„Sind der Weihnachtsmann und der Osterhase eigentlich Freunde?“ Diese Frage haben sich wohl schon viele Kinder heimlich, still und leise gestellt. Es wäre ja schon naheliegend, schließlich arbeiten beide im selben Geschäft – das Beschenken von Kindern an Feiertagen. Andererseits arbeiten sie zu völlig verschiedenen Jahreszeiten, gut möglich, dass sie sich niemals begegnet sind. Als Buchautor und -zeichner William Joyce von seiner sechsjährigen Tochter über die Beziehung zwischen dem Weihnachtsmann und dem Osterhasen ausgefragt wurde, entschied er für sich, dass sich die beiden sagenhaften Gestalten kennen müssen. Und dass sie auch die Zahnfee, den Sandmann und den Mann im Mond kennen. Auf Basis dieser Idee erzählte Joyce zunächst seinen Kindern Gutenachtgeschichten, bevor er daraus eine Buchreihe entwickelte, die sich mit dem Karrierebeginn der Sagenfiguren beschäftigt.
Die neuste Produktion von DreamWorks Animation, dem Studio hinter «Kung Fu Panda» und «Drachenzähmen leicht gemacht», geht gewissermaßen den «The Avengers»-Weg: Die Kinoadaption der Buchreihe vereint nach den darin erzählten Werdeganggeschichten die guten Sagengestalten in einem bombastischen Kampf gegen einen übermächtigen Schurken. Denn nach Jahrhunderten in der Versenkung versucht sich der Schwarze Mann, auch bekannt als Pitch (Originalstimme: Jude Law, deutsche Stimme: Tommy Morgenstern), wieder daran, die Kinder der Welt in Angst und Schrecken zu versetzen. Und nie zuvor war er so erfolgreich in seinem Vorhaben:
Die finstere Gestalt der Nacht raubte ein paar Tricks aus der Zauberkiste des Sandmanns und flößt schlafenden Kindern finstere Albträume ein, die so mächtig sind, dass die betroffenen Kinder den Glauben an das Magische und Gute, gewissermaßen an das Licht im Leben verlieren. Also ruft der Weihnachtsmann (Originalstimme: Alec Baldwin, deutsche Stimme: Klaus-Dieter Klebsch) den Osterhasen (Originalstimme: Hugh Jackman, deutsche Stimme: Matze Knop), die Zahnfee (Originalstimme: Isla Fisher, deutsche Stimme: Hannah Herzsprung) und den Sandmann zu sich, um eine Notkonferenz der „Hüter des Lichts“ abzuhalten. Der Mann im Mond hält für das sich zankende, doch auch eingeschworene Team jedoch eine Überraschung bereit: Er teilt ihnen mit, dass sie Jack Frost (Originalstimme: Chris Pine, deutsche Stimme: Florian David Fitz) mit an Bord holen sollen. Dass sie den verspielten, zu Scherzen aufgelegten Vater des Frosts zu einem von ihnen machen sollen, erstaunt die Hüter des Lichts, aber sie stimmen notgedrungen zu. Der seit Jahrhunderten ein Außenseiterdasein unter den Sagengestalten führende Jack Frost möchte sich jedoch nicht urplötzlich der piefigen Gemeinschaft anschließen. Während die Hüter mit ihren Egos zu tun haben, nimmt die Macht Pitchs immer weiter zu …
Ein Stelldichein der fabulösen Kindheitshelden – das könnte zu einer unausstehlich kitschigen Angelegenheit führen. Aber die actionreiche Story von William Joyce und das temporeiche Drehbuch von David Lindsay-Abaire («Tintenherz») sowie die zwischen Modernität und zeitlosem Staunen balancierende Inszenierung von Regisseur Peter Ramsey («Monsters vs. Aliens – Mutanten-Kürbisse aus dem Weltall») sorgen dafür, dass bei «Die Hüter des Lichts» die zu befürchtende Zuckerüberdosis ausbleibt. Zu verdanken ist dies auch den interessanten Neuinterpretationen der altbekannten Figuren: Der Weihnachtsmann ist ein abenteuerlustiger, tätowierter, lauter Russe (mit dem begeisterungsfähigen Herzen eines Kindes), die Zahnfee eine flatterige, leicht nervöse Kolibrifrau, der Sandmann ein fast schon buddhistischer Gemütsmensch und der Osterhase ein kerniger, gestrenger Hoppelhasenmann aus Australien. Jack Frost (die US-Version von Vater Frost) wiederum wird im Film an einen pubertierenden Jugendlichen angelegt – Jack sucht verzweifelt nach einem Grund für sein Dasein und ist aufgrund seiner Orientierungslosigkeit ebenso verletzlich wie aufbrausend. In seinem Herzen ist er aber ein freundlicher, zu jedem Spaß aufgelegter Kumpeltyp, auch wenn er jemandem gegenüber erst auftauen muss, damit er einem diese Seite offenbart. Letzteres ist zwar keine sonderlich erfinderische Figurenzeichnung, dennoch tut sie ihren Dienst und lässt Jack Frost zu einer Identifikationsfigur für junge Zuschauer aufsteigen.
