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Während sich konzeptuelle Veränderungen im vergangenen Jahr weitgehend darauf beschränkten, den zwar kauzigen, aber nicht wirklich zielgruppenkonformen Musikproduzenten George Glueck durch den Rapper Das Bo zu ersetzen, wird es diesmal zu einem echten Rundumschlag kommen. Einzig Sarah Connor darf weiterhin die gesanglichen Qualitäten der Kandidaten beurteilen, Das Bo hingegen musste nach nur einer Staffel ebenso weichen wie Till Brönner, welcher immerhin zwei Staffeln aushielt. Stattdessen möchten nun Produzent Moses Pelham, die durch die Band Guano Apes zumindest in Maßen bekannte Sängerin Sandra Nasic und H.P. Baxxter beweisen, dass sie ein gutes Gespür für große Gesangstalente haben. Letztgenannter dürfte wohl zumindest einige Kompetenz darin besitzen, massentaugliche Musik zu erkennen, denn als Frontmann der Band Scooter konnte er sich bereits über mehr als 20 Top-Ten-Hits in den deutschen Single-Charts freuen.
Da es nun nicht mehr nur drei, sondern gleich vier Juroren gibt, die über das Schicksal der Teilnehmer entscheiden, braucht es folglich auch eine Überarbeitung der anschließenden Teams. Denn bereits nach der Erstselektion in der Castingphase ist es wichtiger Teil des Konzepts, dass die Juroren je ein Team bekommen, für das sie in der Folge als Mentoren verantwortlich zeichnen. Bislang waren dies die 16- bis 24-Jährigen, die Kandidaten ab 25 Jahren sowie die Gruppen. In dieser Staffel wird sich einer der Juroren noch um Bands kümmern müssen, wobei es interessant zu sehen sein wird, inwiefern man letztendlich den Unterschied zwischen "Gruppen" und "Bands" wirklich auch wahrnehmen kann. In jedem Fall ist es ein interessanter und in Maßen sogar mutiger Schritt, ausgerechnet den Nicht-Solisten zusätzlichen Platz einzuräumen, denn schon die Gruppen-Kategorie machte bisher die meisten Probleme.
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Die Auftaktfolge wird zudem - ausnahmsweise am Samstag - auf dem großen Schwestersender RTL ausgestrahlt, womit man an ein Erfolgskonzept der ersten Staffel anknüpft. Hier waren sogar gleich zwei Folgen als kleiner Appetitanreger bei RTL zu sehen, woraufhin die ersten beiden VOX-Episoden mit 15,0 und 17,0 Prozent bei den Jüngeren und bis zu 9,2 Prozent beim Gesamtpublikum regelrecht durch die Decke schossen. Doch damals war «X Factor» noch ein völlig neues Format, heute hat es zwar noch längst nicht so viel Staub angesetzt wie «DSDS» oder «Popstars», aber es ist trotzdem stark zu bezweifeln, ob eine einzige Folge bei RTL genug Interesse wecken kann, dass ausreichend Zuschauer auch nach dem Senderwechsel am Ball bleiben. Schon in der ersten Staffel ließ das Interesse in der dritten Woche nach, wenngleich zehn bis zwölf Prozent zweifelsfrei noch immer tolle Werte darstellten.
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Wer eigentlich über kein wirklich großes Talent verfügt, allerdings schon immer den unstillbaren Drang danach verspürte, sein Gesicht Millionen von Fernsehzuschauern zu zeigen, hat bereits seit vielen Jahren bei den RTL-Castingshows mit Dieter Bohlen ein Zuhause gefunden. Die etwas individualistischer veranlagten Personen, die zwar oftmals nicht mit dem allergrößten Stimmvolumen gesegnet waren, allerdings so weit wie möglich "ihr Ding machen" wollten und somit über die Individualität verfügten, die eine Teilnahme bei «DSDS» oder auch «Popstars» unmöglich machte, fanden bei den Raab-Castings der vergangenen Jahre ihr Zuhause. Und für die wirklich großen Sänger gibt es seit neuestem bei «The Voice» auch im deutschen Fernsehen wieder eine Plattform, bei der sie gefördert und durch die für deutsche Verhältnisse gigantische Konkurrenz auch richtig gefordert werden.
Stellte «X Factor» bei seinem Start noch die gelungene Mixtur aus den unterhaltsamen, jedoch viel zu übertriebenen und völlig unglaubwürdigen RTL-Castingshows und dem musikalisch wesentlich wertvolleren, aber nicht immer wirklich unterhaltsamen «Unser Star für Oslo» dar, stellt sich spätestens nach dem Aufkommen von «The Voice» die Frage, wer diese Show wirklich braucht. Die fehlende Relevanz schlug sich bereits im kaum vorhandenen Erfolg der Vorjahressieger nieder, weshalb es schlicht und einfach albern ist, wenn Sarah Connor abermals an irgendeine "große Karriere" erinnert, die auf die Sieger wartet. Und auch ein Quotenerfolg, der die dritte Staffel zumindest aus wirtschaftlichen Gründen rechtfertigt, ist keinesfalls sicher, denn zuletzt waren bei einigen Castingshows deutliche Verschleißerscheinungen zu beobachten.
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Ob mit dieser Veränderung noch die Musik im Vordergrund steht oder nicht doch der neuerliche Versuch, ein Gesangscasting durch viele Dokusoap-Elemente zur Nebensache verkommen zu lassen, wird sich ab Samstagabend zeigen. Letztendlich bleibt schon vor dem Start allerdings dieses seltsame und wenig befriedigende Gefühl beim Zuschauer hängen, dass fast alles, was man hier zu sehen bekommen wird, bereits in wenigen Wochen wieder Geschichte ist - fatal für eine Castingshow, die ja eigentlich einen Künstler langfristig im Musikbusiness etablieren soll. Dem neuen Konzept eine Chance zu geben, wird jedoch trotzdem nicht verkehrt sein, denn zumindest bisher war «X Factor» ein wirklich gelungenes Format, dessen Sieger eine größere Aufmerksamkeit verdient gehabt hätten. Und sollten die Veränderungen es verschlechtert haben, wird es in diesem Fall nur der Gnadenstoß für eine Sendung sein, die sich leider nie so richtig im deutschen Fernsehen hat etablieren können.