Inhalt
Kurz vor seinem 50. Geburtstag reist der Textilunternehmer Thomas Eichner zwecks Gründung eines Joint Ventures nach Saigon. In der schnelllebigen und exotischen Großstadt kann der gemütliche Mann, der zunehmend von der eingeschlafenen Ehe zu seiner krebskranken Ehegattin Maren und dem Konflikt mit seinem erwachsenen Sohn Daniel gezeichnet ist, endlich abschalten und in eine andere, aufregende Welt abtauchen. Ohne sein Handeln zu reflektieren, lässt er sich von der deutlich jüngeren Vietnamesin Huong in einen Seitensprung quatschen. Als er am Morgen danach von seinem Geschäftspartner erfährt, dass Huong eine Prostituierte ist und das erotische Stelldichein ein Geschäftsgeschenk darstellte, zerbricht Thomas innerlich. Die neu gekostete Aufregung, Jugend und Abenteuerlust, war all das nur eine Illusion? Das will er nicht wahr haben, innerhalb der kurzen Zeit hat er sich in Huong verliebt und will sie für sich gewinnen. Gleichwohl weiß er, dass dies nicht sein darf. Er ist nicht der Typ, der ein geordnetes Leben aufgibt, der zweigleisig fährt, der Exotik und Jugend einer eingefahrenen, aber ehrlichen Ehe vorzieht. Andererseits handelt er doch bereits vollkommen abseits seiner Norm. Wie also soll er sich entscheiden?
Darsteller
Klaus J. Behrendt («Tatort») ist Thomas Eichner
Karoline Eichhorn («Marie Brand und die falsche Frau») ist Maren Eichner
Nina Liu («The Secret Life of Us») ist Huong
Florian Bartholomäi («Marie Brand und die falsche Frau») ist Daniel Eichner
Jeanette Hain («Albert Schweitzer») ist Cornelia Behlke
Uwe Bohm («Der Dicke») ist Lars Behlke
Frank Voß («Alle Jahre wieder») ist Peter Diering
Manuela Alphons («Verbotene Liebe») ist Dagmar
Holger Kunkel («Hinter Gittern») ist Rolf Ehlers
Kritik
Äußerst selten provoziert ein Fernseh-Liebesdrama sein Publikum zu solchen aus voller Seele kommenden und eindeutigen Urteilen über den Protagonisten, wie es bei «Das Jahr des Drachen» der Fall ist. Aber wie man in Diskussionen über den Film feststellen wird, können sich diese so klaren Urteile von Zuschauer zu Zuschauer mitunter gravierend unterscheiden. Denn obwohl sich jeder in seiner Meinung über den gelangweilten Gutbürger Thomas, der sich unversehens in ein exotisches Liebesabenteuer verwickelt sieht, vom Film bestätigt sehen wird, halten sich Regisseur Torsten C. Fischer und Drehbuchautor Karl-Heinz Käfer mit Wertungen zurück. Stattdessen geben sie den Betrachtern die Informationen über das Leben und die Psyche ihrer Hauptfigur ganz beiläufig mit, so dass sie sich ihr Urteil fällen können. Das kann zu interessanten Nachgesprächen führen, wobei allen fernsehenden Paaren vom Herzen gewünscht sei, dass sie sich in ihrem Urteil einig sind. Anderweitig könnte die harmlose TV-Programmbesprechung in einen handfesten Streit ausarten.
Klaus J. Behrendt empfiehlt sich mit seinem stillen, und dennoch so aussagekräftigen Spiel für eine Fernsehpreis-Nominierung im kommenden Jahr. Sein "Hemdenverkäufer" wandert mit einer fast ohnmächtigen Verletzlichkeit durch diese internationale Liebesaffäre, auf die er es nicht abgesehen hat. Er erkennt es als schreckliches Verbrechen an seiner Ehefrau, das zeigen seine betrübten Augen, aber es öffnet ihm auch eine lang ignorierte Selbsterkenntnis, versteckte er vorab seine Unzufriedenheit mit sich selbst, hat er nun Anlass, sich zu verändern. Über die gewählte Methode und den gewählten Zeitpunkt kann aber auch seine engste, ungewöhnlichste Vertraute nur den Kopf schütteln: Jahrelang versuchte sie, ihn vom Pfad der Tugend abzubringen, und nun rutscht er in Vietnam plötzlich wie von selbst vom zuvor stoisch eingehaltenen Weg. Das klingt nicht nach ihm: "Du bist nicht zynisch genug für so eine Geschichte. Du bist zu einfach nett."
Nett soll Behrendts Rolle also sein. Oder gar zu nett. Für manch jemanden eine begründete Einschätzung dieses Mannes, der sich selbst als einen Nicht-Denker bezeichnet, einen simplen Kerl in hoher Geschäftsposition, der sein Handeln nicht doppelt und dreifach reflektiert. Gleichwohl kann Thomas als mieser Betrüger mit absurden Vorstellungen bezeichnet werden. Ist der Seitensprung schon hart, lässt er Huong später bereitwillig im Glauben, er wolle sie heiraten. Versteckt sich hinter der simplen, gemütlichen Fassade ein intriganter Kerl, ein moralisch verrotteter, gelangweilter Ehegatte? Oder ist er so simpel gestrickt, dass er selbst nicht merkt, was er da veranstaltet?
Insofern ist «Das Jahr des Drachen» ein schwieriger Fernsehfilm: Die Hauptfigur ist wenig liebenswürdig, ihre Entscheidungen unbedacht und es sind weniger ihre Psyche und ihre Motive, die es für den Zuschauer zu entschlüsseln gilt, sondern der Gesamtverlauf ihres Handelns. Wann und wo wurde welche Grenze überschritten? Dass diese Geschichte darüber hinaus zu weiten Teilen von den stimmungsvollen Bildern des «Dschungelkind»-Kameramanns Holly Fink erzählt wird, die ein lebhaftes, faszinierendes doch auch distanzierendes Vietnam sowie eine sichere, aber auch verbaute deutsche Heimat zeichnen, lässt «Das Jahr des Drachen» eher wie ein Drama aus dem Programmkino wirken. Dort hätte dieses moralisch unklare Psychogramm eines einfachen Manns, dieses unromantische Liebesdrama mit seiner nachhaltigen Stimmung und starken Schauspielleistungen sicherlich die ihm gebührende Aufmerksamkeit erhalten. Vielleicht aber kann dieses Drama auch im Fernsehen von sich reden machen.
«Das Jahr des Drachen» ist am Mittwoch, dem 10. Oktober 2012, ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.