Die durchweg sympathischen Hüter des Lichts sorgen mir ihren denkwürdigen Persönlichkeiten auch für allerhand spaßige Dialoge, denn selbst wenn sich die Sagenfiguren untereinander respektieren, so herrscht unter ihnen ein freundschaftlich-neckischer Konkurrenzkampf. Der ewige Wettstreit zwischen dem Osterhasen und dem Weihnachtsmann, wer denn nun den wichtigeren Festtag betreut, erinnert wohlig an die Zickerei zwischen den Marvel-Superhelden in «The Avengers». Darüber hinaus haben sich die Filmemacher einige originelle Randfiguren einfallen lassen, die zusätzlichen Humor in den Film bringen. Insbesondere die Helfer (sowie die vermeintlichen Helfer) des Weihnachtsmanns dürften sich ihren Weg in die Herzen vieler Kinogänger bahnen.
Allerdings ist «Die Hüter des Lichts» keine reine Komödie, wie man es sonst von DreamWorks Animation gewohnt ist. Stattdessen strebt «Die Hüter des Lichts» einen an «Drachenzähmen leicht gemacht» erinnernden Tonfall an und mischt Action sowie Dramatik zwischen die Comedyeinlagen. Und selbst wenn die emotionalen Zwischentöne von «Die Hüter des Lichts» nicht an die Gefühlskraft des DreamWorks-Meisterwerks heranreichen, so ist der Mix aus Spannung, Witz und Rührung treffend für die Grundidee dieses Films. Die Hintergrundgeschichte von Jack Frost sollten ältere Zuschauer recht schnell zusammengepuzzelt haben, trotzdem ist die Enthüllung rührend und wird beeindruckend gut in die Kernhandlung eingebaut. Die Actionszenen sind überaus beachtlich inszeniert und im Falle des Rennens rund um die Welt, um die Aufgabe der Zahnfee zu übernehmen, auch ein wundervoller Moment, um das Wesen jeder Figur pointiert vorzuführen. Bloß das Finale ist, trotz spannender und atmosphärisch dichter Vorbereitung, zu ausschweifend und obendrein deutlich konventioneller als die restliche Story. Hier wäre es tonal stimmiger gewesen, wenn die Hüter des Lichts einen eigenständigen Lösungsweg gefunden hätten.
Optisch spielt «Die Hüter des Lichts» in zwei Güteklassen: Die ausdrucksstarken und ansprechenden Hauptfiguren agieren vor realistischen, plastisch ausgeleuchteten Hintergründen, die in der 3D-Fassung eine imposante Tiefenwirkung aufweisen. Allerdings fallen die menschlichen Nebenfiguren in einen unwohlen Bereich zwischen Karikatur und Realismus, was sie mit ihrer im Vergleich zu den Hütern so unterkühlten Mimik negativ ins Auge stechen lässt. Auch die deutsche Synchrofassung ist ein zweischneidiges Schwert: Während Klebsch eine sehr gute Performance als etwas anderer Santa Claus abliefert und Morgenstern als listiger, einschüchternder Pitch sogar Originalsprecher Jude Law in die Tasche steckt, ist Florian David Fitz in den melancholischen Momenten zu unterkühlt und Matze Knop auf dem überdeutlich an Hugh Jackman angelegten Osterhasen eine massive Fehlbesetzung. Seiner Performance fehlt schlicht das augenzwinkernd-draufgängerische des Originals.
Fazit: Ein launiges Team von Sagengestalten kämpft für das Licht im Kinderleben – und das kommt bis kurz vor dem Finale erstaunlich spritzig und rasant rüber. Ohne aufgesetzte Subversivität erfindet diese DreamWorks-Trickkomödie den Weihnachtsmann und seine Kollegen neu und unterhält somit Jung und Alt.
«Die Hüter des Lichts» ist ab Donnerstag, 29. November 2012 in vielen deutschen Kinos zu sehen.