Der Kult nahm am 12. Juni 2009 seinen Anfang, damals, als MTV noch frei empfangbar war und Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf zu den letzten Vertretern der aussterbenden Art des VJs gehörten. «MTV Home» bündelte all den jugendlich-ungezwungenen Unsinn, den man viele Jahre zuvor zwischen Musikclips noch von MTV-Moderatoren erwarten durfte, und packte ihn in eine voller absurder Details sprühende Vorstadthäuslein-Kulisse. Anfangs waren die zahlreichen Interviewgäste der Dreh- und Angelpunkt der Show, welche durch die augenzwinkernde Rivalität der beiden Moderatoren und ihren Hang zum pythonesken Non sequitur innerhalb weniger Ausgaben vom kurzweiligen TV-Vergnügen zu einem wundervoll dreisten Fernsehgeheimtipp wurde. Zwischen die Musikgäste drängten sich mehr und mehr andere Interviewpartner, alsbald nahmen auch Schauspielstars und hohe Vertreter der Pornobranche auf dem Sofa Platz. Der geschmackvolle Tabubruch und das in sich schlüssige Schwachsinnsinterview gewannen in «MTV Home» an Bedeutung.
Spätestens nach zwei Monaten fand «MTV Home» den Groove, den die Show bis zum Schluss beibehielt und perfektionierte. Joko & Klaas begannen damit, sich in Anarcho-Einspielern zu duellieren, die den frechen Stefan Raab der frühen «TV total»-Zeit blass vor Neid gemacht hätten: Auf Messen und anderen Großveranstaltungen kam es in der Rubrik „Wenn ich du wäre“ zu verrückten Mutproben, in anderen Filmchen testeten die Moderatoren ihre Ausdauer im Schneefrühstücken oder beim Wrestling in Sportmaskottchenkostümen.
Mit dem Wechsel zu ZDFneo änderten sich Erscheinungsbild und einige Details – und das war das Erfolgsgeheimnis dahinter, wie Joko & Klaas ihre Fanbase behalten und in aller Ruhe dank des Weberfolgs der Sendung ausbauen konnten. Konstanz ohne stillzustehen: Im «neoParadise» tauschten Joko & Klaas ab dem 6. Oktober 2011 die pseudo-spießige Häuschenkulisse gegen ein Loft im Möchtegern-Undergroundlook und nahmen, passend zum Senderwechsel, häufiger ihr Chaotenimage und die derbsten Seiten ihres Humors satirisch auf den Arm. Der Gästefokus löste sich noch stärker von der Musikwelt, ebenso fanden Joko & Klaas neben Teenagerproleten auch in der selbsternannten kulturellen Elite von morgen neue Lieblingsopfer.
Die „Kernmarke“ blieb derweil bestehen. Abwechslungsreiche Interviews wie das Pointenfeuerwerk mit Miss Piggy, das Vorbereiten von Standard-Promo-Fragen, Wissensfragen, Schwachsinnsfragen und Fragen im Stil von Markus Lanz für Sido und H.P. Baxxter oder die Wette mit Nelly Furtado, garantiert nur bislang ungestellte Fragen aus dem Hut zu zaubern, sorgten für regelmäßige Abwechslung in den lockeren Gesprächsrunden und die berühmt-berüchtigten Einspieler behielten ihre Mischung aus kalkuliertem Schwachfug und erhellender Selbsterkenntnis bei. Als Beispiel dient etwa die Besoffenenolympiade gegen das Team des Sat.1-Frühstückfernsehens: Dass sich Joko, Klaas und ihre Redaktion hemmungslos volllaufen lassen, lässt auf dem Papier reinstes Assifernsehen befürchten. Doch die Profispinner suhlen sich nicht selbstgefällig in ihrer Dreistigkeit, sondern zeigen durchweg Eigenscham, was bereits den Grundstock für kurzweiliges Chaosfernsehen legt. Dass sie sich gegenseitig gleichwohl darin bestärken, Unruhe zu stiften und dafür in Grund und Boden versinken, ist wiederum ein Markenzeichen für Joko und Klaas – bei Aktionen wie der Besoffenenolympiade weiß man als Zuschauer kaum noch, ob man zu den Verrückten halten darf oder nicht, eine Verwirrung, die von der Inszenierung sogar bestärkt wird. Und deshalb weisen selbst sinnlose Wettbewerbe wie dieser medial mindestens zehnfach so viel Gehalt auf wie das gesamte Nachmittagsprogramm diverser Privatsender zusammengenommen.
