Wir Zuschauer leben derzeit im besten aller Serienzeitalter: Noch nie gab es so viele, so hochwertige TV-Serien wie derzeit, noch nie gab es so viele Verbreitungswege wie heute, die uns einen zeit- und ortsabhängigen Konsum unserer Lieblingsformate ermöglichen. Hochwertige Serien sind daher längst Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden: Ausgehend von mittlerweile im wissenschaftlichen Diskurs etablierten Genrebegriff „Quality TV“ wird erforscht, wie solche Serien funktionieren, welche gemeinsamen Merkmale sie aufweisen, wie sie das Fernsehkonusmverhalten der Zuschauer verändern.
Damit einhergehend hat sich auch der journalistische Diskurs in den vergangenen Jahren stark verändert: Mehr Menschen als je zuvor verdienen ihr Geld damit, über Serien zu schreiben. Und – zumindest in den USA – sind Quality TV-Formate seit Jahren in der Mainstream-Presse ein beliebtes Thema. Die deutschen Medien haben hier großen Nachholbedarf. Spannend ist vor allem auch ein Blick darauf, wie sich diese journalistische Rezeption selbst verändert, parallel zur Entwicklung des Quality TV.
2008 startete «Breaking Bad» beim amerikanischen Kabelsender AMC und entwickelte sich im Laufe der Staffeln zur wohl meistgelobten Serie dieser Zeit. Auf der Seite Metacritic.com, welche die Kritikermeinungen mit Punktewertungen versieht, erhielt die erste «Breaking Bad»-Staffel noch 74 Punkte (von 100) – fast unvorstellbar für die heute maßlos gefeierte Serie, die mit der fünften Staffel auf 99 Punkte kommt.
Zwei Dinge sind besonders auffällig, betrachtet man die Rezensionen von früher und heute: 2008 stellte sich noch kaum ein Journalist vor, in welche Richtung sich «Breaking Bad» entwickeln würde. Vielmehr verglich man das Format oft mit dem komödiantischen «Weeds», das ebenfalls Drogen zum Thema macht: “Wisely, writer/director Vince Gilligan («X-Files») uses our societal desire to keep the drug at a distance to fuel Walt's dilemma and to separate his show from the lighter, more comic «Weeds»” (USA Today, 17.01.2008). Detaillierte Vergleiche mit anderen bahnbrechenden Drama-Serien wie «The Sopranos», «Mad Men» oder «The Wire» kamen erst später auf, als «Breaking Bad» sich als revolutionäres TV-Format etablierte.
Dies schreibt auch Chuck Klosterman im Jahr 2012, der die vier genannten Serien in Bezug setzte: „«Breaking Bad» is the only one built on the uncomfortable premise that there's an irrefutable difference between what's right and what's wrong, and it's the only one where the characters have real control over how they choose to live.” Wie sehr sich «Breaking Bad» – und damit auch ihre Rezeption – verändert haben, bringt Klosterman ebenfalls auf den Punkt: “It seemed like this was going to be the story of a man (Walter White, portrayed by Bryan Cranston) forced to become a criminal because he was dying of cancer. That's the elevator pitch. But that's completely unrelated to what the show has become.”
Das zentrale Serienmerkmal – Whites induzierter Charakterwandel – hat sich zwar früh gezeigt, der anhaltende Prozess des moralischen Verfalls stülpt aber erst später eine zweite, metaphysische Ebene über den eigentlichen Serieninhalt. Diese Ebene wirft Fragen auf, wie David Segal in der “New York Times” schreibt: „Do we live in a world where terrible people go unpunished for their misdeeds? Or do the wicked ultimately suffer for their sins?” (06.07.2011)
Was lehrt uns all das? Zunächst einmal die wunderbare Tatsache, dass sich Quality TV-Serien entfalten. Dass sie sich in Richtungen entwickeln können, die wir nie hätten vorhersehen können und dass dies uns Zuschauer gut unterhält, geradezu an den Fernsehsessel fesselt. Aber es lehrt uns auch, dass wir über diese Formate nicht zu vorschnell urteilen dürfen – in der Medienlandschaft werden allzu gerne und häufig Pilotfolgen kritisiert, die späteren Handlungsentwicklungen sind dann nicht mehr allzu oft Gegenstand der Diskussion. Auch Zuschauer schreiben manche Serie vielleicht vorschnell ab, nachdem sie kurz hereingeschaut haben.
Umgekehrt wäre es besser. Komplexe Quality TV-Serien können nicht nach einigen Folgen oder der Pilotepisode professionell betrachtet werden. Sondern sinnvoll und fundiert erst nach einer Staffel oder gar mehreren, wie im Fall von «Breaking Bad». Ideal wäre es, wenn Diskurs über eine Serie dann am intensivsten ist, nachdem die letzte Folge ausgestrahlt wurde. Berühmte Finals wie von «Lost» oder «The Sopranos» sind die besten Beispiele dafür – in negativer wie positiver Hinsicht.
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