Die Walt Disney Company verstärkt ihr Engagement auf dem deutschen Fernsehmarkt: Das Unternehmen wird den kleinen Spartensender Das Vierte übernehmen, der einst als Nachfolger vom GIGA-Sender NBC Europe gestartet war – mit der Ambition, den titelgebenden Platz vier auf der Fernbedienung zu bekommen. Nach einer Übernahme durch einen russischen Medienmogul und großspurigen Ankündigungen versank Das Vierte zuletzt in der Bedeutungslosigkeit, mit Marktanteilen von nur noch 0,2 Prozent beim Gesamtpublikum.
Die Übernahme durch Disney ist in mehrfacher Hinsicht ein geschickter Schachzug: Da der Kanal Das Vierte mittlerweile nahezu relevanzlos ist, dürfte der Unterhaltungsgigant nur einen Spottpreis bezahlt haben – zumal eine angedachte Übernahme durch eine britische Mediengruppe 2010 bereits gescheitert war und Das Vierte als einen Sender erscheinen ließ, den keiner will. Dennoch besitzt er einen großen Vorteil: Trotz des Mini-Marktanteils besitzt er noch einen der knapp bemessenen Plätze in analogen Kabelnetzen und wird ohnehin per Satellit und punktuell per DVB-T empfangen. Mit einer technischen Reichweite von über 80 Prozent ist Das Vierte einer der Spartensender mit dem größten Zuschauerpotenzial in Deutschland.
Genau dafür hat Disney nun Geld hingelegt – und keinesfalls für den Sender selbst, der schon bald Geschichte sein wird: Die Marke Das Vierte ist zu ramponiert, durch ausgedehnte Teleshopping- oder Astro-Programmfenster. Derzeit strahlt man werktags von 12 bis 24 Uhr nur noch knapp drei Stunden eigenes Programm aus – davon ungefähr zwei Stunden zur Primetime mit größtenteils alten Filmen. Disney, die laut Firmenwert neuntstärkste Marke der Welt, wird Das Vierte wohl schnell endgültig einstampfen.
Was aber hat man mit den gekauften Programmplätzen vor? Wenig denkbar wäre ein weiterer reiner Kindersender im Free-TV – denn damit würde Disney seinen mittlerweile vier eigenen deutschen Pay-TV-Kanälen unnötige Konkurrenz machen. Zudem ist der Markt durch Nickelodeon, KiKa und Co. gesättigt, außerdem hält Disney auch noch die Hälfte am Sender Super RTL, der ebenfalls Produktionen des Unterhaltungsgiganten zeigt. Dass dieser aber einen Sender komplett ohne Formate für die ganz jungen Zuschauer starten wird, ist ebenfalls so gut wie ausgeschlossen – zu stark ist die Marke Disney bei dieser Zielgruppe, als dass man sie bei der neuen Strategie außen vor lassen könnte.
Sollte der Entertainment-Konzern also größere Ambitionen haben, als nur einen weiteren kleinen Spartensender zu starten, wäre ein neuer Sender im Stile von Super RTL denkbar – sprich: ein Familienkanal mit Fokus auf die jüngeren Zuschauer zur Mittagszeit und auf die etwas älteren am Abend oder auch Nachmittag und Vorabend. Die eigenen, derzeit noch bei Super RTL gezeigten Programme, könnten im eigenen Hause erstausgestrahlt werden – genau so hat es einst Nickelodeon bei seinem zweiten Einstieg in den deutschen TV-Markt gemacht und Programme wie «Spongebob Schwammkopf» zurückgeholt.
Anders als Mitbewerber Nickelodeon ist Disney aber eben nicht auf Kinderformate spezialisiert. Denn mit einer riesigen TV-Unternehmenssparte in den USA im Rücken deckt Disney sehr viele Genres ab: den Sport über ESPN, die stärkste TV-Sportmarke der Welt; hochwertige Serien über die ABC Studios, die unter anderem «Once Upon a Time», «Grey’s Anatomy» und «Castle» produzieren; Familienserien durch den US-Spartenkanal ABC Family; Nachrichten der eigenen US-Newssender; Blockbuster-Filme der Disney Pictures, die im vergangenen Jahrzehnt seit «Fluch der Karibik» ihre Zielgruppe nach oben erweitert haben; oder schließlich eigenproduzierte Reality durch US-Dauerbrenner wie «The Amazing Race». Außerdem nicht zu vergessen: der riesige Serien- und Film-Fundus, den Disney nach Jahrzehnten in diesem Geschäft angesammelt hat.
Das Material, das Potenzial ist also da für einen neuen großen Player im deutschen Free-TV-Fernsehmarkt, der seit den Erfolgen von neuen Sendern wie sixx und RTL Nitro doch nicht so festgefahren scheint wie zuvor geglaubt. Disney wird diese Entwicklungen genau zur Kenntnis genommen haben, um sich in seinem kommenden Engagement bestätigt zu sehen. Sollte der Unterhaltungsgigant es wirklich ernst meinen – sprich: ein breit ausgerichtetes Familienprogramm starten zu wollen –, dann werden sich nicht nur die vielen Spartensender, sondern auch die großen Privatkanäle wegen dieser neuen Konkurrenz Sorgen machen.
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