Waren die «Inglourious Basterds» in ihrem blutigen Holocaustmärchen an Undenkbarem beteiligt, beschreitet der durch Tarantino von seinen Ketten befreite Ex-Sklave Django weniger revolutionäre Wege. Und dennoch übt er paradoxerweise eine mit noch feurigerem Eifer beseelte Blutrache aus. Prügelten Lt. Aldo Raine und Konsorten die Weltgeschichte in einen anderen alternativen Ablauf, ist Djangos Suche nach Vendetta zwar historisch äußerst haarsträubend, allerdings wäre es nicht völlig unmöglich, dass etwas Ähnliches (auf weniger spektakuläre Weise) geschah und aufgrund einer Kette frustrierender Geschehnisse schlichtweg von der Geschichtsschreibung vergessen wurde. Quasi zum Ausgleich dafür, dass er in «Django Unchained» nicht mal eben das dunkelste Kapitel der US-Geschichte auslöscht, macht Tarantino Djangos Racheodyssee zu einer besonders persönlichen und leidvollen Geschichte. War «Kill Bill» ein stylischer, filmkultureller Megaremix mit Spurenelementen von Mitgefühl für die mordende Braut, steht in diesem Sklavenwestern der Handlungsbogen der Titelfigur im Zentrum – der Stilmix ist derweil nur die sie zu einem Ausnahmewerk erhebende Form.
Um die Heldenreise Djangos nicht zu untergraben, verzichtete der Kultregisseur auch auf viele der für ihn typischen Stilmittel der Distanzierung. Von wenigen kurzen Rückblenden abgesehen ist «Django Unchained» strukturell schlicht geraten, weder erzählt Tarantino seine Geschichte in chronologisch bunt gemischten Abschnitten, noch blickt er zu deutlich von einer Metaebene auf den Inhalt herab. Selbst von der Einteilung in semi-unabhängige Kapitel, die noch «Inglourious Basterds» ausmachte, sieht der Oscar-Preisträger ab. Stattdessen befolgt er, so regelkonform wie es einem Kinoanarchisten wie Tarantino möglich ist, eine klassische Drei-Akt-Struktur. Mit dieser wiederum zieht «Django Unchained» eine beeindruckend ungezügelte Schneise durch das cineastische Erbe, in deren Tradition diese Produktion steht.
Django, der Sklave, der zum Wildwestrevolverhelden mit Gangsterattitüde wurde ...
1858, irgendwo im Süden der Vereinigten Staaten von Amerika: Der aus Düsseldorf stammende Kopfgeldjäger Dr. King Schultz (Christoph Waltz) ist auf der Suche nach den Brittle-Gebrüdern, auf die eine beachtliche Summe ausgesetzt ist. Da der aufgeklärte und redegewandte Einwanderer allerdings nicht weiß, wie die drei Schurken aussehen, befreit er kurzerhand den gerade quer durchs Land verfrachteten Sklaven Django (Jamie Foxx), der den mörderischen Brüdern begegnet sein soll. Da der Deutsche Sklaverei verabscheut, aber dringend Djangos Hilfe braucht, bittet er ihn, ihm dabei zu helfen, die blutrünstigen Sklaventreiber auszuschalten. Im Gegenzug verhilft Schultz Django zur Freiheit und verspricht ihm ein Pferd sowie ein ansehnliches Entgelt. Da sich Schultz' neue rechte Hand als Naturtalent herausstellt, bietet er ihm bald darauf eine Partnerschaft an, die bei der bestmöglichen Gelegenheit dazu führen soll, Djangos Frau (Kerry Washington) von ihrem neuen Besitzer zu befreien. Wie das ungewöhnliche Duo in Erfahrung bringt, ist dies der Plantagenbetreiber (Calvin J. Candie), ein außerordentlich schmieriges, sich als besonders feingeistig verkaufendes Subjekt, das ein Faible für tödliche Sklavenkämpfe hat und einige seiner weiblichen Sklaven für Liebesdienste zur Verfügung stellt. Django und Schultz tüfteln einen gerissenen Plan aus, an Candie zu gelangen und seinen Machenschaften ein Ende zu bereiten …
Nachdem Tarantino seine Liebe zum gewaltverliebten Spaghettiwestern schon in «Kill Bill» und «Inglourious Basterds» durchscheinen ließ, kommt er mit diesem Südstaaten-Rachewestern auch unverhohlen im leider verstorbenen Italo-Genre an. Der Beginn ist mit den Weitwinkelaufnahmen staubiger Landschaften, dem überlebensgroß seine Sorgen vor sich tragenden, kernigen Helden und der 1:1 aus Sergio Corbuccis «Django» übernommenen Titelmusik ein theatraler Gewaltwestern in Reinkultur. Diese Wurzeln streift «Django Unchained» niemals ab. Da lehnt sich ein Subplot an «Mandingo» aus dem Jahr 1975 an, an anderer Stelle verlieren sich die Protagonisten in der Schneekulisse von «Leichen pflastern seinen Weg», Rückblicke sind so grobkörnig und übersättigt wie schlechte Filmkopien diverser Billigwestern und auch die heute längst verpönten Megazooms wendet Tarantino an, als wären sie nie aus der Filmsprache verbannt worden.
