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Sheen verdeutlicht seinem Publikum in dieser ersten Szene gleichzeitig, dass es genau den Charakter erwarten darf, welchen es bereits kennt: Schon in seiner Paraderolle als Charlie Harper bei «Half Men» spielte er die Version seines eigenen Ich in angepasster, überspitzter TV-Form – Sexbesessenheit, viel Alkohol und eine simple Weltsicht inklusive. Im neuen «Anger Management», wo Sheen einen Anti-Aggressionstherapeuten verkörpert, ist dies nicht viel anders. Und doch fügt der Hollywood-Star seinem serienübergreifenden Charlie-Metauniversum neue Komponenten hinzu: Der neue Charlie Goodson glänzt mit Empathie, mit Intelligenz, mit Seriosität – und kommt ganz ohne Bowling-Hemden aus.
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Und so verwundert es nicht, dass schon nach wenigen Minuten die erste Bettgeschichte mit dem leidlich begabten Therapeuten und seiner Liaison folgt. Aber: In einer vorherigen Szene spricht Charlie fürsorglich mit seiner Tochter Sam über ihre College-Zukunft. Der Zuschauer erfährt, dass Vater Goodson geschieden und ein ehemaliger Baseball-Profispieler ist, der aufgrund seiner Aggressionen den Dienst quittieren musste – und daraufhin sein Leben umkrempelte, indem er zum Anti-Aggressionstrainer wurde. Hier ist also der neue softe Charlie, da der alte sexbesessene. Der neue kümmert sich um seine Tochter, setzt sich für sie und ihr College-Studium ein. Der alte kämpft immer wieder darum, seine früheren Aggressionsprobleme nicht aufkommen zu lassen, besonders nicht bei seiner Ex-Frau und ihrem Freund. Diese Mischung zwischen Empathie und Eskapade ist spannend – und führt dazu, dass Aggressionsberater Charlie selbst wieder eine Therapie braucht. Das große Problem: Er schläft mit seiner Therapeutin. Genau dieser Interessenskonflikt dürfte in den kommenden Episoden für weitere Lacher sorgen.
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Letztlich aber dreht sich ja sowieso alles um Charlie: um die Figur Goodson, die trotz der Anleihen bei «Half Men»-Harper als eigenständiger Charakter überzeugen kann, aber auch um den Schauspieler Charlie Sheen: Dieser benutzt mit «Anger Management» wieder einmal eine Fernsehserie als große Bühne, um das eigene vermeintliche Lotterleben selbstreferentiell in audiovisueller Form zu verarbeiten. Genau das macht diesen Darsteller Charlie Sheen so besonders und so sehenswert.