Hingeschaut

«Vermisst» und «The Prestige»: Fernseh-Magie

von

Kann Sandra Eckardt Julia Leischik ersetzen? Und viel wichtiger: warum wollen wir das wissen?

Sehen Sie auch genau zu?


Gestern war Sonntag. Das wussten Sie bestimmt. Aber wussten Sie auch von der Premiere der fünften «Vermisst»-Staffel auf RTL? Selbstverständlich, was für eine Frage. Sie waren doch da, Punkt(-nahe) 19:05 Uhr, als Sandra Eckardt dann also Julia Leischik als Fernseh-Detektivin ablöste. Denn die war ja im Sommer vergangenen Jahres zu Sat.1 gewechselt, wo sie jetzt in ganz anderen Gewässern unterwegs ist: «Bitte melde dich» nennt sich das neue Format. Darüber wissen Sie sicherlich alles, denn wie der Rest der Nation haben Sie stets gewissenhaft eingeschaltet als es hieß «Zeugen gesucht», «Verzeih mir» oder eben «Bitte melde dich» und «Vermisst». Eigentlich dürfte es ja gar keine unauffindbaren Personen mehr geben bei all diesen senderlichen Suchmaschinen, spottet da der grumpige TV-Zyniker. Was natürlich Quatsch ist. Als deutsche Rundfunkstation hat man die Verantwortung tiefer zu graben und wenn es sein muss auch mal ein Medium einzuschalten. Jetzt wo «Vermisst» wieder on-air ist, kann ein Crossover mit Martin Zoller und «Verschwunden: ein Medium sucht Spuren» doch eigentlich auch nur noch Formsache sein. Wobei man den natürlich vielleicht erst wieder ausfindig machen muss.

Na, und was hat «Vermisst» nun mit «The Prestige» von Christopher Nolan zu tun? Ist es die intensive Atmosphäre, der dichte Erzählbau? Auf verschiedenen Zeitebenen bewegt sich «Vermisst» schon mal und dass sich am Grunde der ganzen Sache ein Mysterium verbirgt, ist ja ungemein bekannt. So handelt es sich auch bei den ersten beiden Fälle der neuen Staffel nicht etwa um Platzpatronen: da gibt es den seit 2009 verschwunden Alexander, der eines Morgens einfach nicht zur Arbeit erschienen ist sowie die 40-jährige Melanie, die auf der Suche nach ihrem amerikanischem Vater ist mit dem vor vielen Jahren der Kontakt abbrach. Wie man es von der Sendung gewohnt ist, spricht eine einfühlsame Sandra Eckardt mit den jeweiligen Personen oder Verwandten, rekreiert die Schritte der Vermissten und betreibt schließlich Nachforschungen. Aber ist das nicht nur cheap entertainment mit gutem Zweck, angekurbelt durch das a-typische RTL-Schema inklusive Reanactments, Farbfilter und Effekthascherei?, fragt da der TV-Zyniker. Warum schalten wir ein? Warum sind all diese Realityshows im deutschen Fernsehen so erfolgreich, wenn sie doch in etwa so natürlich sind wie Dolly Partons Brüste? Immerhin hatte selbst «Vermisst» schon mit den Fake-Vorwürfen zu kämpfen. Als «Prestige»-Fan kennt man die Antwort natürlich.

