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In jeder der vorerst vier Episoden begleitet ein Kamerateam einen Millionär, der für eine Woche Einblicke in das Leben der sozialen Unterschicht bekommt. In der ersten Folge ist dies der Berliner Internetunternehmer Axel Hesse, der über sieben Tage auf seinen erarbeiteten Luxus verzichten und sich stattdessen in einen sozialen Brennpunkt einquartieren möchte, um sich intensiv mit den Menschen am Rande der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Hierbei gibt er sich zunächst als Arbeitsloser aus, bevor er am Ende seines Experiments seine wahre Identität aufdeckt und den Armen einen Teil seines Vermögens spendet.
Nach einer kurzen Erläuterung des Konzepts wird zunächst der Protagonist recht ausführlich vorgestellt, was hier noch wie eine recht klischeeüberladene Selbstinszenierung wirkt. Hesse darf nicht nur seinen Werdegang ausführlich erläutern, sondern sich sogar ein Stück weit selbst bedauern, als er meint, permanent missverstanden zu werden und kaum "echte" Freunde zu haben - um dann einige Minuten später verschmitzt behaupten zu dürfen, seit Jahren nicht mehr selbst geputzt zu haben. Auch sein Motiv, an diesem Projekt teilzunehmen, um das eigene Glück mit anderen Menschen teilen zu dürfen, tönt wie eine weitere auswendig gelernte Phrase, um sich dem Publikum anzubiedern.
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Ab diesem Moment kann man deutlich an Qualität gewinnen, was weniger dem weiterhin nur begrenzt aktiven Millionär geschuldet ist, als vielmehr den tatkräftigen Helfern der besuchten Projekte. Das erste von dreien ist das "CaFée mit Herz", welches seit Jahren von Margot Glunz geleitet wird und Arbeits- sowie Obdachlosen Nahrung und Kleidung zur Verfügung stellen möchte. Dass man Glunz und ihren Helfern doch durchaus üppige Teile der mit 60 Minuten beinahe schon knapp bemessenen Sendezeit widmet, lässt diese nicht nur zu den eigentlichen Helden der Folge avancieren, sondern erlaubt auch erstmals wirklich differenziertere Einblicke in die Arbeit der zumeist ehrenamtlich aktiven Helfer.
Hesse selbst verteilt hier ein wenig Essen, putzt dort unmotiviert die sanitären Einrichtungen und darf in aller Regelmäßigkeit seinen Respekt für die Leistung der Helfer bekunden, doch wirkt er zumindest auf den Zuschauer eher wie ein weitgehend unbeteiligter Kommentator und Interviewführer denn als Teil der Einrichtung. Ähnlich sieht es auch bei der gemeinnützigen Boxschule und einer sich stark für Obdachlose einsetzenden Frau aus, die der Unternehmer in den Folgetagen noch besucht. Doch hierdurch wird das Format nur bedingt schlechter oder weniger aufschlussreich, da man sich auch hier intensiv mit den von Hesse besuchten Menschen auseinandersetzt und sie nicht nur als Instrument missbraucht, um dem Unternehmer eine Bühne zu geben, sich selbst in Szene zu setzen.
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Auch die inszenatorische Umsetzung ist gelungen und weniger moralisch verwerflich als bei Formaten wie «Schwiegertochter gesucht». Der Sprecher ist zurückhaltend und verzichtet auf ironische Anmerkungen und den gewohnt diskreditierenden Duktus vieler anderer RTL-Reality-Formate, auf billige Gefühlsduselei, Zeitlupen und sonstige Stilmittel verzichtet man ebenfalls und auch mit der Musikauswahl gibt man die Richtung, wie der Betrachter das Gesehene zu bewerten hat, nicht allzu arg vor. Eine kleine Ausnahme stellt diesbezüglich die abschließende Aufklärung dar, die vor allem musikalisch doch deutlich zu dick aufträgt und auch Hesse wieder zu viel Raum für die eigene Zurschaustellung gibt. Die verteilten Spenden von insgesamt rund 20.000 Euro an die Einrichtungen wirken zudem wie die Verteilung von Almosen des großzügigen Großkapitalisten an das einfache Volk.
Alles in allem bietet «Secret Millionaire» zweifelsohne einige Angriffsflächen für Kritik, denn der Hauptakteur dieses Aufeinandertreffens der sozialen Gegensätze ist und bleibt ein ohnehin hervorragend betuchter Unternehmer, der sich ohne den ganz großen Einsatz Aufmerksamkeit, Presse und Sympathien eines Millionenpublikums erspielen kann. Auf der anderen Seite aber findet durch dieses Format auch eine etwas ausführlichere Auseinandersetzung mit Armut und insbesondere der oftmals unterrepräsentierten sozialen Einrichtungen statt und gibt den dort tätigen Menschen eine Stimme, die ihnen in der breiten Öffentlichkeit sonst weitgehend verwehrt bleibt. Wenn dies dann noch auf einem Sendeplatz stattfindet, wo noch vor Wochenfrist «Schwiegertochter gesucht» Fernsehen aus der allerletzten Gosse ablieferte, ist ein solches Format mit Sicherheit eine mehr als deutliche Verbesserung.