
Na, und was hat «Vermisst» nun mit «The Prestige» von Christopher Nolan zu tun? Ist es die intensive Atmosphäre, der dichte Erzählbau? Auf verschiedenen Zeitebenen bewegt sich «Vermisst» schon mal und dass sich am Grunde der ganzen Sache ein Mysterium verbirgt, ist ja ungemein bekannt. So handelt es sich auch bei den ersten beiden Fälle der neuen Staffel nicht etwa um Platzpatronen: da gibt es den seit 2009 verschwunden Alexander, der eines Morgens einfach nicht zur Arbeit erschienen ist sowie die 40-jährige Melanie, die auf der Suche nach ihrem amerikanischem Vater ist mit dem vor vielen Jahren der Kontakt abbrach. Wie man es von der Sendung gewohnt ist, spricht eine einfühlsame Sandra Eckardt mit den jeweiligen Personen oder Verwandten, rekreiert die Schritte der Vermissten und betreibt schließlich Nachforschungen. Aber ist das nicht nur cheap entertainment mit gutem Zweck, angekurbelt durch das a-typische RTL-Schema inklusive Reanactments, Farbfilter und Effekthascherei?, fragt da der TV-Zyniker. Warum schalten wir ein? Warum sind all diese Realityshows im deutschen Fernsehen so erfolgreich, wenn sie doch in etwa so natürlich sind wie Dolly Partons Brüste? Immerhin hatte selbst «Vermisst» schon mit den Fake-Vorwürfen zu kämpfen. Als «Prestige»-Fan kennt man die Antwort natürlich.
«Vermisst» passt perfekt ins System. Und das obwohl es in «The Prestige» heißt "Niemand interessiert sich für den Mann, der verschwindet". Denn wir wissen: jeder Zaubertrick besteht aus drei Akten. Im ersten wird uns etwas gezeigt – etwas völlig Gewöhnliches. Wir zwingen uns selbst, es zu inspizieren, um zu überprüfen, dass es wirklich echt ist, unverfälscht, normal. Reality. Doch wahrscheinlich ist es das natürlich nicht. Den Effekt gibt es in Teil zwei. Das Außergewöhnliche, das Ungesehene, der Grund des Einschaltens. Also Teenager, die auf Mallorca schwanger werden oder Alexander, der seinem Kumpel einen Tag vor dem Verschwinden eine SMS mit dem Wortlaut "Heute schaffe ich es" schickt. So was eben. Denn während auf der Bühne, im Schirm, das Wunder(liche) vonstatten geht, sitzen wir ja nur in unseren Sitzen und wollen überrascht werden. Aber wie das nunmal auch in «Vermisst» läuft, gibt es hier noch keinen Applaus. Denn etwas verschwinden zu lassen ist nicht genug. Man muss es auch zurückbringen. "Das Geheimnis beeindruckt niemanden. Der Trick für den du es benutzt, ist alles", das meinte schon Christian Bale. Und wer jetzt noch bezweifelt, dass er und Nolan mit «Prestige» einen Kommentar auf die deutsche Reality-TV-Szene abgeben wollten, dem kann auch Sandra Eckardt nicht mehr helfen.

Das war er also, der Einstieg in die neue Staffel mit Sandra Eckardt, die damit den Sprung vom NDR offiziell gemeistert hat. Ob sie dem Leischik-Erbe wirklich würdig ist, lässt sich erst mit voller Gewissheit sagen, wenn wir, die Fans, etwas mehr Zeit mit ihr verbracht haben. Aber weil #5.01 im großen und Ganzen schon eine Folge wie jede andere war, waren wir, die Fans, selbstredend auch schon bereits diese Woche in der ersten Reihe dabei – Primetime hin oder her. Insgesamt kamen wir auf 4,31 Millionen Zuschauer. Und nächste Woche wird aufgestockt, ganz sicher. Was bringt euch nur immer wieder zurück?, fragt der immer noch unempfängliche TV-Zyniker. Er hat es noch nicht verstanden. Dass das, was den Otto-Normalverbraucher in die Arme von RTL & Co. treibt, sei es nachmittags für «Mitten im Leben», spät Abends für die 19:05-Sparte oder in der Primetime für Formate in der Art von «Die Superanny», nur eines ist: das Geheimnis. Das muss es sein. Der Teufelskreis schlechthin. Alles andere macht keinen Sinn – so viele Masochisten gibt es nicht. Sie suchen also nach dem Geheimnis. "Aber sie werden es nicht finden, denn natürlich ist es so, dass sie nicht wirklich hinsehen. Sie wollen es eigentlich gar nicht wissen. Sie wollen sich täuschen lassen."