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Wesentlich mehr Mut für Neues bewies auch diesmal wieder das Zweite Deutsche Fernsehen, das bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land mit Johannes B. Kerner, Urs Meier und Jürgen Klopp bereits für unvergessene Momente sorgte. Damals sendete man live vor Hunderten von Zuschauern aus Berlin und entstaubte die öffentlich-rechtlichen Sendegewohnheiten gehörig. Doch dies ist nun immerhin sechs Jahre her. Heute sendet man von einer Seebühne in Heringsdorf auf Usedom mit einer großen LED-Videowand im Hintergrund. Auf besagter Seebühne stehen Katrin Müller-Hohenstein und Oliver Kahn, welche die Spiele vor einigen Zuschauern - mehrheitlich Rentnern - kommentieren, die gemütlich in ihren Liegestühlen Platz genommen haben. Doch obgleich dies gerade bei gutem Wetter zu einem wirklich sehenswerten Panorama führt und man dem Konzept die ihm obliegenden Kosten und Mühen ansieht, kommt die erhoffte Fußballstimmung leider kaum auf - es sei denn, man gibt sich bereits mit gelegentlichem Getröte und "Oli, Oli"-Rufen zufrieden.
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Doch eine der größten Peinlichkeiten hatte ausnahmsweise einmal nichts mit Technikproblemen oder der fehlenden Stimmung auf Usedom zu tun, sondern mit dem einmal mehr gescheiterten Plan, krampfhaft das Internet in Fernsehübertragungen zu integrieren. So zwang man den sichtlich desinteressierten Oliver Kahn im Rahmen des täglichen Einfangens der "Stimmung in der Netzgemeinde" dazu, einen Twitter-Account anzulegen und anschließend einen Tweet in die große Welt des Worldwide Webs zu schicken. Unfreiwillig komisch wurde es jedoch, als die so genannte Online-Expertin auf den im Internet bereits hinlänglich bekannten Fake-Account von Harald Schmidt hereinfiel und darüber hinaus auch noch andere Twitter-Funktionen völlig falsch erklärte. Da dies auch noch ausgerechnet nach dem Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Holland geschah, war der Spott der Online-Gemeinde riesig.
Während die Vorberichterstattung mit zum Teil fast zwei Stunden viel zu lang ausfiel und mit zahlreichen Nebensächlichkeiten gefüllt werden musste, hatte das ZDF in der Halbzeitpause offenbar nur ein sehr enges Zeitfenster zur Verfügung, denn neben der Werbeunterbrechung und den «heute»-Nachrichten blieb nicht selten kaum Zeit, um auf das Spielgeschehen einzugehen. Teilweise wurde Oliver Kahn sogar nach nur einem einzigen Satz zum Spiel bereits wieder unterbrochen. Nach dem Spiel blieb Hohenstein und Kahn zumeist eine gute halbe Stunde Zeit, bevor man sein Publikum verabschiedete. An den ersten Tagen konnten danach einige Fußball-Reportagen inhaltlich überzeugen, nach dem Spiel gegen die Niederlande setzte man auf «Markus Lanz». Enttäuschend war jedoch, dass man wohl aus Ermangelung besserer Alternativen am vergangenen Samstag und Montag sogar Spielfilme ab 23:15 Uhr ausstrahlte, anstatt Teile des Millionenpublikums mit Fußballthematiken weiter bei der Stange zu halten.
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Davon abgesehen setzt die ARD-Berichterstattung vor allem auf das bewährte Konzept der vergangenen Jahre: Aus einem kleinen Studio im jeweiligen Stadion begrüßen die Moderatoren und Experten die Zuschauer, bei den Abendspielen war es meist das Team Reinhold Beckmann und Mehmet Scholl. Letzterer machte Schlagzeilen mit seiner harschen Kritik an Mario Gomez, doch ansonsten gab es nur wenige kritische Stimmen zur Berichterstattung des Senders. Denn sie mag altbacken sein, doch auch frei von großen Aussetzern und Peinlichkeiten. Beckmann und Scholl ergänzen sich nicht signifikant besser oder schlechter als Hohenstein und Kahn, für die etwas lebhafteren Momente sorgen die Abende, in denen Matthias Opdenhövel mit dem ehemaligen Bayernspieler das Geschehen der Begegnungen kommentierte.