Hingeschaut

'Ich glaube, dass Raab sich selbst nicht gut fand'

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Am Sonntag feierte «Absolute Mehrheit» Premiere – und überzeugte zunächst durch eine unkonventionelle Herangehensweise. Gewöhnungsbedüftig war Polit-Talker Stefan Raab, an dem sich die Geister schieden. Eine Analyse über Körpersprache und Klamauk.

22.47 Uhr – Auftakt für die erste Polittalkshow des Jahres bei ProSieben: Stefan Raabs neues Format «Absolute Mehrheit» geht auf Sendung, 92 Minuten später endet die Produktion. Was übrig blieb, war ein mutiges, vor allem auf ein nicht ganz so an Politik interessiertes Publikum zugeschnittenes, aber auch ein noch durchaus ausbaufähiges Format. Mediencoach Marcus Ewald, der unter anderem auch Politiker für TV-Auftritte trainiert, zieht eine eher ernüchternde Bilanz: „Ich habe für mich keinen Mehrwert in der Sendung gesehen. Ich glaube, dass die Zuschauer ein bisschen was gelernt haben, aber nicht genug. Mir missfällt, dass Raab den Politik-Betrieb als Zirkus darstellt. Er hat ihn zur Soap-Ebene erhoben – Herr Fuchs hat da auch mehrfach interveniert, indem er von Arbeit gesprochen hat. Raabs Ansatz war hinderlich für politische Meinungsbildung. Es ist nicht gut, wenn politische Zusammenarbeit zum Gespött wird. So wird nämlich eher eine Distanz dazu geschaffen.“

Ohne Frage aber bot dieser raabsche Ansatz auch Facetten, die erfreulich erfrischend waren. Anders als zahlreiche Talks der Öffentlich-Rechtlichten nahm Moderator Raab kein Blatt vor den Mund, fasste die Politiker durchaus hart an. Raab hatte sich gut vorbereitet, punktete sogar an der ein oder anderen Stelle gegen seine Gäste. Das gefiel auch Marcus Ewald: „Ich aber hätte mir gewünscht, dass dies häufiger passiert wäre.“ Am Moderator selbst schieden sich aber auch die Geister. So war es doch durchaus überraschend, dass Raab sich trotz der mannigfaltigen Kritik zu Beginn zahlreiche Scherze nicht nehmen ließ. Als er CDU-Mann Michael Fuchs vorstellte und ihm die Eingangsfrage stellte, lautete diese schlicht: „Wer hat die Gans gestohlen?“. Raab aber konnte auch anders und fragte beispielsweise Wolfgang Kubicki gleich zu Beginn: „Muss der Rösler weg und wie kann ich Ihnen dabei helfen?“ Eine vergleichbare Frage bekam der Politiker aus Schleswig-Holstein übrigens zwei Tage zuvor in Oliver Welkes «heute-Show» zu hören. Raab war zwar frech, ließ aber ein wenig zu häufig den flapsigen Stil von «TV total» durchblicken. „Es hat sich für mich schon in den ersten Minuten angedeutet. Die Rolle des Polit-Talkers ist nichts für Stefan Raab“, urteilt Ewald. „Ich glaube, dass er sich auch selbst nicht gut fand. Das Lob von Peter Limbourg jedenfalls hat er zurückgewiesen. Es ist Raabs Geschäftsmodell Witze auf Kosten anderer zu machen. Zumindest bei dem Spruch über Herrn Rösler ist mir der Löffel aus der Hand gefallen. Einem Polit-Profi wäre das nicht passiert. Raab hat vor der Sendung aber wohl geglaubt, dass eine solche Herangehensweise der richtige Weg ist.“

