Die Kritiker

«Tatort: Alter Ego»

von

Am Sonntag geht die Premiere des Dortmunders «Tatort» auf Sendung. Unser Kritiker Julian Miller sah die ersten 90 Minuten der Reihe und ist wirklich beeindruckt.

Story


Dem Team der Dortmunder Mordkommission bleibt keine Zeit, ihren neuen Chef im Polizeipräsidium richtig zu begrüßen: Peter Faber und seine eigenwilligen Ermittlungsmethoden erleben sie direkt im Einsatz am Tatort. Der Student Kai Schiplok wurde tot in seiner Wohnung aufgefunden, nackt und nur mit einem Tuch verhüllt. Erste Spuren deuten auf ein Eifersuchtsdrama hin. Das Mordopfer war bekannt für seinen lockeren Lebenswandel. Darunter hat sein Exfreund Lars Bremer offensichtlich gelitten.

Daniel Kossik muss sich derweil erst einmal an Fabers Ermittlungsmethoden gewöhnen: Wenig begeistert ist er, dass sein Chef ihn zu verdeckten Ermittlungen in eine Schwulenbar beordert, obwohl er doch eigentlich Tickets fürs Stadion hat. Hätte nicht die Kollegin Martina Bönisch den Chefposten übernehmen können? Sie wäre doch eigentlich dran gewesen.

Ganz andere Sorgen beschäftigen Nora Dalay. Ob es wirklich eine gute Idee war, die letzte Nacht mit ihrem Kollegen Daniel zu verbringen? Zumal sie gemeinsam im beruflichen Umfeld des Mordopfers ermitteln. Die Spurensuche führt die Kommissare in ein Dortmunder High-Tech-Unternehmen, wo das Mordopfer zuletzt ein Praktikum gemacht hatte. Bei Firmenchef Dr. Hendrik Strehlsen und dessen Mitarbeiter Sebastian Lesniak hinterließ Schiplok einen bleibenden Eindruck. Da geschieht ein zweiter Mord. Wieder ist der Tote nur mit einem Tuch bedeckt.

Darsteller


Jörg Hartmann («Weissensee») als Peter Faber
Anna Schudt («Alles was recht ist») als Martina Bönisch
Aylin Tezel («Almanya – Willkommen in Deutschland») als Nora Dalay
Stefan Konarske («Same Same But Different») als Daniel Kossik
Thomas Arnold («Allein gegen die Zeit») als Jonas Zander
Robert Schupp («Die Stein») als Hauptkommissar Krüger
Michael Rotschopf («KDD – Kriminaldauerdienst») als Hendrik Strehlsen

Kritik
Die erste Sequenz, eine Montage aus einer heißen Sexszene und einem Mann mit einem Messer im Bauch, lässt schon erahnen, dass es im neuen Dortmunder «Tatort» vielleicht etwas freizügiger und weniger bieder zugehen wird als in manch anderer Variante der Reihe.

Der Eindruck bestätigt sich schnell – und das völlig zum Positiven. Mit Peter Faber hat man einen Ermittler entworfen, der bei der Täterjagd in den Kopf des Mörders einzudringen versucht. Er will denken wie er, handeln wie er, und spielt mit seiner Kollegin Martina Bönisch (von Anna Schudt sehr reduziert und damit angenehm gespielt) die Mordszenen in ihrem Büro nach. Intensiv, subtextreich, ohne suggestiv zu werden, sinnlich, aber immer bedacht, immer nachvollziehbar, immer subtil in Szene gesetzt.

Dieser «Tatort» erzählt in vielen Dingen schneller und dynamischer als andere Reihen der Dachmarke und schafft es dabei gleichzeitig, vielschichtige Figuren zu entwerfen, deren Eigenarten und individuelle Sicht- und Handlungsweisen man in der ersten Folge jedoch noch nicht überstrapaziert. Da ist das unverarbeitete Trauma von Faber, das durchklingt, aber dieses Thema wird nur kurz und nur so breit, wie für den dramaturgischen Aufbau notwendig, angeschnitten. Dennoch verbirgt sich hier unbestreitbar jede Menge dramatisches Potential für kommende Ausgaben.

Der Konflikt um die Polizisten Nora und Daniel, die Jüngeren der Dortmunder «Tatort»-Gang, die ein Techtelmechtel miteinander anfangen, liest sich in der Prämisse dagegen eher nach dramaturgischer Selbstbedienung am Melodramtisch, um eine weitere Zielgruppe mitnehmen zu können. Doch man kann Entwarnung geben: Auf dem Schirm wirkt dieser Handlungsstrang, sicherlich auch dank der fragilen Inszenierung von Regisseur Thomas Jauch, sogar erstaunlich passend. Gelungen ist, dass man hier vom hemmungslosen Emotionalisieren und dem sturen Abhaken der üblichen melodramatischen Storyelemente weit entfernt ist. Und dadurch, dass man die beiden Figuren in der ersten Folge bereits so etabliert, dass sie etwas miteinander haben, entkommt man gleich dem zähen Kriegen-sie-sich-oder-kriegen-sie-sich-nicht-Spielchen.

Das narrative Konstrukt von Drehbuchautor Jürgen Werner kann in seiner dramaturgischen Stimmigkeit, der klaren strukturellen Ausrichtung und den vielschichtigen, außerordentlich interessanten Figuren nahezu vollkommen überzeugen. Ähnlich gelungen ist auch die szenische Umsetzung – vor allem auch, weil diesem «Tatort» mit Jörg Hartmann und Aylin Tezel zwei wahre Glücksgriffe gelungen sind. Hier zeigen beide von ihrer ersten Minute, was sie können, spielen fragil und nahe gehend, tough und verletzlich – und das, ohne Widersprüche zu schaffen, die einer Auflösung bedürften, sondern ununterbrochen glaubwürdig. Dadurch können sie beweisen, dass sie zu den Besten Deutschlands gehören. Die Dortmunder Truppe ist zweifellos eine Bereicherung für den «Tatort» und verlieht dem Franchise eine tolle neue Farbe.

Das Erste strahlt «Tatort: Alter Ego» am Sonntag, den 23. September 2012, um 20.15 Uhr aus.

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