Inhalt
New Orleans, eine der faszinierendsten und komplexesten Städte der USA, vielleicht sogar der Welt: Hier sind Tradition und Moderne, Aufgeschlossenheit und beharrliches Bestehen auf Altbekanntes, Armut und ewige Feierlaune eng zu einem unnachahmlichen Lebensgefühl verwoben. Womöglich das Herzstück der Jazzhauptstadt ist der schwer vom Hurrikan Katrina getroffene Stadtteil Treme, eines der ältesten Viertel von New Orleans. Drei Monate nach der Unwetterkatastrophe veranstalten die nicht unterzukriegenden Einwohner bereits wieder eine losgelöste "Second Line Parade", einen musikalischen Marsch durch die Nachbarschaft, an dem jedermann teilnehmen kann. Doch nicht für alle Teilnehmer an dieser Parade ist sie Ausdruck eines stoischen Optimismus. Der Posaunist Antoine etwa ist seelisch längst nicht in der Verfassung für fröhliche Musik und will bei der Parade bloß auf sich aufmerksam machen, um sich endlich wieder einen Gig und somit seine Existenz zu sichern.
Derweil bemüht sich seine Ex-Frau, mit der er sich weiterhin gut versteht, darum, ihre runtergekommene Bar auf Vordermann zu bringen, selbst wenn sie gedanklich ununterbrochen bei ihrem vermisst gemeldeten, straffälligen Bruder ist, auf dessen Spuren sich auch die Anwältin Toni Bernette gemacht hat. Ihr Ehemann Creighton liebt seine Heimatstadt so sehr, dass er in Rage das Equipment eines Fernsehteams zerstört, das behauptet, "The Big Easy" wäre es nicht wert, wieder aufgebaut zu werden. Zugleich ist der stolze Lokalpatriot einer der lautesten Kritiker der örtlichen Politik, weil sie sich seiner Ansicht nach zahlreiche Fehler bei der Krisenbewältigung erlaubte. Dadurch macht er sich viele Feinde unter seinen Mitbürgern, ebenso wie der Radio-DJ Davis, dessen Beziehung zur Restaurantbesitzerin Janette seit einiger Zeit in Trümmern liegt und zusätzlich dadurch belastet wird, dass er sich ganz selbstbewusst als künstlerisch versierter Musiker sieht, der seinen Mitmenschen noch allerhand über gute Musik beibringen kann. Deswegen weigert er sich auch, die übliche, dem örtlichen Geschmack angepasste Songliste zu spielen. Unterdessen kehrt Albert, gegen den Willen seiner Kinder, aus Houston nach New Orleans zurück, um sein geliebtes Haus neu aufzubauen und am Mardi-Gras-Karneval teilzunehmen.
Darsteller
Khandi Alexander («CSI: Miami») ist LaDonna Batiste-Williams
Rob Brown («The Express») ist Delmond Lambreaux
Kim Dickens («Friday Night Lights») ist Janette Desautel
Melissa Leo («The Fighter») ist Toni Bernette
Clarke Peters («The Wire») ist Albert Lambreaux
Wendell Pierce («The Wire») ist Antoine Batiste
Steve Zahn («Out of Sight») ist Davis McAlary
John Goodman («The Big Lebowski») ist Creighton Bernette
Kritik
Zu den kulinarischen Eckpfeilern von New Orleans gehört Gumbo, ein in zahlreichen Varianten zubereiteter Eintopf, dessen Zutaten die komplette Lebensmittelpyramide abdecken. So ähnlich ist auch «Treme», die neue Serie der «The Wire»-Macher David Simon und Eric Overmyer, welche sich als kräftige Mischung aus zahlreichen Storylines präsentiert. Ob dies eine sättigende sowie bekömmliche Fernsehmahlzeit darstellt oder eher eine mit Charakteren überfrachtete Dramaserie, deren einzelnen Zutaten nicht stark genug zum Vorschein kommen, hängt dabei zu gewissem Grad vom Geschmack des Zuschauers ab. Simon und Overmyer erzählen mit «Treme» keine komplexe, mit Handlungswendungen und Überraschungen gespickte Geschichte, sondern bereiten eine mit vielschichtigen Figuren garnierte "Slice of Life"-Serie zu, die auf kein bestimmtes Ziel zusteuert, sondern ihren Zuschauern unterschiedlichste Persönlichkeiten unterbreiten möchte. Für manchen Fernsehzuschauer dürfte dies viel Trompeterei um noch mehr inhaltlichen Stillstand sein, wer Charakterstücke mag, wird «Treme» hingegen aufgrund der beeindruckenden Zusammenstellung an Figuren und die starken Performances des gesamten Ensembles wertschätzen.
