Sonntagsfragen

Goyer: 'Ich bin ein großer Anhänger der Lehren Freuds und Jungs'

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Von Traumata, modernen Einflüssen und dem wahren Leonardo da Vinci: David S. Goyer, der Co-Autor von «Batman Begins», «The Dark Knight» und «The Dark Knight Rises», spricht im Roundtable-Interview über seine neue Serie «Da Vinci's Demons».

Zur Person David S. Goyer

Der 1965 geborene Comicliebhaber wirkte am Drehbuch des Sci-Fi-Geheimtipps «Dark City» mit und schuf gemeinsam mit Christopher & Jonathan Nolan die immens erfolgreiche Batman-Trilogie aus den Jahren 2005, 2008 und 2012. Als Kinoregisseur fand Goyer, der auch zahlreiche Comics verfasste, mit «Blade: Trinity» und «Unsichtbar – Zwischen zwei Welten» bislang weniger Gegenliebe, dafür erhielt er großes Ansehen mit den Videospiel-Bestsellern «Call of Duty: Black Ops I & II».
Mister Goyer, Sie scheinen von Figuren fasziniert zu sein, die stark durch ihre Herkunft geprägt sind und um die bereits ein großes (pop)kulturelles Erbe gesponnen wurde. Ihre Interpretation da Vincis scheint da eine perfekte Ergänzung darzustellen …

Definitiv. Da Vinci hatte stets eine Last auf seinen Schultern ruhen, weil er ein uneheliches Kind war. Dieser Frust ist in vielen seiner Tagebucheinträgen erkenntlich, in denen er über seine persönlichen Probleme mit seiner Herkunft schreibt sowie sich über die gesellschaftlichen Hürden erbost, die sich ihm als uneheliches Kind in den Weg stellten. Man erkennt seine Wut jedoch am besten in einem Brief, den er an seinen Vater richtete, und in welchem sich da Vinci einer sehr verschmutzten Wortwahl bediente. Diese Schimpftirade ist sehr räudig; sie ist so krass, dass wir sie in unserer Serie auf Wunsch der Produzenten enorm zurückschrauben mussten. Da Vinci hatte darüber hinaus auch eine diffizile Beziehung zu seinen Halbbrüdern, die ehelich geboren wurden. Kurzum: Ja, da Vincis Persönlichkeit, Denken und Handeln wurden zweifelsohne stark von seiner Herkunft beeinflusst, denn er versuchte stets, die ihm daher auferlegten Grenzen zu überwinden.

Wie hat die Recherchearbeit zur Serie Ihre Auffassung da Vincis verändert?

Ich denke, mir ging es zunächst so wie vielen: Ich sah ihn nicht als gewöhnlichen Menschen, sondern als eine übermenschliche Ikone, als bedachtvolles und besonnenes Genie mit wallendem Bart. Aber sobald ich mich von diesem festgefahrenen Bild da Vincis löste und mit der realen Person beschäftigte, erkannte ich den Menschen hinter dem unnahbaren Genie. Da Vinci hatte Unmengen von Makel hinter dem perfekten Bild, das wir von ihm haben. Allein schon die zahlreichen Wuteinträge in seinem Tagebuch – in dem sich neben Skizzen bahnbrechender Erfindungen auch so banale Dinge wie Einkaufslisten befinden. Er hasste Michelangelo abgrundtief und er war trotz seiner immensen Begabung ein völlig verunsicherter Mensch, der stets wissen wollte, was andere von ihm hielten. Und dennoch, obwohl er seinen Mitmenschen gefallen wollte, kümmerte er sich manchmal einen Dreck darum, wie ihn seine Auftraggeber sahen. Manchmal nahm er Porträtwünsche an, begann mit dem Bild und hatte dann Ideen, die er stattdessen verfolgte, weshalb er wochenlang nicht mehr aufkreuzte. Er war ein sehr widersprüchlicher Mensch.

Denken Sie, dass Ihre Darstellung eines jungen, ungezähmten da Vinci einigen Zuschauern missfallen wird?

Ja, mit Sicherheit. Da Vinci wird gemeinhin als diese über uns allen stehende, weise, nahezu magische, Merlin-artige Figur betrachtet – und manche Zuschauer wollen von diesem Bild nicht loslassen und werden sich deswegen an «Da Vinci's Demons» reiben. So etwas bin ich gewohnt, es war schon bei Batman so und wird diesen Sommer bei Superman sicherlich nicht anders sein.

