Hingeschaut

«Die Pyramide»: Ein Pharao und viele Sklaven

von
Nach 13 Jahren Pause kehrte ein klassisches Gameshow-Konzept wieder zurück ins deutsche Fernsehen. Der genaue Blick auf die Premierenausgabe.

Nachdem der NDR im letzten Jahr schon «Dalli Dalli» erfolgreich neu aufgelegt hat, versuchte sich nun auch das ZDF am Comeback einer alten Kult-Gameshow. «Die Pyramide» stammte ursprünglich aus den USA und lief in Deutschland bereits von 1979 bis 1994 mit Dieter Thomas Heck im Zweiten und nochmal von 1996 bis 1999 unter dem Titel «Hast du Worte?!» in Sat.1 mit Jörg Pilawa bzw. Thomas Koschwitz. Nun moderiert Comedy-Autor Micky Beisenherz und als Schiedsrichter ist ihm Tanzjuror Joachim Llambi behilflich. Aus Hecks wöchentlicher, 45-minütiger Abendversion der Show wurde bereits in Sat.1 erstmals eine tägliche, halbstündige Vormittagssendung. Die neue «Pyramide» verbindet nun beides: Sie läuft täglich und 45 Minuten. Neu ist nur der Sendeplatz am Vorabend bei ZDFneo, respektive demnächst am Nachmittag im ZDF-Hauptprogramm. Konnte die dritte Auflage mit ihrer ersten Folge nun punkten?

Im Vorspann wies ein Off-Sprecher darauf hin, dass es 18:45 Uhr sei und man aus dem Kölner Studio Eins sende. Ein kleiner Rückbezug zu Heck, der ähnliche Infos immer gerne in seinen Sendungen der «Pyramide», als auch insbesondere in der «ZDF-Hitparade» herausposaunte. Alte Bilder aus seiner «Pyramide» wurden auch zur Begrüßung eingeblendet. Wohl nicht nur auf Wunsch von Nachfolger Beisenherz ließ sich im Hintergrund die gute alte Titelmusik der Show, einstmals komponiert von Gershon Kingsley, in fast unveränderter Form vernehmen. Nur leider, wie in der gesamten Sendung, etwas leise. Als Beisenherz über die Treppe durchs Publikum in das chicke und zeitlos-moderne Studio gesprungen war, welches in der Tat gut an Hecks Hütte erinnert, folgte gleich das Bekenntnis, dass sein Vorgänger ihm große Fußstapfen hinterlassen habe. Völlig richtig! Zudem würde ein gutes Spiel aber nie alt werden. Nur dann richtig, wenn man es gekonnt ins Hier und Jetzt übertragen bekommt, sodass der Charme des Originals nicht flöten geht und die Sendung dennoch modern und zeitgemäß wirkt. Obendrein muss es so eine Neuauflage schaffen, genug eigenen Charme zu entwickeln, damit der dauernde und meistens tödliche Vergleich zum Original überflüssig wird. Bekanntlich ist dies mit die schwerste Aufgabe, die Fernsehmacher überhaupt zu bewältigen haben. Sie wurde bei «Dalli Dalli» im NDR ausnahmsweise einmal brillant gelöst. Die neue «Pyramide» schafft diese Wundertat, jedenfalls zu Beginn, noch bei Weitem nicht.

Der Spielablauf ist dem der Heck-Version recht ähnlich: Zwei Teams aus je einem prominenten und einem normalen Kandidaten raten abwechselnd gegeneinander schnell Begriffe. Dazu müssen sie sich in den zwei Hauptrunden eine von sechs Kategorien aussuchen, welche die gesuchten Begriffe zu einem Oberthema enthalten. In 30 Sekunden muss der eine Spieler seinem Partner dann mit Worten und Gesten die Begriffe nahebringen und dieser sollte natürlich möglichst viele in der Zeit erraten. Was noch so durchgehen darf und was nicht, klärt im Zweifelsfall Schiedsrichter Llambi, der selbst am Studiorand an einem eigenen Pult sitzt. Sein österreichischer Vorgänger in der Heck-Version, Dr. Heindl, der auch im ZDF-Musikquiz «Erkennen Sie die Melodie?» richtete, ließ sich früher nie im Studio sehen und rief Heck lediglich auf ein rotes Telefon an. Selbiges sparte man sich in der neuen «Pyramide» nicht nur deshalb, weil Llambi laut Beisenherz so unfassbar schön aussehe, dass man ihn nicht verstecken solle, sondern mutmaßlich auch, weil derzeit ein rotes Telefon für den Show-Aufseher bereits in einer anderen Sendung Verwendung findet – bei «Schlag den Raab». Macht aber nichts, denn Llambi wirkt, wenn er so aufrecht wie stolz hinter seinem Pult posiert und um ihn herum die Dreiecke der Studiokulisse leuchten, passenderweise etwas wie ein alter Pharao. Genauso verhält er sich auch, denn zu mehr als seiner Punktevergabe und dem ein oder anderen zurechtweisenden Spruch gegenüber seinen untertänigen Sklaven lässt er sich nicht herab.