Stellt der Spaghettiwestern das Fundament von «Django Unchained» dar, mischt der keine Unterschiede zwischen Hoch-, Pop- und Undergroundkultur machende Drehbuchautor mit vermeintlicher Sorglosigkeit Verweise auf bleilastige Asia-Action wie John Woos «A Better Tomorrow II», filmhistorische Urwerke wie «Die Geburt einer Nation» oder den modernen Gangsterfilm unter Djangos Werdegang vom Unterjochten zur nahezu surreal fähigen Heldenfigur. Es ist Tarantinos sicherer Hand zu verdanken, dass man keinerlei Vorwissen braucht, um diesen Wust an Referenzen zu genießen, denn die eigentliche Handlung ist mitreißend und unterhaltsam genug, um auf eigenen Beinen zu stehen – zudem unterstützen die Stilwechsel stets das originäre «Django Unchained»-Material. Ist die Gewalt eingangs abstoßend übertrieben, steigert sie sich bis zu Djangos großem heroischen Moment in eine comichaft aufgesetzte, sich selber zelebrierende Orgie von Blut, die obendrein akustisch von sattem Gangsterrap begleitet wird.
Anachronistisch? Zum Teufel, ja, aber im Wilden Westen gab es bekanntlich keine E-Gitarren, und wegen deren Verwendung würde auch niemals jemand Komponistenlegende Ennio Morricone anklagen. Außerdem weiß Tarantino genau, was er tut: Wenn Django, der zunächst taktisch klug als Fernschütze agierte, den Sprung zum wild das Eisen schwingenden, mit selbstverliebter Attitüde seine Feinde abmetzelnden Superstar macht, dann öffnet sich dieser Sklavenwestern dem von Hip Hop geprägten Gangsterfilm. Und der Ex-Sklave mutiert zum Urvater des archetypischen Ghettohelden, der sich den Weg in eine höhere Gesellschaftsschicht schießt. Ärgerlicherweise sind die Anachronismen nicht immer so clever wie bei diesem stylischen Shootout – zuvor wird bereits eine simple Reitszene mit drallen Rapzeilen untermalt, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch der klassische Westerneinfluss obsiegt. Davon abgesehen behält Tarantino aber bei seinem Stilmix den Überblick und hüpft nie so wild von Einfluss zu Einfluss, dass man als Zuschauer ermüdet kapituliert – stattdessen galoppiert er so wahnwitzig, dass man ihm als Zuschauer wie gebannt folgt.
Der darstellerische Nährboden für abgehobene Regiespielereien
Auch ein inszenatorisches Wunderkind wie Quentin Tarantino käme mit seinen Spielereien niemals durch, stünde ihm kein fähiges Ensemble zur Verfügung. «Django Unchained» bietet zwar keine derart coolen Performances wie «Pulp Fiction» oder die ausgereiften Kernfiguren eines «Inglourious Basterds», dessen ungeachtet bietet auch Tarantinos Neuster einige denkwürdige Darbietungen. Dabei sind die Nebendarsteller die wahren Stars des Films: Christoph Waltz schenkt dem Kinopublikum nach dem erschreckend charmanten Fiesling Hans Landa aus «Inglourious Basterds», dessen Charisma man sich mit aller Macht verwehren wollte, eine Figur, die man mögen darf. King Schultz ist eine aufgeblasene Laberbacke, doch der deutsche Kopfgeldjäger hat das Herz am rechten Fleck und lässt nur jene unter seinem arroganten Witz leiden, die es verdient haben. Django gegenüber tritt er als liebevoller Mentor auf und es sind die gemeinsamen Szenen mit Waltz, in denen Jamie Foxx seiner Rolle die meisten Facetten abgewinnen kann. Gegenüber Waltz wächst Django vom erschöpften, geschundenen Mann mit starkem Willen zum coolen Revolverhelden, um dann zu ungeduldig zu werden und mühevoll wieder den Weg zurückzufinden. Wenn Foxx auf sich gestellt ist, kommt sein Titelheld zu einseitig selbstbewusst daher – umso genüsslicher und komplexer sind dagegen die beiden Fieslinge, denen er sich stellen muss.