Wie realitätsorientiert ist Ihre Serie eigentlich, wie sehr basiert sie auf belegbaren Anekdoten und wie viel wurde dramaturgisch verändert?

Nun, ich habe ja nie verleugnet, dass diese Serie zum Teil auch ein fiktionales Produkt ist, ich habe sie stets als „Historic Fantasy“ bezeichnet. Es sind zirka zwei Drittel, die der Wahrheit entsprechen, weiteres haben wir auf Grundlage des Reellen weitergesponnen oder zu Gunsten der Dramaturgie verschoben. Da Vinci hatte sehr viele tolle Ideen, nur kam er oftmals nicht dazu, diese Gerätschaften zu bauen. Wir lassen unseren da Vinci zum Beispiel noch im Laufe von Staffel eins sein Maschinengewehr und seinen Tauchanzug bauen, und sollten wir so glücklich sein, eine zweite Staffel zu erhalten, so werden wir gewiss auch zu da Vincis U-Boot gelangen …

Können Sie etwas genauer detaillieren, wie wichtig historische Akkurarität beim Verwirklichen von «Da Vinci's Demons» war? Wie genau orientierten Sie sich an den besagten Tagebüchern da Vincis?

Wir haben wirklich sehr viel recherchiert und sehr viele Experten über da Vinci und die Renaissance-Ära zu Rate gezogen. Wir wissen exakt, wo wir uns zwecks einer fernsehtauglicheren Geschichte von da Vincis realer Biographie und den tatsächlichen historischen Ereignissen entfernen. Und dennoch halten wir uns hinsichtlich der Freiheiten zurück: Wir raffen Begebenheiten zusammen, die sich innerhalb von fünf oder sechs Monaten ereigneten. Serien wie «Die Borgias» oder «Die Tudors» lassen innerhalb weniger Tage Dinge passieren, die in Realität bis zu 20 Jahre voneinander entfernt geschehen sind. Aber ja: Wenn man jemand ist, der genau mitschreibt, wann was wo passiert ist und Probleme mit ein paar veränderten Schauplätzen oder Kalenderdaten hat, für den ist diese Serie nicht gedacht. Es war auch nie unsere Absicht, dieses Publikum anzusprechen. Wir spielen ein wenig mit der Geschichte, wenngleich nicht ganz so extrem wie Baz Luhrmann in «Moulin Rouge» – man kann uns vielleicht mit Guy Ritchies «Sherlock Holmes» vergleichen.

Die Pilotfolge beinhaltet einige Parallelen zu «Batman Begins», allem voran mit dem thematischen Motiv der verdrängten Erinnerungen. Da dies ein wiederkehrendes Thema bei Ihnen ist, stellt sich die Frage, ob Sie einen persönlichen Bezug dazu haben ...

Nein … Ich bin als Kind nie in einen tiefe Höhle gestürzt. [lacht] Doch zu dem Kampf gegen verdrängte Erinnerungen habe ich schon einen persönlichen Bezug, ja. Ich bin ein großer Anhänger der Lehren Freuds und Jungs, aber auch von Joseph Campbell und dessen Untersuchung der Heldenreise in Mythen und Literatur. Aufgrund dessen empfinde ich das Konzept eines Protagonisten, der sich in die finstere Höhle der verdrängten Erinnerung begibt und daraufhin als ein Held und als besserer Mensch wieder aus ihr hervortritt, sehr spannend. «Batman Begins» griff diesen Gedanken auf und «Da Vinci''s Demons» wird im Laufe der ersten Staffel die drei ersten Stufen der Heldenreise nach Campbells Definition umfassen.

Welche modernen Einflüsse sind in Ihrer Version des jungen da Vinci zu finden?

