360 Grad

Witzischkeit kennt keine Grenzen

von
Julian Miller erklärt an einem Beispiel, warum es um die deutsche Sitcom so schlecht bestellt ist und sich das nicht so schnell ändern wird.

Um die deutsche Comedy ist es nicht sonderlich gut bestellt. Die wenigen talentierten Comedians und Satiriker wie Anke Engelke, Bastian Pastewka oder Harald Schmidt werden nicht selten von der Masse der lauten und derben Proll-Witzeerzähler wie Mario Barth, Cindy aus Marzahn, Mirja Boes oder Atze Schröder übertönt. Und im Serienbereich sieht es erst recht richtig düster aus, wenn man Adaptionen ausländischer Formate wie «Stromberg» und «Pastewka» oder den einen oder anderen Glücksgriff wie in der letzten Saison «Ijon Tichy – Raumpilot» und «Der Tatortreiniger» außen vor lässt.

Woran das liegen kann, dass das deutsche Comedyformat eben immer noch aus unkreativen Sketch-Ansammlungen wie den «Knallerfrauen» und den «Dreisten Drei» besteht und man im Serienbereich ein ausgedörrtes Ödland vorfindet? Vielleicht daran, dass die deutschen Fernsehmacher auch im einundzwanzigsten Jahrhundert noch nicht richtig verstanden haben, wie Lustigkeit in Serienform geht.

Sehen wir uns etwa einmal das Konzept der neuen WDR-Impro-Sitcom «Der Coffeeshop» im Detail an:

„Was macht die moderne Frau von Mitte Dreißig von heute aus? Sie ist gebildet, erfolgreich und unabhängig. Und sie hat Freundinnen. Was dazu führt, dass sie sooo unabhängig wieder gar nicht ist...

Andrea ist stolze Besitzerin eines Coffeeshops mit dem Namen "Der Coffeeshop". Beruflich ist für Andrea (Susanne Pätzold) damit alles perfekt. Und für den Rest des Lebens hat sie ihre Freundinnen Sandra (Sabine Krappweis) und Maren (Christiane Wagner). Seit vielen Jahren schon. Dabei sind Sandra und Maren nicht nur Angestellte im Shop, sie alle drei bilden die perfekte alternative Kleinfamilie, durch den festen Verbund des Freundeskreises. Und den kann nichts erschüttern - oder fast nichts.

Männer vielleicht. So wie Marlon (David Gromer), der eigentlich Hans-Jürgen heißt und Obermieter und Stammgast ist. Aber letztlich halten die drei Frauen zusammen, meistern das anstrengende Single-Leben mit gegenseitiger Hilfe und sind fest entschlossen, gemeinsam Spaß am Leben zu haben. Auch wenn ein solcher Verbund nicht vor Konflikten gefeit ist, inklusive deutlich mehr Konkurrenzpotential. Dabei müssen das nicht immer Männer sein, es reicht ja schon, wenn alle drei auf das gleiche Paar Schuhe im Laden gegenüber scharf sind...“


Man merkt dieser Beschreibung eines sehr deutlich an: Nämlich dass offensichtlich die Zielgruppe vor dem Inhalt festgestanden hat und man das Konzept um das Bild, das man von der angestrebten Zuschauerschaft hat, herumbastelte. Frau, Mitte Dreißig, single, gerne mit ein bisschen Torschlusspanik für das, was man beim WDR so für emotionale Tiefe hält. Berechnetes Fernsehen ohne Anspruch oder Variation.

Diese Prämisse offenbart eine Denkweise, bei der es klar ist, weswegen es eben kein deutsches «Seinfeld», keinen deutschen «Frasier» und nicht einmal ein deutsches «Friends» geben kann. Es zeigt ein vollkommenes Desinteresse an Experimenten und die Motivation, da weiterzumachen, wo man dramaturgisch und innovativ schon vor dreißig Jahren stehen geblieben ist. Es ist die sichere Bank, die man so lange mit dem immer gleichen Zeug vollstellt, bis sich die Balken deutlich nach unten biegen und kurz davor sind, zusammenzubrechen.

Da kann Herr Bellut noch so oft davon sprechen, dass ein «Two and a Half Men», was qualitativ ja auch nicht gerade die Krönung der amerikanischen Sitcom ist, doch auch in Deutschland möglich sein muss. Mit dieser Mentalität wird es das nicht geben. Ob die Anstalt nun WDR oder ZDF heißt, ist sekundär – denn die Unterschiede sind nur graduell und nicht absolut. Die deutsche Fiction steckt vor allem im Comedybereich seit Jahrzehnten in einem Teufelskreis fest, aus dem keiner es wagt, auszubrechen. Es könnte ja schief gehen.

In Amerika hat es sich dagegen gezeigt, dass Sitcoms gerade dann erfolgreich sind, wenn sie mit den bestehenden Regeln brechen. Wenn sie nicht auf das Klischeebild der Single-Frau Mitte dreißig ausgerichtet, nicht bis ins letzte Detail von der Marktforschung durchkalkuliert sind, sondern durch witzige bis gern absurde Storys und vor allem vielschichtige Figuren überzeugen, die gerade von Klischeebildern meilenweit entfernt sind. Ein Format wie «Der Coffeeshop» lässt das exakte Gegenteil erkennen. Entweder hat man das in Deutschland immer noch nicht verstanden. Oder man will es gar nicht.

Oder vielleicht ist man auch völlig unfähig dazu. Denn es ist nicht nur die alt bekannte Leier vom fehlenden Mut, die hier eine Rolle spielen kann. Vielleicht fehlt es hierzulande ja auch an den Autoren, die die Kompetenz haben, hier innovativ und kreativ anzupacken, und die überhaupt von ihren Fähigkeiten her in der Lage dazu sind, etwas wie ein «Two and a Half Men» für den deutschen Markt zu stämmen, von «Frasier» oder «Seinfeld» mal ganz zu schweigen. Ihnen allein diesen Vorwurf zu machen, wäre jedoch ungerecht. Schließlich müssen sich deutsche Comedyautoren seit einer gefühlten Ewigkeit beim «Sechserpack» und der «Bülent Ceylan Show» verdingen. Sicherlich nicht die beste Vorbereitung für die kreative Mammutaufgabe, die deutsche Sitcom aus dem Elend zu holen.

Denn das gelingt nur ganz am Rande, beim «Tatortreiniger», von dem die ARD bisher nur eine einzige Folge ausgestrahlt hat, oder bei «Ijon Tichy – Raumpilot», das man beim ZDF spät nachts versendete. Es scheint klar zu sein, wo im deutschen Fernsehen die Prioritäten liegen. Und da sage noch einer, die Amerikaner seien kulturlos.

Mit 360 Grad schließt sich auch nächsten Freitag wieder der Kreis.

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