«Vermisst» passt perfekt ins System. Und das obwohl es in «The Prestige» heißt "Niemand interessiert sich für den Mann, der verschwindet". Denn wir wissen: jeder Zaubertrick besteht aus drei Akten. Im ersten wird uns etwas gezeigt – etwas völlig Gewöhnliches. Wir zwingen uns selbst, es zu inspizieren, um zu überprüfen, dass es wirklich echt ist, unverfälscht, normal. Reality. Doch wahrscheinlich ist es das natürlich nicht. Den Effekt gibt es in Teil zwei. Das Außergewöhnliche, das Ungesehene, der Grund des Einschaltens. Also Teenager, die auf Mallorca schwanger werden oder Alexander, der seinem Kumpel einen Tag vor dem Verschwinden eine SMS mit dem Wortlaut "Heute schaffe ich es" schickt. So was eben. Denn während auf der Bühne, im Schirm, das Wunder(liche) vonstatten geht, sitzen wir ja nur in unseren Sitzen und wollen überrascht werden. Aber wie das nunmal auch in «Vermisst» läuft, gibt es hier noch keinen Applaus. Denn etwas verschwinden zu lassen ist nicht genug. Man muss es auch zurückbringen. "Das Geheimnis beeindruckt niemanden. Der Trick für den du es benutzt, ist alles", das meinte schon Christian Bale. Und wer jetzt noch bezweifelt, dass er und Nolan mit «Prestige» einen Kommentar auf die deutsche Reality-TV-Szene abgeben wollten, dem kann auch Sandra Eckardt nicht mehr helfen.

Apropos: wie hat sich Leischiks Ersatz denn nun eigentlich geschlagen? Auf den ersten Blick machte sie auf jeden Fall einen sympathischen und mitfühlenden Eindruck. Tatsache ist ohne Frage, dass sie mehr auch gar nicht zu tun hat. In die Staaten fliegen und nett nach Auskunft fragen – ebenfalls nichts Neues. Die Reaction Shots bestehen aus Nicken und Lächeln, Berührungsängste gibt es glücklicherweise keine. Gegen Ende der Episode wird der Geduldsfaden dann doch etwas gestreckt, was nicht zuletzt an der zutiefst irritierenden Entscheidung liegt, Melanie mit ihrem lang verschollenem Vater per Video zusammen zu führen. Da sitzen Eckardt und die Zahnarzthelferin also auf der Couch und schauen über den 15 Zoll Monitor wie erstere diverse Orte abklappert und letztlich Lonnie, Melanie's Vater, in seinem Hintergarten trifft. Eckardt pausiert das Video. "Das ist dein Vater", grinst sie. Melanie weint. Die einzig wahre Art der Wiedervereinigung? "Wir guckn' noch'n bisschen", so Eckardt zum dritten Mal. Untermalt ist das Ganze mit dem «Der Herr der Ringe»-Score (allgemein hat man als Film- und Serienfreund hier viel Ratespaß; von «Die Bourne Verschwörung» über «Inception», «Gattaca», «Akte X» und «Six Feet Under» alles dabei). Der Zuschauer guckt dann auch (mit wässrigen Augen) als Melanie schließlich doch noch in persona mit ihrem Erzeuger konfrontiert wird. Alles in allem eine sehr solide Story, die vor allem durch die eloquente und emotionale Melanie zu überzeugen wusste.

Das war er also, der Einstieg in die neue Staffel mit Sandra Eckardt, die damit den Sprung vom NDR offiziell gemeistert hat. Ob sie dem Leischik-Erbe wirklich würdig ist, lässt sich erst mit voller Gewissheit sagen, wenn wir, die Fans, etwas mehr Zeit mit ihr verbracht haben. Aber weil #5.01 im großen und Ganzen schon eine Folge wie jede andere war, waren wir, die Fans, selbstredend auch schon bereits diese Woche in der ersten Reihe dabei – Primetime hin oder her. Insgesamt kamen wir auf 4,31 Millionen Zuschauer. Und nächste Woche wird aufgestockt, ganz sicher. Was bringt euch nur immer wieder zurück?, fragt der immer noch unempfängliche TV-Zyniker. Er hat es noch nicht verstanden. Dass das, was den Otto-Normalverbraucher in die Arme von RTL & Co. treibt, sei es nachmittags für «Mitten im Leben», spät Abends für die 19:05-Sparte oder in der Primetime für Formate in der Art von «Die Superanny», nur eines ist: das Geheimnis. Das muss es sein. Der Teufelskreis schlechthin. Alles andere macht keinen Sinn – so viele Masochisten gibt es nicht. Sie suchen also nach dem Geheimnis. "Aber sie werden es nicht finden, denn natürlich ist es so, dass sie nicht wirklich hinsehen. Sie wollen es eigentlich gar nicht wissen. Sie wollen sich täuschen lassen."

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