Die Kino-Kritiker

«Mama»

von

Zwei verwilderte Schwestern werden von ihrem Onkel aufgenommen – und bringen das pure Grauen mit.

Filmfacts «Mama»

  • Kinostart: 18. April 2013
  • Genre: Horror
  • Laufzeit: 100 Min.
  • FSK: 16
  • Kamera: Antonio Riestra
  • Musik: Fernando Velázquez
  • Autor: Andrés Muschietti, Barbara Muschietti, Neil Cross
  • Regie: Andrés Muschietti
  • Darsteller: Jessica Chastain, Nikolaj Coster-Waldau, Megan Charpentier, Isabelle Nélisse, Daniel Kash
  • OT: «Mama» (Spanien/Kanada 2012)
Das Internet ist mit seinen Videoplattformen aus der heutigen Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Richtig genutzt können online veröffentlichte Werke immer häufiger einen Karriereschub bedeuten. Bestes Beispiel dafür dürfte der südkoreanische Musiker Psy sein, der es mit seinem Musikvideo zu „Gangnam Style“ sogar ins Guiness Buch der Rekorde schaffte.

Mittlerweile dienen Portale wie youtube oder vimeo aber auch dazu, frische Ideen und engagierte Filmemacher aufzuspüren. Im Jahr 2009 lud der Uruguayer Fede Alvarez seinen Kurzfilm «Ataque de Pánico!» ins Internet. Vier Jahre später inszenierte er das Remake des Horrorklassikers „Evil Dead“. Ganz ähnlich erging es Andrés Muschietti. Er drehte zusammen mit seiner Schwester den zweieinhalb-minütigen Kurzfilm «Mama». Zwei Minuten, die Muschiettis Leben verändern sollten. Produzent Guillermo del Toro wurde auf das Video aufmerksam, war begeistert und bezeichnete die Arbeit als „eine der Furcht einflößendsten Sequenzen, die ich jemals gesehen habe“. Muschiettis Langversion seiner eigenen Idee funktioniert allerdings nur bedingt.

Zwei Schwestern verschwinden nach dem Tod ihrer Eltern. Erst Jahre später werden sie in einer abgelegenen Hütte scheinbar unversehrt gefunden. Doch nachdem ihr Onkel Lucas (Nikolaj Coster-Waldau) und seine Freundin Annabel (Jessica Chastain) die beiden zu sich nehmen, zeigen die Schwestern beängstigend bizarres Verhalten.

Haben sich Isolation und posttraumatischer Stress in ihre Psyche gegraben? Oder lauert in den Schatten tatsächlich jene unheimliche Gestalt, die sie „Mama“ nennen?

In wenigen Minuten erzeugt der Kurzfilm «Mama» eine unheimlich intensive Stimmung. Es gibt weder eine Hintergrundgeschichte noch Erklärungen für das, was dort vor sich geht. Das braucht es jedoch auch nicht, da die Wirkung erzielt wird und das Szenario den Zuschauer schockiert zurücklässt. Natürlich bedarf es für einen abendfüllenden Spielfilm mehr. Andrés Muschietti und seine Schwester Barbara konzipierten mit Hilfe des Drehbuchautors Neil Cross eine umfassende Handlung, die erklären soll, wie alles gekommen ist.

In der ersten Hälfte gelingt es dem Gespann, eine gruselige Atmosphäre zu schaffen. Dabei ist die immer wieder auftretende Gestalt noch harmlos. Viel mehr sorgen die über die Jahre in der Waldhütte verwilderten Kinder für Angst und Schrecken. Wie Tiere rennen sie auf allen Vieren durch das kleine Haus, springen auf Schränke und Regale. In diesen Momenten ist der Horror allgegenwärtig, weil real und greifbar, auch wenn die Schocks durch laute Geiger auf der Tonspur oft angekündigt werden.

Dass dieses Unbehagen auf den Kinobesucher übergeht, liegt an den beiden Hauptdarstellerinnen. Während man der kleinen Victoria durchaus noch menschliche und sympathische Züge zusprechen kann, sorgt die pausbäckige und wortkarge Lilly für das genaue Gegenteil. Wenn sie theatralisch auf dem Boden sitzt und vor sich hinstarrt, um in der nächsten Sekunde wie von der Tarantel gestochen aufzuspringen, ist Unwohlsein vorprogrammiert. Kinder in Horrorfilmen sind nach wie vor eine effektive Methode, Schauer über den Rücken laufen zu lassen.

Auch wenn die Geschichte wenig Neues bietet, nutzt sie Muschietti anfangs gut für Schockmomente, nicht nur auf der Bildebene. Das laute Weinen im Haus von Onkel Lucas sorgt für Gänsehaut, die Schritte der Kinder und ihr Lachen erzeugen kurzzeitige Spannung. Weniger gelungen dagegen ist die Darstellung der Titelfigur „Mama“, die sich recht früh offenbart. Anders als im Kurzfilm wurde hier auf computergenerierte Effekte gesetzt, die dem Ganzen etwas den Wind aus den Segeln nehmen.

Einen Coup gelang den Machern mit der Besetzung von Jessica Chastain, die in diesem Jahr als beste Schauspielerin im Thriller «Zero Dark Thirty» für den Oscar nominiert war. Chastain trägt nun kurze schwarze Haare, Tattoo, löchrige Jeans und Nietengürtel. Aus ihrer Nebenrolle als Freundin von Onkel Lucas entwickelt sie sich im zweiten Akt zur Hauptperson, die mit den Kindern und den Ereignissen völlig allein gelassen wird. Chastain überzeugt wie schon als taffe CIA-Agentin auch in der Haut einer Rocksängerin, die wesentlich gebrechlicher und ängstlicher ist, als sie zunächst zeigt. Dafür, dass Regisseur Muschietti im Finale die Fäden aus der Hand gleiten, kann sie nichts.

Denn dort geht es plötzlich laut und pompös zu, ein CGI-Gewitter wird losgelassen und die Auflösung fällt sehr unbefriedigend aus. Es entsteht der Eindruck, als wolle man zum Schluss noch einmal dick auftragen und alles vom Stapel lassen, was sich durch den minimalistischen Einsatz im bisherigen Verlauf angestaut hat. Das ist zu viel, zu übertrieben und steht im kompletten Gegensatz zu der bis dahin stimmigen, wenn auch dürftig spannenden Inszenierung. Mit diesem Ende verbaut sich Muschietti sein eigentlich solides Spielfilmdebüt.

«Mama» ist in der ersten Stunde ein effektiver Horrorthriller, der bekannte Zutaten verwendet. Wenn das Böse aber endgültig entfesselt wird und nach Lust und Laune wüten darf, gerät die Inszenierung zu einem lauten, kaum noch nachvollziehbaren Genrefilm, der einmal mehr verdeutlicht: In der Kürze liegt die Würze.

«Mama» startet am 18. April in den deutschen Kinos.

Kurz-URL: qmde.de/63229
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