
Die theoretischen Schlüsse, die man aus diesen neuen Umständen ziehen kann, hören sich zunächst zuversichtlich an: Wenn Zuschauer dazu übergehen, sich die Inhalte abseits des linearen Fernsehens nach ihren Interessen – vielleicht sogar durch Bezahlung – selbst zusammenzustellen, dann bekommen sie noch mehr Macht über das, was gesendet und produziert wird. Denn wenn Sendungen gezielt durch Klicks, Käufe und Abrufe massenhaft gesucht werden, dann scheinen sie viel richtig zu machen. Hier liegt auch der Unterschied zur normalen TV-Quote, wie am Beispiel «Berlin – Tag & Nacht» bereits oft gezeigt wurde. Während die Quote anfangs im Keller dümpelte, stiegen die Abrufzahlen im Netz und die Likes bei Facebook rasant – erst allmählich zog danach die Quote an. Heute ist «BTN» eines der zielgruppenstärksten Vorabendprogramme und das beliebteste deutsche TV-Format bei Facebook, mit über 2,6 Millionen Likes. Umgekehrt geht es auch, wie erfolgreiche TV-Sendungen zeigen: Laut Senderangaben erreichten Shows wie «Der Bachelor», «Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!» (beide RTL) und «Germany’s Next Topmodel» (ProSieben) im Netz teils über eine Million Abrufe von einzelnen Folgen. Sinkt also hier die TV-Quote, ist dies – aufgrund vielleicht gestiegener VOD-Zahlen – nicht zwangsweise ein Zeichen für sinkenden Erfolg.
Solche Beispiele verdeutlichen, wie wichtig eine Integration dieser Abrufzahlen in die eigentliche Quote wäre, die im heute diversifizierten Content-Geschäft nur noch einen Teil der Zuschauer abbildet: denjenigen Teil nämlich, der TV-Sendungen linear und direkt als Erstausstrahlung konsumiert. Damit beinhaltet die Quote zwar weiterhin das wichtigste Stück des gesamten Zuschauerkuchens, aber sie wird in dieser Form – und mit voranschreitender technischer Entwicklung – immer weniger aussagekräftig. Denn nicht nur Abrufe im Netz (auch mobil) werden ausgeklammert, sondern beispielsweise auch Aufnahmen von digitalen Videorekordern. Die Nutzung solcher DVR-Geräte ist in den vergangenen Jahren rasant gestiegen, in den USA beispielsweise von rund 13 Prozent vor fünf Jahren auf mehr als 50 Prozent heute.

Und die Quotenevolution in den USA geht weiter: Im vergangenen Herbst hat das Unternehmen Nielsen die sogenannten „Cross-Platform Campaign Ratings“ angekündigt – Daten, die auch Online-Abrufe beinhalten und somit dann die gesamte Palette der erreichten Zuschauer abdecken. „Dies ist das erste Mal, dass wir aufzeigen können, wie viele Menschen eine Werbekampagne gesehen haben, unabhängig davon, wo sie gelaufen ist“, sagt Nielsen-Werbechef Steve Hasker zur neuen Messmethode.

Und Deutschland? Hierzulande hinkt man in Sachen Quotenmessung noch hinterher. Zwar misst die AGF seit dem 1. August 2012 immerhin auch IPTV-Quoten, darunter fallen zum Beispiel solche Angebote wie Entertain. Rund 1,5 Millionen Haushalte nutzen dieses internetbasierte Streamingsystem, um Fernsehen zu schauen.
Abrufbasierter Konsum – also vor allem Video on Demand und digitale Videorekorder – wird damit aber immer noch nicht berücksichtigt. Die Weichen für das neue Messverfahren wurden jedoch bereits gestellt. „Durch die Digitalisierung des Fernsehens, zusätzliche Verbreitungsplattformen und die Möglichkeit, zeitautonom bewegte Bilder im Netz zu nutzen, ergeben sich neue Möglichkeiten für den Nutzer, die weit über die des klassischen Fernseh-Broadcastmodells hinausgehen. Der nächste Schritt ist nun, einheitliche Standards zur Leistungsbewertung von TV und Online-Bewegtbild auszuweisen“, so Martin Berthoud, Vorstandsvorsitzender der AGF. Im vergangenen Jahr ergänzte die AGF ihre Quoten-Messmethode bereits durch eine neue Technologie, um künftig auch Online- und mobile Abrufe von TV-Sendungen in die Zahlen einzubeziehen. Eine erste Testphase zur Messung dieses Video-Streamings soll noch im Frühjahr starten. Bis 2015 will man schließlich auch mobile Nutzung erfassen.
Wie diese neuen Daten die Fernsehlandschaft verändern, bleibt Spekulation. Fest steht nur: Sie wird sich verändern, vor allem mit zunehmender Nutzung dieser Abruf-Angebote. Ein Argument, das bei Machern und Zuschauern bei Misserfolg einer Sendung sehr gern herangeführt wird, zieht in Zukunft dann wohl nicht mehr: „Der Sendeplatz war schuld“.