Oliver Stone. Dieser Name ließ Filmkenner einst ehrfürchtig erstarren, schuf der vornehmlich für unterhaltende, politisch motivierte Werke bekannte Regisseur doch unter anderem den Kriegsschocker «Platoon», die Präsidentschaftsdramen «JFK – Tatort Dallas» und «Nixon» sowie den Thriller «U-Turn». Stones Stern befindet sich jedoch seit einiger Zeit im Sinkflug, das Antik-Epos «Alexander» wurde verlacht, «World Trade Center» galt trotz schwerer Thematik als mutlos und selbst das vorab viel diskutierte Sequel «Wall Street: Geld schläft nicht» rief nur müde Reaktionen hervor.
«Savages» schien dazu prädestiniert, Oliver Stone wieder in alter Form zu zeigen, erzählt die Romanvorlage zu diesem Thriller doch von einem befreundeten Männer-Duo, das beide Seiten Stones repräsentiert. Den kompromisslosen Handelnden und den entspannten Weltenverbesserer. Als Drogen-Kriminalthriller bietet «Savages» Marihuana-Befürworter Oliver Stone außerdem die Möglichkeit, gleich zweifach in seinem filmischen Gebiet zu wildern, bezieht die Story doch eine politisch-gesellschaftliche Position und spickt diese mit stylischer Gewalt, die Teil einer verklausulierten Handlung ist. So weit also zu den Vorzeichen, an denen bereits kurz nach Beginn des mehr als zweistündigen Kinofilms gezweifelt werden darf.
Ein zentraler Reibungspunkt von Oliver Stones «Savages»-Verfilmung ist die Darstellung der Erzählerin Ophelia, kurz O genannt. Gespielt wird diese von Hollywood-Starlet Blake Lively, die in der Serie «Gossip Girl» und in Ben Afflecks Kriminaldrama «The Town» unter Beweis stellte, dass sie glaubwürdige Charaktere erschaffen kann, vornehmlich aber durch ihre bestätigten sowie unbestätigten Promiaffären Ruhm erlangte. Insofern scheint sie, mag man mit äußerst böser Zunge sagen, perfekt für die Rolle des verpeilten Mädchens, welches brüderlich zwischen den Öko-Marihuana anbauenden und vertickenden Protagonisten geteilt wird und sich dabei nicht wie ein Objekt der körperlichen Begierde, sondern als wohl gepriesene Person fühlt.
Auf der Leinwand allerdings potenziert sich die Wirkung dieser Figur ins Unerträgliche: Mit dauerbreitem Grinsen torkelt die Westentaschenphilosophie von sich gebende Blondine durch die Kulisse, behauptet, alles im Blick zu haben, ist tatsächlich jedoch kaum mehr als das Bückstück zweier Kumpels. Zwar wird behauptet, dass die Jungs das Mädel aufgrund ihres Charakters lieben, vorgeführt wird dies allerdings nicht. Ja, sie riskieren ihr Leben für sie, doch weshalb, bleibt unklar, Dialoge und Handlung legen höchstens die Vermutung nahe, dass nunmal der Sex unglaublich gut sein muss. Der Gegenstand von Os im grünen Rauch vernebelter Beinahepoesie ist: Der kriegerische Chon (Taylor Kitsch) ist wie Erde, er fickt, hat "Wargasmen" (ein englischsprachiges Wortspiel, bei dem sich einem die Zehennägel aufrollen), der Hippie Ben (Aaron Taylor-Johnson) ist wie Luft und macht Liebe. Lässt sich mit gutem Willen über diese Erzählerinnenkommentare schmunzeln, wird Os Geplapper alsbald zur Belastungsprobe, und spätestens, wenn sie einen an den zotteligen Haaren herbeigezogenen Bezug zum Filmtitel herstellt, reißt das naive Kindchen, das keine drei Stunden alleine klarkommt, jegliches Wohlwollen gegenüber Oliver Stones neustem Werk mit einem verplanten, doch gewaltvollen Hieb ein.