Wann immer diese Spurenelemente der Medienpersiflage zu blödelnder oder gar vollauf bissiger Mediensatire aufblühten, erreichte «neoParadise» seine Höhepunkte. Schon in «MTV Home» imitierten Joko & Klaas diverse Formate, um deren Schwächen aufzudecken, aber bei ZDFneo kam es vermehrt zu solchen Köstlichkeiten. Bereits in der ersten Ausgabe parodierten sie ihre üblichen Wettbewerbseinspieler, indem sie Jokos Unfall bei einer Eishockey-Mutprobe im Stile zahlreicher Fernsehinstitutionen (von arte-Zwischeneinspielern zu «TV total») ausschlachteten. Den Medienaufruhr nach Hape Kerkelings Verzicht auf die «Wetten, dass..?»-Moderation verglichen sie dagegen mit der Berichterstattung über wahre Katastrophen (und kamen zur erschreckenden Erkenntnis, dass tragische Weltereignisse die deutschen Medien nie so effektiv wachrüttelten wie Kerkelings Absage) und auch das Internet-Protestvideo «Kony 2012» war nicht vor ihnen sicher.
Da das Kreativteam hinter der Sendung mit Joko & Klaas am 25. Februar mit in den «Circus Halligalli» wechseln, steht zu erwarten, dass sich zwischen der ProSieben-Sendung und dem ZDFneo-Format ähnlich viel tut wie zuvor beim Wechsel von MTV zum Digitalsender. Der Humor der Sendung wird weiterhin einem, um es mit den Worten der Moderatoren zu sagen, „Kindergeburtstag für Erwachsene“ gleichen – wieso auch sollte ProSieben seinen Hoffnungsträgern einen Maulkorb verpassen? Ihre Mixtur aus Wahnsinnsaktionen und anspruchsvoller Verpackung der Einspielfilme hatte mit «Joko gegen Klaas – Das Duell um die Welt» bereits Quotenerfolg und Mediensatire gibt’s beim Münchener Sender dank «Switch reloaded» ebenfalls längst und das ohne Querelen. Im Gegensatz zu ZDFneo muss ProSieben auch nicht fürchten, bei zu großem Nonsense auf einen Kulturauftrag angesprochen zu werden. Selbst der bei «neoParadise» zu neuem Ruhm gelangte Olli Schulz wurde für «Circus Halligalli» als Rückkehrer bestätigt, sogar mit seiner gefürchteten Kunstfigur Charles Schulzkowski. Ebenso bleiben die meist eher reines Beiwerk darstellende Oma Violetta sowie Palina, Violettas Vorgängerin im Geiste, erhalten, wobei letztere hoffentlich wieder öfter aufkreuzt als noch zu «neoParadise»-Zeiten.
Sofern die Quoten stimmen und der Sender mitspielt, ändert sich allen Vorzeichen nach also nur eins: Das Budget. Und selbst mit dieser Änderung gehen Joko & Klaas, zumindest in den Trailern, mit altbekanntem Humor um:
Man darf somit optimistisch der Zukunft von Joko & Klaas entgegentreten. Ihr Humor bringt bei ProSieben Quote und das Duo blieb sich bislang bei Senderwechseln treu, ohne zu stagnieren. Aber das deutsche Fernsehpublikum ist – zumindest bei Qualitätsware – unberechenbar. Sollte also «Circus Halligalli» den Weg von «neoParadise» gehen (alle reden drüber, niemand mit Quotenbox schaut es sich bei der TV-Erstausstrahlung an) bleibt nur zu hoffen, dass ProSieben mit seinen neuen Enfants terribles ebenso geduldig ist wie mit Stefan Raab und seinem quotentechnisch wankelmütigen «TV total». Denn als Niveau und Stumpfsinn meistervoll einende Sendergesichter sind Joko und Klaas auf Dauer mehr wert als der durch hohe Quoten am Montagabend schnell verdiente Heller.