Gewöhnungsbedürftig war auch die Körperhaltung Raabs auf der großen, braunen Talkcouch, die durchaus an «Wetten, dass..?» mit Thommy Gottschalk erinnerte. Raab saß entweder breitbeinig und weit nach vorne gelehnt da oder hatte einen Fuß unter seinem Gesäß eingeklemmt – ähnlich, wie man es von ihm auch in seiner Hit-Sendung «Schlag den Raab» kennt, wenn er am Quiz-Pult Fragen beantworten soll. „Die Körperhaltung war sehr jugendlich. Das war Stefan Raab – völlig unverstellt. Er saß so da, wie er es wohl auch in Redaktionskonferenzen tut. Sie war aber auch offensiv, mitunter sogar leicht aggressiv. Ähnliches konnte man übrigens auch bei Jan van Aken beobachten“, so Marcus Ewald. Ein Hingucker waren stets die kurzen Einspielfilme, die die drei Themen einleiteten und mit „So Freunde“ begannen. Eine klare Sprache, klare Fakten und ansehnliche Grafik – vor allem den Jüngeren dürfte dies gefallen haben.

Luft nach oben besteht ganz klar noch bei der Einbindung des Voting-Manns Peter Limbourg. Die sonst manchmal recht gehetzt wirkende Sendung verlor in diesen Parts stets massiv an Tempo. Raab verließ seine Couch, spazierte rüber zu Limbourg, kündigte jeden dieser Schritte auch lang und breit an und servierte irgendwann später die Zwischenergebnisse. Besser wäre es gewesen, Raab hätte die Talkcouch nicht verlassen, sondern von dort aus mit Limbourg gesprochen. Die Zwischenergebnisse hätte man so ganz einfach auch binnen 20 Sekunden einstreuen können. Letztlich aber wurden die meist an dieser Stelle ganz spannenden Gespräche jäh unterbrochen. Dazu Marcus Ewald: „Die Runde, mit der ich die Sendung geschaut hatte, fand die Umfragen sehr nervtötend. Raab könnte sich ein Beispiel an der US-Wahlberichterstattung nehmen und die Zwischenstände einfach in einer Bauchbinde durchlaufen lassen.“

Das Votum der Zuschauer letztlich überraschte kaum: Wolfgang Kubicki, der schon seit Jahren dafür bekannt ist, absolut Frei-Schnauze zu sprechen, holte etwas mehr als 40 Prozent der Stimmen, somit aber nicht den Geldgewinn, für den 50 Prozent oder mehr nötig wären. Jan van Aken von der Linken machte im Voting wie erwartet eine überaus gute Figur, die Unternehmerin Verena Delius (a.k.a. „Die geile 3“) wurde hingegen nur Vierte. „Die Zuschauer hätten sich von ihr wohl mehr Aktivität erwartet. Sie musste fast schon immer aufgefordert werden, etwas zu sagen. Das hat sie natürlich auch sympathisch gemacht. Letztlich ist sie somit aber in eine Art Experten-Rolle geschlüpft.“

Lob gab es für Raab immerhin schon während der Sendung – von ProSiebenSat.1-Infochef Peter Limbourg, der es „sehr gut“ fand und auch der neue ProSieben-Boss Wolfgang Link war zufrieden: "Ich gratuliere Stefan Raab zu einer großartigen, voll und ganz gelungenen Premiere. Mit «Absolute Mehrheit» ist es Stefan gelungen, den jungen Zuschauern politische Themen nahe zu bringen." Ob die Politiker auf der Bühne angesichts der doch recht ungewöhnlichen Vorgehensweise Raabs diese Meinung teilten, ist nicht ganz klar. Man könnte das Gefühl haben, dass die Pilotepisode die Gästeakquise für die zweite Folge nicht gerade einfacher gemacht hat. Raab muss in diesem Punkt vor allem aber auf die extrem starke Quote verweisen. Gerade in der Gruppe der 14- bis 29-Jährigen, die mit Polit-Formaten im Fernsehen sonst kaum zu erreichen ist, hatte «Absolute Mehrheit» mit fast 25 Prozent Marktanteil mehr Zuschauer als alle ARD-Talks der vergangenen Woche.

„Nach dieser ersten Sendung wissen die Politiker zumindest genauer, was in dieser Sendung geschieht. Es kann sein, dass sie sich nun sicherer fühlen, weil sie die Risiken besser abschätzen können“, sagt Kommunikationsexperte Ewald.

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