Die Kritiker

«Bin ich ICH?»

von

Die anregende BBC-Reportage beschäftigt sich mit der naturwissenschaftlichen Suche nach dem Verstand.

Der zentrale Akteur der BBC-Reportage «Bin ich ICH?» ist Marcus du Sautoy, Mathematikprofessor an der angesehenen Universität Oxford. Aber wird sich du Sautoy am Ende seiner Wissenssuche noch selber erkennen? Und was macht ihn eigentlich zu ihm? Gewiss ist sein Verstand ein wichtiger Teil seiner Identität. Doch schon bei dieser Begrifflichkeit beginnen die Probleme. Viele Naturwissenschaftler wollen den Begriff der „Seele“ verbannen, denn in aufgeklärten Zeiten habe der Verstand Vorrang gegenüber irrationalem Glauben. Aber was ist dann dieser ominöse „Verstand“, wie lässt er sich wissenschaftlich umreißen, wie lässt sich messen, was meinen Verstand vom Verstand des nächstbesten unterscheidet?

Der analytisch veranlagte, charmante Brite du Sautoy verfolgt in seiner informationsreichen wie wagemutigen Reportage einen brennenden Fragekomplex: Wo sitzt das Bewusstsein eines Menschen, wie definiert es sich, wie kommt es zustande? Der 43-Jährige unterzieht sich zur Beantwortung dieser Fragen zahlreicher neuropsychologischer Tests, manche von denen kaum erprobt und mit der Gefahr einschneidender Nebenwirkungen. Er könnte den Verstand verlieren, vergessen, wer er ist. Aber, wer weiß schon genau, wer er ist?

Die 45-minütige BBC-Produktion bietet zahlreiche interessante Erkenntnisse, die du Sautoy mit ansteckendem Eifer vermittelt. So täuscht uns unser Gehirn vor, Entscheidungen zu treffen – dabei lässt sich messen, dass schon sechs Sekunden vorher in den Windungen der Gehirnstruktur die Impulse vermittelt wurden, das zu tun, wozu man sich angeblich noch entscheiden wird. Eine weitere, handhabbare Information aus dieser Reise durch das Themengebiet Bewusstsein: Menschen erkennen spätestens nach 24 Monaten sich selbst in spiegelnden Oberflächen. Und allein schon diese einfachste Form der Selbsterkenntnis ist neurologisch höchst komplex, so dass wir sie vielen Tieren voraus haben.

Die Versuche, objektiv jenes zu messen und zu erklären, was das subjektive Empfinden und Erfahren eines Menschen ausmachen, werden komplexer und riskanter, sobald sich der Mathematiker allmählich betäuben lässt, um festzustellen, welche Regionen des Gehirns für das Bewusstsein zuständig sind. Der nachvollziehbare, von Neugier und Selbstsuche geprägte Off-Kommentar du Sautoys vermag nicht nur, die Erfahrungen, die er bei diesen Tests macht, nahe zu bringen, sondern auch den Zuschauer zum Nachdenken anzuregen. Dass du Sautoy bekennender Atheist ist, verleiht der Diskussion einen besonderen Dreh: Die spirituelle Suche nach dem immateriellen Geist ist im wissenschaftlichen Kontext detaillierter, reicht tiefer, aber am Schluss gelangt auch sie an einem Punkt, wo schwammige Begriffe des „Ichs“ und seiner Selbst unvermeidlich sind. Ein schwedischer Forscher etwa erklärt dies damit, dass das Konzept des Dualismus, Körper und Denken seien getrennt, in der Funktionsweise des Gehirns verankert ist. Feste Antworten kann du Sautoy jedoch nicht geben und er möchte seine Zuschauer mit den wirklich großen Fragen auch ganz bewusst allein lassen.

Die BBC-Reportage ist aufgrund ihrer Fülle an Infos und Denkansätzen mit ihrer 45-minütigen Laufzeit etwas hastiger als man es sich nach der anregenden Suche nach Antworten wünscht. Trotzdem ist sie ein Paradebeispiel dafür, wie abstrakte Themen verständlich zusammengefasst werden können, ohne sie zu ihrem Anspruch zu berauben.

ZDFneo strahlt «Bin ich ICH?» am Samstag, den 9. Februar 2013, um 18.45 Uhr aus.

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