Tom Cruise hat in seiner Karriere in letzter Zeit wohl alles richtig gemacht. Zumindest nachdem er endlich zu realisieren schien, wie sehr er sich mit seinen peinlichen Liebesbekundungen für die inzwischen wieder von ihm geschiedene Katie Holmes sowie seiner penetranter werdenden PR für die Sekte Scientology der Lächerlichkeit preisgegeben und wie stark sein Ansehen darunter gelitten hat. So ließ er es in der Folgezeit vor der Kamera mit einer Nebenrolle in Robert Redfords sehenswertem, aber (zumindest in den USA) gefloppten «Von Löwen und Lämmern» (2007) sowie einem grandiosen Gastauftritt in Ben Stillers «Tropic Thunder» (2008) zunächst schon etwas ruhiger angehen, um sich anschließend mit dem kontrovers diskutierten Auftritt als Claus Schenk Graf von Stauffenberg in dem von Produktionsschwierigkeiten geplagten «Operation Walküre» (2008) in eine kurze Leinwandpause zu verabschieden und so die Nerven der Öffentlichkeit zu schonen.
Das fast zwei Jahre später folgende kleine Comeback in der Actionkomödie «Knight and Day»
brachte schließlich noch nicht den gewünschten Erfolg bei Publikum und Kritik und fungierte daher allenfalls als lockere Aufwärmübung für seine wahre Rückkehr zu alter Größe mit einer seiner Paraderollen im vierten Teil der «Mission: Impossible»-Reihe (2011), der am Ende gar zu Cruises ertragreichstem Film avancierte. Nach einem erneuten amüsanten Nebenrollenausflug in der allerdings wenig erfolgreichen Musicalkomödie «Rock of Ages», gelingt es ihm nun mit der einnehmenden Performance im Krimithriller «Jack Reacher» sein angeschlagenes Image weiter aufzupolieren. Die auf ihn zugeschnittene Literaturverfilmung ist zwar nicht frei von Schwächen, hat allerdings nichtsdestotrotz einen hohen Unterhaltungswert vorzuweisen, den sie zu großen Teilen ihrem überaus lässigen Hauptdarsteller zu verdanken hat.
Jack Reacher ist ein Phantom. Nach einem langjährigen und auszeichnungsreichen Dienst als Militärpolizist in der US Army ist er eines Tages abgetaucht und führt seitdem ein unbeschwertes Leben als zurückgezogener und rastlos durch die USA streifender Einzelgänger. Als ein Ex-Soldat (Joseph Sikora), der fünf unschuldige Menschen mit einem Scharfschützengewehr getötet haben soll, bei einem Verhör nach Reacher verlangt, tritt letzterer allerdings wieder auf den Plan. Obwohl die Beweise eindeutig scheinen, stellt Reacher gemeinsam mit der Anwältin (Rosamund Pike) des vermeintlichen Täters eigene Ermittlungen an und findet im Zuge dessen bald heraus, dass wesentlich mehr hinter dem fünffachen Mord steckt als zunächst vermutet.
Jack Reacher kann bereits auf eine 15-jährige Geschichte zurückblicken. Im Jahre 1997 vom britischen Autor Lee Child geschaffen, war der draufgängerische Ex-Militärermittler bereits Protagonist von 17 Romanen aus der Feder Childs. Als Vorlage für die Kinoversion diente nun das neunte Buch mit dem Titel «Sniper» (OT: «One Shot»), welches im englischsprachigen Raum erstmals im Jahr 2005 erschienen ist. Sowohl für die Adaption in ein Drehbuch als auch dessen Inszenierung zeichnet Christopher McQuarrie verantwortlich, der bereits als treibende Kraft hinter Bryan Singers «Operation Walküre» fungierte und mit «Jack Reacher» beweist, dass er es neben seiner Haupttätigkeit als Drehbuchautor auch durchaus gut versteht, selbst auf dem Regiestuhl Platz zu nehmen. Neben McQuarries gutem Verhältnis zu Tom Cruise ist es wohl auch der Produzentenfunktion, die letzterer bei «Jack Reacher» eingenommen hat, zu verdanken, dass die Rolle so gut auf ihn zugeschnitten ist.