Beisenherz erscheint dagegen in der ganzen Sendung eher als sein direkter Diener, der die mühsame Arbeit der Moderation übernimmt. Die macht er zwar solide, aber für einen Comedy-Autor trotzdem erstaunlich farb- und witzlos. Man sieht, dass Theoretiker in der Praxis nicht unbedingt eine Chance haben. Gerät mal einer der Gäste außer Kontrolle, so wie in der Premiere gleich mehrfach Oliver Pocher, stößt Beisenherz schnell an seine Grenzen und muss sich Hilfe bei Pharao Llambi holen. Bei so viel Inbrunst, die ein Herr Pocher in die Sendung steckt, bleibt die Frage, wieso man nicht gleich ihn selber zur Moderation verpflichtete. Nun, dem ZDF dürfte er womöglich nicht familienaffin genug gewesen sein, denn «Die Pyramide» ist nunmal Familienunterhaltung – auch wenn der Urausstrahlungssender ZDFneo das junge und für frechere Bespaßung durchaus empfängliche Publikum anspricht. Außerdem hätte Pocher bestimmt auf Dauer ein zu revolutionäres Auftreten gegenüber dem Pharao gezeigt.

Wie auch immer: Zum Finaleinzug haben Pochers spitze Lippen nicht gereicht. Den sicherten sich Christine Neubauer und ihr Mitstreiter. Im Finale geht es, genau wie in der ersten Bonusrunde zwischen den zwei Hauptrunden, für ein Team darum, einen Geldbaum zu erklimmen. Das ist neu im Gegensatz zur Heckschen «Pyramide». Der Baum reicht von 250 bis 5000 Euro und erfordert von Stufe zu Stufe mehr richtig geratene Begriffe. Die Kategorie wird vorher jeweils von Beisenherz verkündet. Gesten sind nun nicht mehr erlaubt und die beschreibenden Kandidaten müssen zur Sicherstellung dessen ihre Hände durch Schlaufen (wegen Pocher musste Beisenherz betonen, dass es keine Handschellen seien) an ihren futuristischen Stühlen stecken. Wie bei Heck, der diesen Prozess allerdings durch einigen Witz unterhaltend begleitete. Bei 1000 Euro ist das Geld gesichert und es gilt zu entscheiden, ob man weitermacht oder nicht. Schafft man die erforderliche Begriffsanzahl nicht, fällt man zurück auf diese Gewinnstufe. Würde man vor selbiger rausfliegen, gäbe es gar kein Geld. Insgesamt ist bei den beiden Hauptrunden, der ersten Bonusrunde und der Finalbonusrunde ein Hauptgewinn von 15.000 Euro möglich. Den Gewinn bekommt der normale Kandidat komplett und man muss sich keinen Promi anhören, wie er irgendwelche Spendenzwecke herunterbetet. Ein Pluspunkt an den Regeln. Ansonsten wird jedoch der Spielablauf, in dem es unterm Strich eben immer nur darum geht, in einer gewissen Zeit eine gewisse Anzahl von Begriffen zu erraten, mit zunehmender Zeit immer ermüdender. Eine große Schwachstelle der Show. Wo bei Heck noch Musik-Acts die Spielrunden auflockerten und bei «Hast du Worte?!» die Gesamtsendedauer nur knappe 30 Minuten abzüglich Werbung betrug, ist eine Dreiviertelstunde ohne Einlagen im Jahr 2012 einfach zu viel für die grundlegende Monotonie des Konzepts. In dieser Form eignet sich «Die Pyramide» eigentlich nicht für eine tägliche Ausstrahlung. Wer eine schnelle Abnutzung voraussagt, könne sich somit bereits in ein paar Wochen bestätigt sehen – vorausgesetzt, das Fernsehpublikum sieht es ähnlich.

Alles in Allem ist die neue «Pyramide» zwar äußerlich – also optisch und akustisch – gut gemacht, doch am Inhalt schwächelt es zu sehr. Ein blasser Moderator, ein minimalistischer Schiedsrichter und ein – zumindest für die tägliche und 45-minütige Sendeweise – zu monotones, schnell langatmig werdendes Konzept lassen die Show noch zu keinem Highlight werden. Noch. Sollte Beisenherz beschwingter auftreten, er und Llambi ein besseres Zusammenspiel entwickeln und der Spielablauf etwas variiert oder die Sendezeit verkürzt werden, könnte es aber mit der Zeit und viel Anstrengung was werden. Immerhin sind Grundlagen gegeben. Zudem bleibt zu hoffen, dass man bei der Vielzahl an Ausgaben auch stets halbwegs ordentliche Promis gewinnen kann, mit denen die Sendung steht und fällt. Ein Dieter Thomas Heck konnte als erfahrener Gastgeber von Shows schwache Stars selbst dank Wort und Witz ausgleichen. Ein Micky Beisenherz, der für das größere Publikum ohnehin ein unbeschriebenes Blatt ist, kann das (noch) nicht. Raum zum Experimentieren wird aber nur bei ZDFneo bleiben, denn dass das Format in seiner jetzigen Form ab 20. August im ZDF-Hauptprogramm um 16:15 Uhr ankommen wird, darf getrost bezweifelt werden. Obwohl es manchmal ausreichen kann, wenn eine tägliche Sendung des Tagesprogramms nur "ganz nett" ist, gilt das bei einem Kultformat noch längst nicht. Die Aufmerksamkeit ist zu hoch. Der besagte tödliche Vergleich zum Original ist da – nur natürlich. Er wird leider auch noch länger anhalten – nur schädlich. Damit beginnt gleich nach der Premiere der Countdown der Neuauflage einer Sendung, die, ähnlich wie ihre namensverwandten Bauwerke in Ägypten, zum Weltkulturerbe zählt. Nur eben zum TV-Weltkulturerbe. Und bisher "lediglich" aufgrund ihrer Geschichte.

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