Das emotional beeindruckendste Spiel kommt von Clarke Peters, der ohne Worte, nur durch kleinste Gesten und feines Mienenspiel die überwältigenden Gefühle ausdrückt, die Heimkehrer Albert beim Anblick seines zerstörten Hauses überkommen. Einige Minuten später tollt er in einem knalligen Kostüm durch die dunklen Straßen der Stadt, ohne dass dies als charakterlicher Bruch erscheint, denn durch subtiles Spiel füllt er diesen Ausbruch von Lebensfreude mit Plausibilität. Peters' Darbietung rettet somit die am deutlichsten konstruierte und somit kitschigste Geschichte des «Treme»-Piloten- Auch die bildgewaltige Inszenierung der polnischen Regisseurin Agnieszka Holland kommt in diesem Handlungsfaden am besten zur Geltung, etwa wenn sie Alberts zerstörtes Heim mit dramatischen Schatten füllt und aussagekräftige Einstellungen wählt, ohne in Pathos zu schwelgen.
Nahezu genauso überzeugend sind auch John Goodman als Creighton, dessen hehre Absichten durch sein hitzköpfiges Temperament einen lästigen Beigeschmack erhalten, was wiederum aus ihm eine faszinierende Serienfigur macht, sowie seine Serienfrau Melissa Leo, die ihre Ziele ähnlich verbissen verfolgt wie Creighton, aber besonnener vorgeht und sich ihre Aufgaben als Anwältin so sehr zu Herzen nimmt, dass sie all ihrer Stärke zum Trotz daran zu zerbrechen droht. Aber auch der restliche Cast weiß zu begeistern, lediglich Steve Zahn macht, auch aufgrund des Drehbuchs, einen schlechten Eindruck: Dem Faulenzer Davis fehlt in der Pilotfolge von «Treme» auch der kleinste Hauch an Sympathie, wodurch der Sturkopf und Egomane zu einer reinen Antipathie-Figur wird und aus dem sonst so ambivalenten Rollenschema der Serie störend heraus sticht.
Auch für eine Serie, die ihren Fokus auf den Alltag ihrer intelligent geschriebenen und miteinander verknüpften Figuren legt, kommt «Treme» im extra langen Piloten nicht so recht aus dem Tritt. Hölzern werden lange, anfangs vermeintlich miteinander unverbundene Vignetten aneinander gereiht, ein Spannungsbogen will weder innerhalb der jeweiligen Geschichten, noch auf Gesamtebene der gemächlich ablaufenden Episode entstehen. Durch die ausführlichen, Bände über die beteiligten Figuren sprechenden Musikeinlagen begeistert «Treme» dafür mit einer beschwingten, zugleich aber auch nachdenklichen Atmosphäre, wodurch endgültig festgeschrieben ist, was die Serie beabsichtigt: Sie sieht sich als impressive Momentaufnahme von New Orleans. Nicht als zielstrebiges Charakterdrama. Dies ist ein auch im heutigen Fernsehen ungewöhnliches Ziel, das «Treme» trotz kleinerer Schnitzer weitestgehend erreicht. Geduld muss jedoch auch der interessierte Zuschauer aufgrund des trägen Einstiegs in die vielen Storylines mitbringen.
«Treme» ist ab dem 28. September dienstags um 21 Uhr in Doppelfolgen auf Sky Atlantic HD zu sehen.