Hingeschaut

RTL II-«Jugendreport»: Erfreulich seriös

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Der Privatsender überraschte sein Publikum am Mittwochabend mit einer überraschend sehenswerten und vielschichtigen Reportage über Deutschlands Jugend.

Woran denken Sie, wenn Sie sich einen typischen Jugendlichen im Jahr 2013 vors geistige Auge führen? An den mit einem leeren Blick auf seinen Bildschirm glotzenden Nerd ohne Freunde und sonstige soziale Kontakte? An den dauerbreiten Trunkenbold, der sich mehrmals die Woche auf Flatrate-Partys die Kante gibt? An die oberflächliche Tussi, deren einziges Lebensziel darin besteht, möglichst große Brustimplantate zu besitzen? Mit all diesen auch gerne medial inszenierten Klischee-Teenagern setzte sich der am Mittwochabend zur besten Sendezeit auf RTL II ausgestrahlte «Jugendreport» auseinander - und schaffte es doch weitgehend, ein authentisches und vielschichtiges Bild des jungen Menschen von heute zu entwerfen.

Dass diese Reportage nicht nur zur simplen Aneinanderreihung billigster Klischees dient, offenbart sich dem Zuschauer relativ schnell. Die ersten Minuten des Formats bestehen beinahe ausschließlich aus Statistiken und demografischen Daten, zu welchen sich die Entwickler der Studie von der Universität Bielefeld äußern. Fast schon wie ein Stilbruch wirken nach diesen fast schon von Inhalten überladenen ersten Minuten die Bezeichnungen der vier Kategorien, in denen das Verhalten der Jugendlichen in der Folge untersucht werden soll: "Generation @", "Generation Aggro", "Generation Porno" und "Generation Pleite" klingt nicht nur ausnahmslos bescheuert und gewollt cool, es klingt auch nach dem Duktus einer typisch undifferenzierten und platten Dokusoap, wie sie gerade auf dem Privatsender zu Hauf zu finden ist.

Doch hier trügt abermals der Schein, denn vor allem "Generation @" überzeugt mit ungeahnter Tiefe: Minutenlang strahlt man den Vortrag eines inzwischen wieder zu Selbstbewusstsein gelangten ehemaligen Mobbingopfers vor einer Schulklasse, der sehr anschaulich gestaltet ist und damit auch dem Zuschauer sehr authentisch illustriert, wie man sich in einer derartigen Situation fühlt. Von einer übertriebenen Inszenierung sehen die Macher hier zum Glück nicht minder ab als in weiten Teilen der darauf folgenden knappen 90 Minuten. Neben weiteren Statistiken zum Online-Verhalten der Deutschen folgen ein Interview mit den Youtube-Stars Apecrime sowie ein Besuch bei einem Spielsüchtigen. Vor allem bei letzterem hätte es zahlreiche Möglichkeiten gegeben, ihn ins Lächerliche zu ziehen oder ihn nicht minder verlogen als tragischen Schicksalsfall darzustellen, dem das Fernsehteam in all seiner angeborenen Gutmütigkeit aus dem Schlamassel hilft - doch von all dem sieht man zum Glück ab.

Leider sinkt danach das Niveau etwas, denn bei der Kategorie "Generation Aggro" lässt man es sich bedauerlicherweise nicht nehmen, zahlreiche Internet-Videos von prügelnden Jugendlichen zu zeigen. Hier erzeugt die Reportage doch eher das gewohnte Bild des Prügel-Teens, zumal sich die statistische Einordnung auf ein loses "die Gewaltrate ist zuletzt zurückgegangen, dafür nahm die Brutalität zu" beschränkt. Auch der Besuch des Kamerateams in einer Klinik zeigt einen zusammengeschlagenen Patienten so exzessiv, dass man sich des Gefühls nicht erwehren kann, man wolle sich doch am Schicksal dieses Mannes weiden.

Auch mit den Kategorien "Porno" und "Pleite" kommt man nicht mehr ganz an das Niveau der ersten Minuten heran, schafft es allerdings weiterhin überwiegend, ein differenziertes Bild zu entwerfen und nicht "die Jugend" als homogene Gruppe darzustellen, in der jeder nur ans Knattern und Verprassen des Geldes denkt. Etwas enttäuschend kommt jedoch ein Straßenquiz unter dem Titel "Porno vs. Politik" daher, das letztlich herausfindet, dass Gina-Lisa Lohfink und Micaela Schäfer leichter auf einem Foto erkannt werden als Hillary Clinton oder Kristina Schröder. Da gleichzeitig jedoch Vivian Schmitt klar den Kürzeren gegen Ursula von der Leyen zieht, geht die Umfrage letztendlich beinahe unentschieden aus - der Sprecher spricht jedoch von einer "deutlich höheren Bekanntheit der Pornostars".

Doch derartige Dummheiten halten sich über die mit knapp zwei Stunden doch recht üppig bemessene Laufzeit in relativ engen Grenzen, sodass der «Jugendreport» alles in allem angenehm und sogar erkenntnisreich ist. Man führt zahlreiche Interviews mit völlig unterschiedlichen jungen Menschen, nimmt deren Aussagen sogar dann einigermaßen ernst, wenn sie davon sprechen, dass ihr größter Traum in einer Brust-OP bestehe und überlässt es somit dem Zuschauer, das Gesagte kritisch zu hinterfragen (oder einfach auch stehen zu lassen). Die vielleicht sogar schon fast zu häufig eingesetzten Statistiken werden hin und wieder von Experten eingeordnet und haben somit auch einen gewissen Mehrwert für die Zuschauer. Das Format ist nicht angestaubt, übertrieben intellektuell, aber gleichzeitig halt auch bei weitem nicht so platt und übertrieben inszeniert wie viele andere (Pseudo-)Realität auf dem Sender. Somit stellt es eine nahezu perfekte, da gleichermaßen unterhaltsame wie lehrreiche Reportage dar, die man sich auch und vor allem mit einem aktivierten Hirn ansehen kann.

Mehr zum Thema... Jugendreport TV-Sender RTL II
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