Die anfänglichen Bedenken von Fans der fast zwei Meter großen Romanfigur, welche den gerade mal 1,70 m großen Cruise allein schon wegen ebenjener Körpergröße als Fehlbesetzung abstempelten, erweisen sich als haltlos. Cruise füllt die Rolle perfekt aus. Und das sowohl bei seiner knallharten Vorgehensweise gegen seine Gegner als auch in den ruhigeren Momenten der eindrucksvollen Ermittlertätigkeit. Ihm ist es auch zu verdanken, dass das im Grunde übertrieben coole Auftreten des sprücheklopfenden Reachers nur in den seltensten Fällen aufgesetzt wirkt. Cruise verkörpert den Ex-Militärpolizisten, für dessen Charakterisierung ein ausgewogenes Maß an erklärenden Hintergrundinformationen und offen bleibenden Mysterien gefunden wurde, mit einer unterhaltsamen Lockerheit. Mit seiner Präsenz ist er somit das unangefochtene Highlight des Films, dessen Titel zweifellos treffend gewählt ist.
Abseits der bloßen Betrachtung der Hauptfigur, weiß aber auch die Handlung des Films durchaus über weite Strecken zu fesseln, was vor allem aufgrund der etwas irreführenden Werbekampagne im Vorfeld überrascht. So ist «Jack Reacher» weit weniger ein atemloser Actionreißer, in dem Tom Cruise einen bösen Jungen nach dem anderen vermöbelt, wie es die Trailer und TV-Spots bisweilen nahelegten. Vielmehr handelt es sich bei dem Film um einen packenden Krimithriller mit relativ wenigen actionreicheren Passagen, der, zumindest anfangs, vor allem durch die Aufklärung des im Mittelpunkt stehenden Amoklaufs besticht. Ebenjene harte und atmosphärisch dicht inszenierte Eröffnungssequenz weiß bereits von Anfang an zu fesseln und das Interesse an der Lösung des Falls und den wahren Hintergründen des Ganzen hochzuhalten. So ist es am Ende sogar gerade der im Finale doch noch einmal anziehende Actionanteil, der eher ein wenig enttäuscht und im Vergleich zum intensiven Rest des Films ein Stück weit abfällt. Hinzu kommt, dass die deutsche Regiegröße Werner Herzog als hauptsächlich gegen Ende stärker in Erscheinung tretender Bösewicht, trotz seiner durchaus bedrohlichen Erscheinung, insbesondere auch in seiner (von ihm selbst durchgeführten) deutschen Synchronisation, einen etwas befremdlichen Eindruck hinterlässt.
Tom Cruise ist zurück! Wer das nach dem ausgezeichneten «Mission: Impossible - Phantom Protokoll» noch nicht mitbekommen haben sollte, erhält nun mit dem Auftritt des Hollywoodstars in «Jack Reacher» eine weitere Bestätigung dessen. Mit einer enormen Lässigkeit stellt er gekonnt das Zentrum des Krimithrillers dar und ermöglicht es dort, die bisweilen schon fast übermenschlichen Züge seiner Figur gar als amüsante Dreingabe zu akzeptieren. Darüber hinaus lassen sich Tom-Cruise-Filme mit dem Ausbleiben weiterer privater Peinlichkeiten, der zurückgefahrenen Sektenwerbung seinerseits und nicht zuletzt eine clevere Rollenwahl bei wohl dosierten Filmauftritten wieder besser genießen, sodass es auch bei «Jack Reacher» viel Spaß macht, ihm beim Ermitteln und Prügeln zuzuschauen. Auch weiß die Ausgangssituation der Handlung zu überzeugen, obgleich der weiterführende Verlauf des Gezeigten nicht gerade vor Originalität sprüht. Der ganz große Wurf mag Regisseur und Drehbuchautor Christopher McQuarrie somit insgesamt zwar nicht gelungen sein, doch weiß «Jack Reacher» insbesondere bei der spannenden Detektivarbeit der Hauptfigur durchgehend gut zu unterhalten. Mit Tom Cruise als optimale Besetzung ist somit eventuell gar der Grundstein für ein neues Filmfranchise gelegt. Genügend Ausgangsmaterial wäre auf jeden Fall schon jetzt vorhanden.
«Jack Reacher» ist seit dem 3. Januar in vielen deutschen Kinos zu sehen.