Selten hat jemand so offen über das Thema gesprochen, wie der Scripted-Reality-Produzent und ehemalige Sat.1-Talk-Show-Moderator Frank Schmidt in einem Interview mit Alexander Krei von DWDL.de. „Fiction geht auch für die Hälfte“ war die Kernaussage des Gesprächs. Zwar scheint Schmidt durchaus zu wissen, dass der Unsinn, den er so produziert, wenig mit gewissermaßen „echter“ Fiction zu tun hat, er sieht aber offensichtlich Schnittmengen zwischen den beiden Genres. Und er sieht eine „Riesenchance“:
„Wenn wir es hinbekommen, unser Scripted Reality-Know-How, das auf gelenkter Improvisation beruht, auf die klassische Fiction zu übertragen, und dadurch die Authentizität erhöhen, dann ließe sich erreichen, dass die Zuschauer fiktionale Stoffe viel intensiver berühren als bisher.“ Es ist eine gruselige Vorstellung, dass Schmidt das tatsächlich ernst meinen könnte.
Doch er scheint in der Tat davon auszugehen, dass Scripted-Reality-Formate einen hohen Grad an Authentizität vorweisen: „Die Grundkonflikte bei «Familien im Brennpunkt» könnte man auch ohne Drehbuch darstellen. Man kann mit echten Dokusoaps aber keine solch komplexe Dramaturgie stricken: Bei diesen RTL-Formaten am Nachmittag kommt dann plötzlich der Bruder um die Ecke, der ein Geheimnis verrät, was dann das Rad nochmal in die entgegen gesetzte Richtung dreht.“ Interessant, was bei Schmidt so alles als „komplexe Dramaturgie“ durchgeht.
Und hier ist gleich einer der Kernfehler: Denn derartige Storys sind weder authentisch noch realistisch. Sie bedienen sich vielmehr der banalsten und dämlichsten dramaturgischen Mittel, für die sich selbst Autoren, die nur eine halbe Klasse höher als ihre Scripted-Reality-“Kollegen“ stehen, schämen würden.
Doch Schmidt findet, dass Formate dieser Art zukunftsträchtig sind, hält es sogar für möglich, dass sich durch die billigen Produktionsmittel neue Möglichkeiten für die ernstzunehmende Fiction ergeben könnten: „Wenn es uns gelingt, Dramaserien für deutlich geringere Budgets zu produzieren, schaffen wir damit auch neue Sendeplätze für dieses Genre […].“ Diese Sätze fallen wohlgemerkt in einem medialen Umfeld, in dem die Produktionsaufträge der Sender für fiktionale Formate (also „echte“ fiktionale Formate und nicht den Scripted-Reality-Abfall) immer weiter zurückgefahren und die Budgets immer kleiner werden. Ohnehin hat es natürlich etwas Bizarres an sich, dass ein Produzent von Formaten, die man nur mit einem Augenzwinkern als „Fiction“ bezeichnen könnte, weil sie sich am untersten Ende der Qualitätsskala bewegen, einen Vorschlag für die Fernsehmacher hat, die immerhin Serien produzieren, für die man sich nicht schämen muss.
Doch Schmidt ist wahrscheinlich nur der, der das ausspricht, was viele denken. Früher hatte man noch das Gefühl, dass Fernsehmacher Formate produzierten, die sie selbst gern gesehen hätten. Heute reicht es vielen von ihnen dagegen schon, wenn es eine Sendung ist, wegen der man gerade so noch nicht im Boden versinken muss und sich nach der Ausstrahlung weiterhin aus dem Haus trauen kann, ohne ausgelacht zu werden. Es ist eine Denkweise, in der Qualität scheißegal ist. Es ist kein Höher, Schneller, Weiter mehr, sondern ein Billiger, Dämlicher, Niveauloser. Fernsehen, das Tabus bricht, um Tabus zu brechen, Sendungen, die noch mehr auf Qualität scheißen als ihre Vorgänger. Hauptsache billig und gerne bekloppt.
In Schmidts Welt gibt es natürlich Vieles, an dem man sparen kann. Wer braucht schließlich schon Schauspieler: „Mir geht es nicht darum, ob es ein professioneller Schauspieler oder eine Putzfrau ist. Wir haben zum Beispiel eine Krankenschwester, die auf Knopfdruck herzerweichend heulen kann.“ Method Acting, Meisner-Technik, Strassberg, Stanislawski, Kazan – unnötig! Wozu sich jahrelang an einer Schauspielschule mit Chechov, Ibsen, Albee und Jelinek herumschlagen, wozu die Filme von Fassbinder, Scorsese und Godard kreuz und quer interpretieren, wenn die Putzfrau es genauso gut kann.
Man kann es einem Produzenten nicht verübeln, wenn er wirtschaftlich denkt. Das muss er, um überleben zu können. Doch es besteht ein Unterschied zwischen der wirtschaftlichen Produktion von TV-Formaten und dem vollkommenen kreativen Ausverkauf, bei dem Qualität nicht einmal mehr eine Nebenrolle spielt, sondern ganz und gar wegrationalisiert wird. Tschüss, Frau Berger, wir haben die Putzfrau befördert. Die kann's auch.
Natürlich ließ da der Shitstorm nicht lange auf sich warten. DWDL.de-Chefredakteur Thomas Lückerath veröffentlichte noch am Abend des Erscheinungstages des Interviews eine Übersicht über die Reaktionen, die die Redaktion erreicht hatten. Und die waren beachtlich. Denn viele Medienschaffende, von Schauspielern bis hin zu Produzenten, lehnten die, nun ja, recht sonderbaren Ergüsse von Frank Schmidt rundum ab. Ein gutes Zeichen? Oder nur eine kleine Branchenselbstkorrektur vor dem endgültigen Absturz, den Frank Schmidt kommen sieht, ohne ihn zu fürchten? Bleiben Sie dran.