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Whip Whitaker (Denzel Washington) ist ein Flugkapitän, wie er aus den miesesten Pilotenwitzen entsprungen sein könnte – und somit eine Schreckensfigur für jeden, der beim Betreten eines Flugzeugs ein mulmiges Gefühl in der Magengegend verspürt. Selbst wenn er am nächsten Morgen einen Flug zu absolvieren hat, durchzecht Whip die Nacht, besäuft sich, kokst sich zu und treibt es mit Stewardess Katerina (Nadine Vealzquez). Doch kaum sitzt er im Cockpit, beweist Whip, welch Naturtalent er ist. Während sein noch unerfahrener Saubermann von Co-Piloten (Brian Geraghty) beim Anblick einer Schlechtwetterfront starr vor Furcht ist, manövriert der Lebemann kühl und selbstsicher das Flugzeug aus der Gefahrenzone. Nicht lange vor der Landung gerät die Maschine allerdings ein weiteres Mal in Turbulenzen, die dieses Mal auch Whip an die Grenzen seiner Fähigkeiten drängen. Als mehr und mehr wichtige Flugzeugteile den Geist aufgeben, entscheidet sich der alkoholisierte Tausendsassa zu einem wagemutigen Manöver, um eine kontrollierte Notlandung in die Wege zu leiten.
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Katastrophenfilm, Justizdrama, Trinker-Charakterstudie – hinzu kommen die Nebenplots um Whips neue Vertraute Nicole und seine verfahrene Familiensituation: Auf dem Papier erscheint «Flight» ungeheuerlich überfrachtet, und auch wenn Drehbuchautor John Gatis («Real Steel») die diversen Identitäten seiner Story letztlich sehr gut ausbalanciert, so zeigt das Charakterdrama auch auf der Leinwand noch immer einige ungeschliffene Ecken und Kanten. Die Oscar-Nominierung für das Drehbuch von «Flight» erscheint aufgrund einiger langgezogener Sequenzen, wie Nicoles Besuch am Set eines Pornofilms um sich Drogen zu erbetteln, und einiger letztjähriger Konkurrenzfilme, die dank ihrer Cleverness deutlich preiswürdiger wären, wie eine Fehlentscheidung, was jedoch nicht bedeuten soll, dass Gatis schlechte Arbeit lieferte.
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Negativ stößt jedoch auf, dass Gatis zwischen den realistischen, mehrschichtigen Figuren einige sehr flache Archetypen streute, um seine Erzählung auf den Punkt zu bringen. Während John Goodmans Big-Lebowski-Imitation aufgrund der Energie des schauspielerischen Schwergewichts noch zu begeistern weiß, sind Randfiguren wie Whips Sohn (der sich von seinem Vater nicht genügend geliebt fühlt und ihn deshalb von sich stößt) oder die „Preist Jesus!“ stammelnde Gefährtin von Whips Co-Piloten ärgerliches Beiwerk.
Solche Drehbuchschnitzer sind dank Denzel Washingtons fantastischer Performance allerdings leicht verziehen. Der Oscar-Preisträger erschafft einen gebrochenen Anti-Helden, der zwar aufgrund Washingtons Charisma und Whips wahnsinniger Heldentat die Sympathie des Zuschauer sicher hat, gleichwohl aber dessen Frust auf sich zieht, wann immer er die falsche Entscheidung trifft und seine Fortschritte über den Haufen wirft. Ohne in die altbekannten Gemeinplätze des Subgenres zu treten, macht sich Washington somit zum magnetischen Zentrum einer, hin und wieder auch nicht vor gesundem Zynismus zurückschreckenden, Trinker-Charakterstudie. Eindeutig ein Karrierehoch!
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Fazit: Denzel Washington kreiert in diesem Drama eine glaubwürdige, vielschichtige Figur, die von ihren Dämonen gepeinigt wird, und lässt das Publikum darüber Nachgrübeln, wie man sich seine zweite Chance verdienen kann. Zumindest Regisseur Robert Zemeckis hat sich seine Chance auf Wiedergutmachung für die vergangenen 13 Jahre seiner Karriere verdient, denn selbst wenn «Flight» mit einer etwas schlankeren Laufzeit prägnanter wäre, ist Zemeckis' Rückkehr zum Realfilm eine viel versprechende.
«Flight» startet am 24. Januar 2013 in den deutschen Kinos.