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Der Low-Budget-Trend: Von Found-Footage-Horror und Fakedokus zum Autorenfilm

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Was haben «Paranormal Activity», Scripted Reality und «Web Therapy» gemeinsam? Sie alle sind Vertreter des kein Ende zeigenden Low-Budget-Trends.

Die US-Kinowelt bricht aus Budgetsicht derzeit nahezu entzwei: Während die Studios bei ihren Fortsetzungen und Adaptionen bestehender Werke immer weniger Furcht vor opulenten Produktionskosten aufweisen, wird auf der anderen Seite immer eifriger am Budget gespart. Allein zwischen März und November dieses Jahres starteten sieben Filme, deren Kosten sich auf mindestens 200 Millionen Dollar beliefen («John Carter», «Men in Black 3», «The Avengers», «The Amazing Spider-Man», «The Dark Knight Rises», «Battleship» und «Skyfall») und selbst Tim Burtons Gruselseifenoper-Verfilmung «Dark Shadows» verschlang rund 150 Millionen Dollar. Gleichwohl floriert derzeit auch die Low-Budget-Produktion und genießt ein noch vor wenigen Jahren nicht dagewesenes Publikumsinteresse.

Dies gilt vor allem für das Horrorgenre: Gefühlt alle zwei Wochen wird ein neuer, spottbillig gedrehter Schocker auf das Kinopublikum losgelassen – derweil sind aufwändigere Horrorfilme immer rarer gesät. Die Initialzündung für diesen Trend stellte der Überraschungshit des Jahres 2009 dar, der Found-Footage-Film «Paranormal Activity», den Regiedebütant Oren Peli 2007 innerhalb von sieben Tagen für 15.000 Dollar drehte und in den Folgejahren auf Filmfestivals zeigte. Dort erhaschte er das Interesse von Vertretern des Filmstudios Paramount Pictures, die die Rechte an dem Film erwarben, um ihn mit höherem Budget neu zu drehen und diese Version ins Kino zu entlassen. Allerdings lief eine Testvorführung so überzeugend, dass die Remakepläne fallen gelassen wurden und das Original ins Kino kam – wo «Paranormal Activity» über 190 Millionen Dollar einnahm. Seither startete jährlich im Oktober ein neuer, maximal 5 Millionen Dollar teurer Teil der Filmreihe, die mittlerweile insgesamt über 710 Millionen Dollar an Einnahmen generierte. Ein Erfolg, den Filmemacher und Studios kopieren wollen – und auch wenn kein Found-Footage-Horror der vergangenen Jahre den Hype um «Paranormal Activity» wiederholen konnte, so sind sie dank ihrer niedrigen Budgets allesamt Erfolgsgeschichten.

So generierte «The Devil Inside» trotz desaströser Kritiken und nahezu beispiellos schlechter Mundpropaganda – der Dämonenfilm erhielt bei einer repräsentativen Umfrage unter Kinobesuchern am US-Startwochenende eine glatte Sechs als durchschnittliche Schulnote – 101 Millionen Dollar weltweit. «REC 3: Genesis» derweil kam bloß auf 10 Millionen weltweit, was aber noch immer ein Vielfaches des Budgets darstellt. Man muss also kein Zyniker sein, um anzumerken, dass die Handkamera-Billigkinofilme vor allem deshalb ein solches Hoch erleben, weil diese Form des Filmemachens ihre kleine, eingeschworene Fangemeinde hat, die dank der niedrigen Budgets dieser Produktionen auch völlig ausreicht, um sie zu Erfolgen zu machen. Diese Filme sind riskofreie Selbstläufer. Allerdings gibt es auch eine Glanzseite zu diesem diskutablen Trend, finden sich neben «Paranormal Activity»-Nachahmern doch auch mit der Handkamera gedrehte Kleinode. Dazu zählen etwa der mit 15 Millionen Dollar Kosten unvergleichlich günstige Superheldenfilm «Chronicle» (Foto), der sich in seiner Charakterzeichnung Dinge traut, die in einem Big-Budget-Hochglanzsuperheldenfilm tabu wären oder das im Dezember startende Polizeidrama «End of Watch» mit Jake Gyllenhaal. Letzteres traut sich mit seinen Kosten von bloß sieben Millionen Dollar und der durch Handkameras gewonnenen Authentizität eine Kompromisslosigkeit zu, die in den USA für Furore sorgte.