DiCaprios Calvin Candie ist ein wundervoller Lackaffe, ein lächerliches Ekel, das sich hinter seinem distinguiertem Gehabe verstecken will, aber zur Freude des Publikums stets daran scheitert – bis er urplötzlich (und dennoch glaubwürdig) zu einer erschreckenden, diabolischen Präsenz wird. Samuel L. Jackson hingegen gibt eine vielschichtige Karikatur eines pervertierten Onkel-Tom-Archetyps ab, eine Figur, die urkomische Sprüche von sich gibt, deren Hintersinn allerdings dafür sorgen wird, dass dem Zuschauer das Lachen im Halse stecken bleibt. Über diese Rollen hinaus ist «Django Unchained» mit pointierten Cameos und grundsoliden Archetypen gefüllt.
Sind die Figurenentwürfe und deren Umsetzungen unterm Strich auf gewohnt hohem Tarantino-Niveau, unterliegen die Dialoge dem kunstvollen Umgang mit Sprache aus «Inglourious Basterds». War der dreisprachige Kriegsfilm ein Glanzstück an sprachlicher Raffinesse, gelingen «Django Unchained» keine erstaunlichen Kunststücke. Trotzdem kommen auch in diesem Film den Figuren wieder einmal ausführliche, magnetische Monologe über die Lippen, die in diesem Fall vor allem Waltz und DiCaprio für sich pachteten. Ebenso begnügt sich die Kameraführung auf Referenzen und atmosphärische, einprägsame Bilder, während «Inglourious Basterds» zahlreiche vielsagende Bildmetaphern bot, wie etwa ein auf Rauch projiziertes Bild einer sich in ihrer Rache suhlenden Jüdin, die auf in einer tödlichen Falle gefangene Nazis herabblickt. Solch visuelle Geschichtskommentare beschränken sich in «Django Unchained» darauf, dass Kameramann Robert Richardson blutbespritzte Baumwolle auf Zelluloid bannt.
Ob «Django Unchained» ohne die schwerwiegende Ambition von «Inglourious Basterds» besser beraten ist oder seine persönlichere, striktere Rachegeschichte neben Tarantinos eigenem Favoriten unter seinen Filmen etwas unterfüttert wirkt, werden die Fans des Kultregisseurs sicherlich noch jahrelang ausdiskutieren. Auffällig ist aber, dass «Django Unchained» der längste Streifen des Plappermauls ist, zumindest sofern man beide «Kill Bill»-Hälften als Einzelfilme zählt. Eine Ehre, die diese Produktion streng genommen nicht verdient hat, denn dafür liegt das Hauptaugenmerk auf einer zu kleinen Anzahl an Figuren, darüber hinaus mangelt es an so energetischen Regiespielereien wie sie aus «Kill Bill» bekannt sind.
Allerdings ist dieses fast schon opernartige Übertreiben Teil des Hintergrundgedanken von «Django Unchained», die Geschichte eines einzelnen Ex-Sklaven wird konsequent überhöht. Nicht umsonst zollt Tarantino im Laufe des Films sogar deutscher Sagenkultur seinen Tribut. Django, der geborene Rächer, dem man seinen filmischen Freiraum erlauben muss. Nach cineastischem Lehrbuch ein Fauxpas, doch Tarantino darf das. Als Nachfolgewerk zu Tarantinos selbst erkorenem Meisterwerk erlaubt sich «Django Unchained» ein erhöhtes Maß an ungeschliffenen Ecken und Kanten, was durch die Willenskraft aller am Film Beteiligten mehr begeistert, denn verärgert. Anders gesagt: Ungehobelt, makelbehaftet, überdimensional, faszinierend. «Django Unchained» ist tatsächlich die Rückkehr des Spaghettiwesterns.
«Django Unchained» läuft ab 17. Januar 2013 in vielen deutschen Kinos.