit Charly Graf zuvor nicht beschäftigten, mitunter schwer fallen, das Erzählte korrekt einzuordnen. Dennoch überzeugt «Ein deutscher Boxer» als ebenso berührendes, wie nachdenkliches Porträt einer faszinierenden Persönlichkeit.

Das Erste zeigt «Ein deutscher Boxer» am Dienstag, den 12. Juni, ab 23.45 Uhr.

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