Nahm «Chronicle» mehr als 125 Millionen Dollar ein, liegen die Einnahmen von «End of Watch» derzeit bei knapp 40 Millionen Dollar. Doch diese Summen hätten auch deutlich niedriger sein können, und der Low-Budget-Welle wäre dennoch kein Abbruch getan. Denn allmählich entwickelt sich ein „Trend im Trend“: Nachdem im Fahrwasser von «Paranormal Activity» das breite Kinopublikum trotz audiovisuell eskalierender Sommerunterhaltung für kleinere Produktionen sensibilisiert wurde und diverse Studios dies ausnutzten, um ein paar Gelegenheitsmillionen einzunehmen, nutzen nun auch mehr und mehr kreative Filmemacher diesen Boom für ihre Zwecke.

Die Autorenvisionen «Chronicle» und «End of Watch» sind bisher die finanziellen Speerspitzen dieses Trends, aber es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele. Hierzulande am bekanntesten dürfte Kevin Smiths Thriller «Red State» sein, den der Regisseur und Autor nach «Cop Out», seinem Ausflug in die (Pseudo-)Blockbusterwelt, selbst produzierte und auch im Alleingang in die Kinos brachte. Deutlich weniger Medien- und Publikumsaufmerksamkeit erntete hingegen Spike Lees Drama «Red Hook Summer», das weniger als eine Millionen Dollar kostete. Zwar brachte es im Kino im Rahmen eines limitierten Starts nur auf 338.803 Millionen Dollar, jedoch weckte es auf diesem Weg das Interesse eines Filmverleihs, der sich bald darauf die Rechte an einem US-weiten Start sicherte, so dass Lee dennoch Profit aus seinem Nischenfilm schlagen konnte. In eine ähnliche Kerbe schlägt der Retrohorror «The Victim», den die Hauptdarsteller Ryan Honey und Michael Biehn entscheidend mitfinanzierten.

Das Grundprinzip dieser günstigen Nischenfilme ist das Motto „Kleinvieh macht auch Mist“. Wie Doug Lowell, ein auf die Unterhaltungsbranche spezialisierter Finanzberater, gegenüber dem Branchenblatt Variety erläutert, rechnet es sich dank digitaler Vertriebswege für Filmschaffende immer rascher, das Studiosystem zu umgehen. Vorausgesetzt, das Budget stimmt: „Es wird immer machbarer, 100.000 legale Downloads auf dem heimischen und 100.000 weitere auf dem internationalen Markt zu verkaufen und einen Deal für das US-Kabelfernsehen abzuschließen. Alles zusammen sollte dafür sorgen, dass man Profit macht“, fasst Lowell die Auswertung einer Produktion mit sechsstelligem Budget zusammen.

Auch auf dem TV-Markt sind solche Günstigproduktionen längst Alltag – man blicke bloß auf die zahllosen Scripted-Reality-Formate, die sprichwörtlich für „'n Appel und 'n Ei“ umgesetzt werden und effektiv das Loch zwischen zwei Werbeblöcken füllen. Das passive Fernsehpublikum nutzt sie als Geräuschkulisse oder Fremdscham-TV, und schon ist der Gewinn gemacht. Ein Ende dieses Trends ist nicht abzusehen. TV-Produzent und Ex-Moderator Franklin proklamierte bereits in einem kontroversen Statement, dass Fiction auch für die Hälfte des üblichen Preises machbar wäre. Dass dies nicht den Untergang der TV-Zivilisation bedeuten muss, beweist seit einigen Jahren «Friends»-Darstellerin Lisa Kudrow. Deren Webserie «Web Therapy» über eine egozentrische und faule Psychotherapeutin gelang längst der Sprung ins Fernsehen und begeistert Kritiker mit treffendem, tiefschwarzen Dialoghumor sowie Gastauftritten von Talenten wie Jane Lynch oder Meryl Streep. Aus deutschen Fernsehlanden lässt sich am ehesten die TNT-Serie-Eigenproduktion «Add a Friend», ein über Text- und Videochats erzähltes, schwarzhumoriges Drama, grob mit dieser Güteklasse vergleichen.

Ob solche von Künstlern getragenen Low-Budget-Produktionen alsbald das Wegwerffernsehen, das unser Nachmittagsprogramm beherrscht, ersetzen werden, liegt indes beim Fernsehpublikum. So lange Cash-Ins wie diverse Scripted Realitys und «Paranormal Activity»-Trittbrettfahrer massive Erfolge bleiben, wird kaum ein Geschäftsführer die Notbremse ziehen. Denn selbst wenn auf dem Rücken dieser vergessenswerten Produktionen gute Projekte entstehen können, so werden sie in der Unterzahl bleiben, sofern mit weniger inhaltlicher Mühe mindestens genauso viel Erfolg gefeiert werden kann.

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