Haben Sie gerade den Fernseher an, während Sie im Internet surfen und diesen Artikel lesen? Viele Zuschauer tun dies bereits und schauen teils gar nicht mehr bewusst fern, sondern sind parallel im Netz, schreiben eine SMS oder spielen am Tablet. Sie unterhalten sich also aktiv, während das Passivmedium TV nebenbei läuft und keine permanente Aufmerksamkeit mehr bekommt. Für Fernsehsender ist die Konkurrenz anderer Entertainment-Medien vielleicht nicht existenzbedrohend – aber sie führt zu einer Identitätskrise, wie an dieser Stelle bereits vor einigen Monaten ausgeführt wurde. Eine solche Krise ist aber keinesfalls determiniert: Sollten Sender und einzelne Programme es schaffen, die Passivität des Mediums zu überwinden, steht dem Fernsehen eine glorreiche Zukunft bevor.
Einige TV-Formate haben dies bereits erkannt und wissen: Junge Menschen halten es mittlerweile für selbstverständlich, an dem Unterhaltungsmedium, das sie nutzen, selbst hin und wieder auch partizipieren zu können – oder zumindest den Eindruck davon bekommen. Sei es über Kommentare bei News-Artikeln, Facebook-Diskussionen, bei Internet-Abstimmungen über die TVLab-Sendungen von ZDFneo – oder ganz einfach durch das Telefon-Voting bei Castingshows, die unter anderem wegen des doppelten Partizipationsfaktors so erfolgreich wurden: einerseits, weil Casting-Formate den Eindruck erwecken, dass jeder Mensch selbst mitmachen kann, andererseits eben, weil die abstimmenden Zuschauer beeinflussen können, wie die nächste Show aussieht. Jüngst gaben in einer GfK-Studie immerhin 15 Prozent der Deutschen an, dass interaktive TV-Programme für sie sehr viel interessanter sind als herkömmliche – in vielen anderen Ländern ist die Zahl aber noch deutlich höher.
Langfristig wird das Fernsehen nicht nur durch technische Innovationen erfolgreich sein: HD-TV, 3-D-Fernsehen (bald ohne Brille) oder das kommende Ultra High Definition helfen zwar bestimmten Programmen wie hochwertigen Serien, Zuschauer zu gewinnen, aber letztlich müssen TV-Sender nicht auf technische Innovationen reagieren, sondern vor allem auf soziale und kommunikative. Manche Formate im deutschen Fernsehen haben dies bereits verstanden – so vor allem «Berlin – Tag & Nacht» mit über 2,2 Millionen Facebook-Fans oder auch die erste Staffel der Castingshow «The Voice of Germany», die auf Facebook beispielsweise Fotoshootings mit Kandidaten verloste und generell die Protagonisten des Formats mit seinen Fans vernetzte. Ein weiteres gelungenes Beispiel: ein «Tatort» im Mai, der den Täter nicht im Fernsehen verriet, sondern erst im Netz für schlaue User – die aufgrund des riesigen Ansturms sogar die ARD-Server lahmlegten. Hier wird die soziale Innovation, die Angebote wie Facebook, Twitter, YouTube und Co. hervorgebracht haben, im bestmöglichen Sinne gelebt – was letztlich nicht nur den engagierten Fans zugutekommt, sondern auch den Sendern, die sich durch die stärkere Zuschauerbindung gute und mindestens konstante Quoten versprechen.
Vor allem schafft die Einbindung sozialer Innovation im Fernsehen eines: Aufmerksamkeit für das Programm selbst. Und um diese geht es immer mehr bei der Frage nach der Relevanz des Fernsehens, das seinen Stellenwert als Leitmedium zu verlieren droht und teilweise bereits verloren hat. Was – wie am Anfang des Artikels angesprochen – dazu führt, dass Fernsehen zum Teil nebenbei konsumiert wird, ohne Fokussierung, ohne Interesse und meist als anspruchslose Berieselung. Social TV ist ein Schlüssel dazu, dieser Entwicklung entgegenzuwirken – und solange kaum jemand dies verstanden hat, sind gerade die Programme erfolgreich, die solche Innovationen bereits nutzen. Siehe «Berlin – Tag & Nacht», siehe «The Voice of Germany».
Letztere Sendung geht übrigens nochmals kommunikativer in ihre zweite Staffel: Über die neue Anwendung „ProSieben Connect“ finden Zuschauer dann neben dem eigentlichen Fernsehbild den sogenannten Second Screen, den zweiten Bildschirm, auf dem parallel gechattet, geliked und gespielt wird. Was aber vor allem das erfolgreichste Beispiel «Berlin – Tag & Nacht» zeigt: Neue, moderne TV-Sendungen müssen von Anfang an als interaktive Programme geplant und schließlich umgesetzt werden – der Social TV-Monitor 2012, eine Studie, beschreibt das «BTN»-Konzept als „horizontale Showverlängerung“, welche die Geschichten aus der Sendung im Netz fiktiv weitererzählt. Es ist verwunderlich, dass bisher kaum ein anderes Fernsehformat ein solches offensichtlich so erfolgreiches Social TV-Konzept ebenfalls nutzt. Denn so oder so ähnlich müsste Fernsehen in ein paar Jahren zum Teil aussehen, will es die jungen Generationen an sich binden.
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