Inhalt
Im Mittelpunkt steht die junge Luisa, die Anfang der sechziger Jahre aufgrund der Erkrankung ihrer alleinerziehenden Mutter von den Behörden in die Obhut eines Kinderheims geschickt wird. Hier erfährt sie die ganze Härte des Systems, wird seelisch und körperlich misshandelt und dient als billige Arbeitskraft. Einziger Lichtblick ist der stille Junge Paul, mit dem sie schließlich dem Grauen entkommen will. Im Berlin des Jahres 2008 treffen Luisa und Paul nach 44 Jahren erneut aufeinander. Beide haben bisher über ihre Erlebnisse geschwiegen und sich in die Verdrängung geflüchtet. Doch Luisa sieht den Zeitpunkt für sich gekommen, ihr Schicksal öffentlich zu machen und sich damit ihrer Vergangenheit zu stellen.
Darsteller
Senta Berger («Kir Royal») ist Luisa Hamilton
Matthias Habich («Der Vorleser») ist Paul Berghoff
Alicia von Rittberg («Barbara») ist Luisa Keller
Leonard Carow («Gefährten») ist Paul
Marie Anne Fliegel («Helden wie wir») ist Schwester Elisabeth
Birge Schade («Staub auf unseren Herzen») ist Schwester Ursula
Jasmin Schwiers («Otto’s Eleven») ist Jana
Anke Sevenich («Geld.Macht.Liebe.») ist Schwester Clara
Antje Schmidt («Der Stellvertreter») ist Gertrud Keller
und andere
Kritik
Es ist starker Tobak, mit dem sich der israelische Regisseur Dror Zahavi («Mein Leben – Marcel Reich-Ranicki») für seinen TV-Film «Und alle haben geschwiegen» befasste. Das herbe Drama thematisiert den Alltag in einem kirchlichen Erziehungsheim, Mitte der sechziger Jahre. Die Story um Hauptfigur Luisa ist eine fiktive, der Hintergrund ihres hier erzählten Martyriums basiert jedoch auf Tatsachenberichten, die erstmals 2006, durch das Sachbuch „Schläge im Namen des Herrn“ des Spiegel-Autors Peter Wensierski, an die breite Öffentlichkeit gelangten.
Zahavi nähert sich der Geschichte aus zwei verschiedenen Richtungen. Während sich der Zuschauer zu Beginn des Streifens an einem runden Tisch im Bundestag wiederfindet, an welchem die Geschehnisse der Sechziger rekapituliert werden sollen, nehmen den Großteil der Laufzeit die Rückblenden ein, die als Geschichte innerhalb der Geschichte die Ereignisse auf ebenso harte wie kompromisslose Weise nacherzählen. Dabei grenzen sich die beiden Welten vor allem optisch voneinander ab: Wirken die Aufnahmen innerhalb des Bundestags übertrieben steril, aalglatt und fast futuristisch, werden die Rückblenden vor allem von einem dreckig-grauen Farbfilter dominiert, der auch aus den wenigen hell ausgeleuchteten Szenen jegliches Frohgefühl herauszunehmen vermag. Vor allem die unrealistische Sterilität der Aufnahmen, die das Hier und Heute repräsentieren, lässt dabei schnell die Assoziation zu, die Verantwortlichen wollten hier bewusst die Abgrenzung zu den Geschehnissen aus der Vergangenheit zum Ausdruck bringen. Die elegant gekleideten Damen und Herren haben mit der dreckigen Vergangenheit absolut nichts zu tun und befassen sich lediglich aus sicherer Entfernung mit dem Thema; Erst wenn eine sichtlich vom Schicksal gezeichnete Senta Berger alias Luisa eintritt, kommt Leben in den Raum.