Selbstredend gibt es Filme, die von einem unsympathischen oder die rechte Sicht der Dinge versäumenden Erzähler sogar profitieren. Diese beweisen eine Distanz zur Erzählinstanz, welche «Savages» unterdessen nicht hat, zu esoterisch-paradiesisch flackern die Bilder, wenn O in ihre Vorstellungswelt abdriftet, zu wenig Ironie oder Kritik frisst sich durch ihr Tun während der Kernhandlung. Welche, und dies ist der zweitgrößte Problemfaktor von «Savages», trotz immer bemühter herbeieilender Wendungen zu dünn für die ausschweifende Laufzeit von rund 130 Minuten ist:
Zwei semiprofessionelle Drogenzüchter aus Kalifornien sollen in ein mexikanisches Kartell einsteigen, pfeifen auf den Deal und erzürnen dadurch die handgreiflichen Drogenkapitalisten (Salma Hayek und Benicio del Toro). Alsbald findet sich O in den Händen der Gangsterbosse wieder, weshalb ihre Freunde versuchen, sie mit Hilfe einiger doppelbödiger Tricks und einem korrupten Drogenpolizisten (John Travolta) zu retten. Ein Entführungsthriller also, mit Hinterlist und blutigen Schießereien. Das muss schon äußerst clever oder opulent sein, um 130 Filmminuten zu rechtfertigen, «Savages» setzt dagegen auf Fehlschläge und kleinschrittiges Vorgehen, dem aber die Nachvollziehbarkeit abhanden kommt, die vielleicht ein so niedriges Tempo erlauben könnte. Letzten Endes könnten zahlreiche Stationen auf dem Weg zum gleich zweimal erzählten Finale der Schere zum Opfer fallen, und der Handlung würde keine relevante Entwicklung fehlen.
Die Ausrede, «Savages» sei nunmal figuren- statt handlungsorientiert, gilt derweil nicht. Dazu bleiben die Figurenzeichnungen zu lückenhaft. Da wird der Hippie beiläufig zum beinharten Kerl, der Gangsterhandlanger entwickelt zwischen den Szenen einen eigenen Sinn und Oberschurken finden plötzlich ihre zarte Seite. Insofern fällt «Savages» zwischen zwei Stühle: Zu lang für einen kurzweiligen, harten Gangsterthriller, zu kurz, um den interessanteren der gezeigten Figuren angemessenen Entwicklungsraum zu spendieren. Kürzer und prägnanter oder länger und analytischer, das wären die Möglichkeiten für ein besser definiertes «Savages».
Wenn «Savages» funktioniert, dann bloß in den raren Szenen, in denen Oliver Stone den Filmtitel wortwörtlich nimmt. Nicht in den pseudophilosophischen, bedeutungsschwanger aufgebauten, bei genauem Hinschauen ultraflachen Momenten, sondern wenn Stone die Gewalt im Drogenkrieg sprechen lässt. Hier blitzt der Oliver Stone von «U-Turn» auf, ein kontrollierterer «Natural Born Killers»-Stone, ein Regisseur, der seine Figuren leiden lässt, das Publikum mit unerwarteten Gräueltaten überrascht und durch knallharte, nicht aber voyeuristische Härte wenigstens szenenweise Spannung schafft. Es ist Benicio del Toro, der die wenigen Glanzmomente des Films auf seinen Schultern trägt, mit ansteckend genüsslicher Übertreibung, schmierigem Grinsen und schurkischem Machogehabe. Auch Salma Hayek sorgt für Höhepunkte, selbst wenn ihr komplexes Spiel der Drogenbaronin wegen der emotionslosen Handlung fast verschenkt ist.
Zu guter Letzt: Es mag Taylor Kitschs Karriere nach drei US-Flops in diesem Jahr nur wenig helfen, doch mit ernster Miene und geerdeter Ausstrahlung sorgt er für den nötigen Zusammenhalt in all diesem Chaos. Zwischen seinem Hippie-Kumpel und seiner schwatzenden Dummchen-Freundin ist Kitschs Chon tatsächlich die vernünftigste, greifbarste Person in «Savages». Und das, obwohl sie der der Hitzkopf in diesem Stück ist. Was weniger darüber aussagt, dass Kitsch zu bodenständig auftritt, sondern viel eher ein Zeichen dafür ist, dass Oliver Stone die Kontrolle über die restlichen Elemente seiner Wildenstudie verlor.