Oh, da sind einzige zu nennen. Tony Stark, Steve Jobs und Bill Gates, aber auch Edward Teller – ein Genie, das die Forschung auf seinem Gebiet maßgeblich voranbrachte, mit der Wasserstoffbombe jedoch eine fatale Erfindung machte und später in seinem Leben vermehrt an Suizid dachte, ähnlich wie da Vinci. Da Vinci betätigte sich als Waffenhersteller – das vergessen viele, wenn sie an ihn denken. Er, dieser überzeugte Humanist und Vegetarier, verdiente mehr mit seinen Kriegswaffen als mit Kunst. Dies ist eine faszinierende Seite an ihm, wie er erkennen musste, dass es eine Sache ist, Waffen zu erfinden und zu konzipieren, und dass es etwas völlig anderes bedeutet, sie im Einsatz zu erleben und mitanzusehen, dass jemand stirbt. Dieser Konflikt war bei da Vinci zu spüren und kehrte später auch bei Einstein oder nunmal Teller zurück.

Sie schildern die Renaissance generell als eine sehr brutale Zeit ...

Was sie ja letztlich auch war, selbst wenn viele Medien sie als so friedlich und freigeistig schildern. Ich las im Vorfeld der Produktion an «Da Vinci's Demons» ein Buch, welches allein aus Dokumenten jener Zeit besteht – aus Briefen, Sitzungsprotokollen, Rechtsprechungen … Damals gab es nahezu täglich Steinigungen und Hängungen, die für die Menschen damals große gesellschaftliche Ereignisse waren, wahre Pflichttermine, bei denen man sich einfach sehen lassen musste. Und dennoch war es gleichzeitig die Geburtsstunde des Humanismus – diesen Zwiespalt versuchen wir in der Serie zu berücksichtigen.

Zu diesem Thema: Haben Sie im Kabelfernsehen mehr Freiheiten als im Kino?

Teils ja, teilweise nicht. Aber wir nähern uns in den USA zweifelsohne einem Goldenen Zeitalter des Fernsehens. Man denke an Serien wie «The Wire», «Breaking Bad» oder «Justified», die vielleicht noch nicht ganz in Europa Fuß fassen konnten, bei uns aber sehr viel bewegt haben – genauso wie «Game of Thrones». Immer mehr Filmschaffende nähern sich dem Fernsehen, so etwa Martin Scorsese mit «Boardwalk Empire», und das liegt auch daran, dass im Kabelfernsehen erzählerisch Dinge möglich sind, die so mitunter nicht im Kino machbar sind.

Sie bleiben ja dennoch dem Kino treu, so startet diesen Sommer «Man of Steel». Können Sie verraten, was uns da erwartet?

Ich darf leider nicht so viel erzählen, wie ich gerne möchte. Aber ich denke, ich kann verraten, dass ich den fertigen Film bereits gesehen habe und sehr zufrieden mit dem Ergebnis bin. Und ich bin mir sicher, dass er unter Fans sehr kontrovers diskutiert wird.

Danach steht eine von ihnen verwirklichte Adaption des «Grafen von Monte Christo» an. In welche Richtung geht dieses Filmprojekt?

Das Skript zu «Der Graf von Monte Christo» stammt nicht von mir, allerdings reizte es mich, den Film zu produzieren, weil der Stil sehr ähnlich zu «Da Vinci's Demons» ist. Der Film wird auf eine geschichtliche Periode zurückblicken, und zwar gefiltert durch die Linse des Modernen.

Was war ausschlaggebend für die Besetzung Tom Rileys als da Vinci?

Wir waren verzweifelt, weil sich der Drehtermin näherte und wir niemanden hatten. Also haben wir notgedrungen Tom genommen. [lacht] Nein, Spaß bei Seite: Er ist ein charismatischer, kluger Bursche und fängt die Aura ein, die uns für unsere Version da Vincis vorschwebte. Er ist ein toller Fund und ich bin mir sicher, dass Tom in fünf bis sechs Jahren ein absoluter Weltstar sein wird.

Wie positioniert sich Ihre Serie hinsichtlich da Vincis Sexualität?

Die Forschung streitet sich in diesem Gesichtspunkt enorm. Manche Gelehrten sagen, da Vinci war bisexuell, andere sind sich sicher, dass er homosexuell war … Nun, in unserer Serie wird es einige Szenen geben, die für konservativere Gemüter sehr kontrovers sein werden. Unser Leonardo ist definitiv nicht rein heterosexuell und ich bin sehr gespannt auf die Reaktionen, die dies nach sich zieht.

Mister Goyer, herzlichen Dank für das interessante Gespräch und noch viel Erfolg mit Ihren Projekten.

Kurz-URL: qmde.de/63177
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