Die Kritiker

«Konrad Adenauer – Stunden der Entscheidung»

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Inhalt


Es sind die frühen Morgenstunden des 13. August 1961: In Berlin hat der Mauerbau begonnen und die Bevölkerung Westdeutschlands wartet auf eine Stellungnahme ihres Bundeskanzlers bezüglich des Handelns der DDR-Regierung. Doch Konrad Adenauer, der die junge Bundesrepublik zuvor stets mit einer zielsicheren Hand führte, findet keine Worte, zu überwältigt ist er, zu verunsichert, welche Reaktion die richtige für seinen Wahlkampf und welche die nachhaltigste für das deutsche Volk ist.

Von diesem geschichtsträchtigen Moment ausgehend blickt «Konrad Adenauer – Stunden der Entscheidung» auf den politischen Werdegang des ersten Bundeskanzlers zurück: Als er in der Position von Kölns Oberbürgermeister Adolf Hitler den Empfang verweigert, schmeißen ihn die Nazis aus dem Amt. Adenauer taucht unter, flieht ins Kloster und sieht sich der ständigen Überwachung durch die Gestapo ausgesetzt. Nach mehrfachen Inhaftierungen kehrt er unter der britischen Besatzungsmacht ins Kölner Rathaus zurück, wenngleich nur für wenige Monate: Da er den Auflagen der Besatzer nicht folgt, setzen sie ihn wieder ab. Auf Anraten seiner Frau, die ihm wichtiger ist als alles andere im Leben, macht er es sich daraufhin zum Ziel, nicht bloß Köln, sondern Deutschland aus den Trümmern des Weltkrieges zu führen. Mit ruhiger Haltung wird der melancholische Familienmensch, der verbissen alte Werte vertritt, im Pensionärsalter zum Bundeskanzler. Ist er hinter den Kulissen ein gerissener Strippenzieher, verbreitet er im Ausland das authentische Image eines zivilen, weltoffenen Demokraten. Als er sich in den frühen Sechzigern weigert, der Politik der SPD und dem Werteumschwung des Volkes entgegen zu kommen, nimmt der Druck zu, „den Alten“ abzusetzen. 1963 dankt er selbst ab, sein Nachfolger wird der von ihm für unqualifiziert befundene Ludwig Erhard.

Darsteller


Joachim Bißmeier («Der Chinese») ist Konrad Adenauer
Ian T. Dickinson («V wie Vendetta») ist Sir John Barraclough
Georg B. Lenzen («Teufelsbraten») ist Hans Maria Globke
Bernhard Ulrich («Dahoam is dahoam») ist Franz Josef Strauß
Carolina Vera («Tatort») ist Gussie Adenauer
Johannes Zirner («Geld.Macht.Liebe») ist Rudolf Augstein

Kritik


Autor Werner Biermann und Stefan Schneider wandeln mit ihrer 90-minütigen Konrad-Adenauer-Biografie auf der oftmals klar umrissenen Grenze zwischen Biopic und Dokumentarfilm: Sind rund 60 Prozent des Films dramatisierte Spielszenen, in denen Schauspieler Adenauer und sein politisches wie privates Umfeld verkörpern, werden diese durch Archivmaterial und Interviewaussagen von Zeitzeugen ergänzt, reflektiert oder in ihren Kernaussagen betont. Dies ermöglicht es Biermann & Schneider, geschichtliche Momente wie in einer fiktionalisierten Nacherzählung zu interpretieren und die Emotionalität eines Biographie-Dramas zu erzeugen, zugleich aber Authentizität zu waren und den Zuschauern die objektive Informativität einer Geschichtsdokumentation zu bieten. Dieser Ansatz kann interessant und spannend sein, etwa wenn im Anschluss an eine Spielszene, die Adenauers verbissene Verhandlungen um eine weitere Kanzlerkandidatur zeigt, seine Tochter kommentiert, wie stolz sie gewesen wäre, wäre ihr Vater zu einem würdigen Punkt zurückgetreten. Die Kommentierung durch Archiv- und Interviewmaterial wirkt zuweilen jedoch auch sehr redundant, so als bestünde bei den Filmemachern der Eindruck, dem Publikum müsse alles zweimal gesagt werden.

Getragen werden die Schauspielszenen weitestgehend vom 75-jährigen Bißmeier, der Adenauer nicht bloß ähnlich sieht, sondern sowohl ein sehr authentisches Abbild des öffentlichen Adenauers erweckt, als auch einvernehmend den gemütlichen Privatmenschen und den grantigen Hinterzimmerpolitiker darbietet. Mitunter agiert Bißmeier allerdings zu theatral, was unter anderem Adenauers Verhandlungen mit seinen CDU-Parteigenossen oder seine großväterliche Belehrungen eines ungestümen Rudolf Augstein durch eine übertriebene Getragenheit fast schon komisch wirken lässt. Dieser Eindruck wird teilweise auch von den Nebendarstellern verstärkt, die jede Dialogzeile wie ein besonders wichtiges Stück Historie verkaufen – bei der gebotenen Dichte an geschichtlichen Informationen (schließlich müssen 14 Jahre Bundeskanzlerschaft und einige Lebensjahre Adenauers darüber hinaus in 90 Filmminuten komprimiert werden) kann es ermüden, wenn alle Dialogzeilen mit gleicher Wichtigkeit daher getragen werden. Anekdotenhafte Kurzweil überlässt die Regie derweil dem Archivmaterial, etwa wenn Adenauer im O-Ton mit rheinisch-gelassener Tonlage, aber hochernstem Gesichtsausdruck erklärt, dass Boccia „ruhige Nerven und ein gutes Auge und eine wohlüberlegte Dossierung der körperlichen Kraft“ verlange.

Obwohl mehrere Ausrutscher Adenauers, darunter sein Anstreben des Bundespräsidentenamtes, keinen Platz in «Konrad Adenauer – Stunden der Entscheidung» fanden, verzichtet dieses Dokudrama keineswegs auf Kritik an Deutschlands erstem Bundeskanzler. Werden manche seiner Eigenheiten mit einem Augenzwinkern betrachtet und als veralteter Zeitgeist abgetan, zeigen Momente wie seine eiskalten Verhandlungen mit dem überzeugten Junggesellen Franz Josef Strauss, er solle sich doch zu den guten, christlichen Werten bekehren und heiraten, damit er glaubwürdig das Familienministerium übernehmen kann, dass Adenauer auch gerissen und unbarmherzig sein konnte. Somit findet die Koproduktion des SWR, WDR und arte ein gesundes Mittel aus historischer Ehrfürchtigkeit vor einem der wichtigsten deutschen Politiker und kritischer Distanz. Aufgrund der zeitlich gedrungenen Informationsvermittlung sind geschichtliche Basiskenntnisse vor Sichtung des Dokudramas wohl fast schon Grundvoraussetzung, für Interessierte bietet «Konrad Adenauer – Stunden der Entscheidung» aber auf spannende Weise einen Fortgeschrittenenkurs in Sachen „die Ära Adenauer und die Person dahinter“.

Das Erste strahlt «Konrad Adenauer – Stunden der Entscheidung» am Sonntag, dem 5. August 2012 um 21.45 Uhr aus.

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