Ebenso viel Leben bringen auch sämtliche Darsteller in ihre Figuren, deren Charakterisierung Regisseur Dror Zahavi viel Platz einräumte. Im Mittelpunkt steht hier zum einen die 19jährige Alicia von Rittberg, die in «Barbara» bereits auf der großen Leinwand zu sehen war und in «Und alle haben geschwiegen» eine packende Leistung abliefert. Ihre Verkörperung einer jungen Frau zwischen Verzweiflung und Hoffnung ist mitreißend und faszinierend zugleich, schafft es aber vor allem auch, eine beeindruckende Authentizität auf das Publikum zu übertragen. So geht sie, im wahrsten Sinne des Wortes, in ihrer Rolle auf, wird von einer starken, heranwachsenden Frau zu einem Häufchen Elend, verliert dabei jedoch nie das Funkeln in ihren Augen. Die Vielschichtigkeit der Figur, an der einige ihrer Kolleginnen sicher verzweifeln würden, meistert von Rittberg mühelos. Overacting oder das Herunterrattern auswendig gelernter Texte: Fehlanzeige!
An ihrer Seite brilliert Leonard Caroch, der durch sein Mitwirken in Steven Spielbergs Kriegspferde-Drama «Gefährten» bereits Hollywoodluft schnuppern durfte. Seine Screentime fällt insgesamt geringer aus und im Vergleich zur Figur der Luisa erscheint sein Charakter Paul weniger ausgefeilt. Dennoch hat auch er unheimlich starke Charaktermomente, etwa wenn er in einer minutenlangen und damit quälenden Einstellung körperlich gezüchtigt wird. Wenn Caroch in dieser Szene die Tränen in die Augen schießen, er am ganzen Leib zittert und seine Stimme immer brüchiger wird, ist das deutsche Schauspielkunst auf höchstem Niveau. Gemeinsam entwickelt sich zwischen den beiden eine zart aufkeimende Liebesbeziehung, der jedoch nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, als nötig. Kleine Gesten und wohlgewählte Worte verdeutlichen die Bindung der beiden, rücken sie dabei aber nicht in den Fokus der Erzählung. Dennoch ist diese angedeutete Lovestory nicht unwichtig und lässt glaubwürdig durchschimmern, weshalb vor allem Luisa die Hoffnung nicht verliert.
Gerade die Szenen, in denen die Misshandlungen gezeigt werden, sind es, die «Und alle haben geschwiegen» teilweise schwer erträglich machen. Lange Kameraeinstellungen (verantwortlich: Gero Steffen), die das Publikum zum Zuschauen zwingen, provozieren und drängen den Zuschauer dabei gleichzeitig in eine ebenso hilflose Rolle wie die Figuren. Dabei gehen die brutalen Bilder nie in einen Bereich, der die traumatischen Erlebnisse genussvoll zelebriert. Mehr noch: Die einzigen Einstellungen, in denen explizit Blut zu sehen ist, entstammen einer Albtraumsequenz der Protagonistin. Das, was gezeigt wird, ist jedoch nicht minder dramatisch und appelliert dabei vor allem an die Vorstellungskraft des Zuschauers, der so auch umgehend gezwungen ist, sich bewusst mit dem Gesehenen auseinanderzusetzen. Drehbuchautorin Andrea Stoll («Der kalte Himmel») gelang mit dieser Erzählweise ein intelligentes und den Zuschauer forderndes Psychodrama.
Auf unnötigen Schnickschnack wie hervorstechende Musik oder Experimentierfreudigkeit bei Kameraführung und Schnittarbeit verzichteten die Verantwortlichen. «Und alle haben geschwiegen» konzentriert sich ausschließlich auf seine Geschichte, sowie die tiefgründige Entwicklung ihrer Charaktere. Manch einem mag bei dieser Art von Inszenierung das Tempo oder die Überraschung fehlen. Jedoch sollte dem Publikum vorab klar sein, dass er hier ein Drama präsentiert bekommt, welches sich mit wahren Vorgängen auseinandersetzt und dadurch stellenweise auch einen leicht dokumentarischen Touch erhält. Vor allem in der Abschlussszene sowie direkt vor Einsetzen des Abspannes wird noch einmal auf die vergangenen Geschehnisse hingewiesen. Somit ist «Und alle haben geschwiegen» mit Sicherheit ein TV-Film, der Aufsehen erregen wird. Dabei ist er von solch einer hohen Qualität und mit einer beeindruckenden Rigorosität konzipiert, wie es das Thema verlangt und verdient hat.
Das ZDF zeigt «Und alle haben geschwiegen» am Montag, den 04. März um 20:15 Uhr.