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1990 gestartet, gilt die «Mini Playback Show» als Pionier großer Kinder-Gesangsformate im deutschen Fernsehen. Acht Jahre lang wurde sie beim Marktführer RTL nahezu wöchentlich ausgestrahlt, mit lange Zeit hervorragenden Einschaltquoten von bis zu vier Millionen Zuschauern. Neben der Kostümwahl und dem eigentlichen Auftritt war auch das Jury-Urteil ein Element der Sendung – kritische Töne wurden jedoch kaum angestimmt. Ebenso unwichtig war die spätere Siegerehrung; zu gewinnen gab es ohnehin nicht viel, und alle Teilnehmer erhielten am Ende Preise. Getreu dem damaligen Motto: „Alle waren Sieger, auch wenn einer nur gewinnen kann…“
Ebenfalls beliebt war zur selben Zeit der nachmittägliche «Kinderquatsch mit Michael», der ab 1991 die ganz jungen Kids ins Rampenlicht stellte. Bei dieser öffentlich-rechtlichen Version des Genres gab es ebenfalls nur Sieger, in Konkurrenz traten die auftretenden Teilnehmer nicht. Weniger ging es hier um die Verkleidung und die Imitation des Idols, sondern eher um das Singen als Ausdruck: Es erklangen auch die echten Live-Gesänge der Kids und kein Playback vom Band.
Naheliegend ist es, dass solche großen TV-Erfolge in der heutigen Castingshow-Ära zu kopieren versucht werden. Am kommenden Freitag startet Sat.1 den nächsten Versuch, mit einer Kinderversion erfolgreichen Castingshow «The Voice». In den Niederlanden, dem Ursprungsland des Franchises, war das Format zuletzt unangefochtener Marktführer mit bis zu drei Millionen Zuschauern. Damit blieb man zwar hinter den Werten des Originals zurück, dennoch etablierte sich der Ableger auf Anhieb. Sat.1 dürfte mit ähnlichen Resultaten mehr als zufrieden sein.
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«The Voice Kids» steht also in einer langen Fernsehtradition. Und doch singt aber bei den zeitgemäßen Versionen der Kinder-Gesangsformate ein schmaler Grat mit: Trotz aller Jury-Urteile, die natürlich viel wohlwollender ausfallen als bei erwachsenen Kandidaten, stehen die Kids selbstredend unter einem gewaltigen Druck – sich selbst, dem Studiopublikum und den Millionen Fernsehzuschauern zuhause gegenüber. Sie müssen sich in einem schonungslosen Konkurrenzkampf gegen andere Teilnehmer durchsetzen; das Scheitern fällt in heutigen Formaten deutlicher ins Gewicht als bei früheren Sendungen wie eben jener «Mini Playback Show». Denn das gesamte Konzept baut heute primär auf dem Komparativen und dem „Erreichen der nächsten Runde“ auf, damals ging es vorrangig um die unterhaltsame Performance als solche.
Es stand sogar eher das Gemeinschaftsgefühl im Vordergrund als der Wettkampf – dies zeigen Web-Communitys, in denen sich Teilnehmer der Show heute noch virtuell treffen. Wo Kids heute möglicherweise wochenlang unter medialer Aufmerksamkeit stehen (inklusive Hintergrundberichten wie Homestorys) und die Hoffnung auf eine Karriere als Star geschürt wird, war damals nach 15 Minuten Ruhm alles vorbei, das normale Leben ging weiter. Bei «The Voice Kids» gibt es 15.000 Euro und einen möglichen Plattenvertrag als Gewinn, Marijke Amado überreichte in der «Mini Playback Show» einen Siegerpokal. Welche die gesündere Alternative ist, darf jeder für sich selbst entscheiden.
Nicht zuletzt verinnerlichen auch junge TV-Zuschauer solche Wettkampfgedanken als real, nehmen sich die Sieger als Vorbilder. Mit auf dem Sofa sitzende Eltern, vor allem aber auch die Macher, sollten also sensibel umgehen mit dem, was am Freitag unter dem Titel «The Voice Kids» zu sehen ist. Auch wenn die – gern gegönnte – Unterhaltung natürlich im Vordergrund steht.