Die Kino-Kritiker

«Stoker»

von

Von der "Black List" auf die große Leinwand. Von Chan-wook Park kommt ein Film der auf einem Script von «Prison Break»-Star Wentworth Miller beruht.

Filmfacts «Stoker»

  • Kinostart: 9. Mai 2013
  • Genre: Drama, Thriller
  • Laufzeit: 99 Min.
  • FSK: 16
  • Kamera: Chung-hoon Chung
  • Musik: Clint Mansell
  • Autor: Wentworth Miller
  • Regie: Chan-wook Park
  • Darsteller: Mia Wasikowska, Nicole Kidman, Matthew Goode, Phyllis Somerville, Harmony Korine, Lucas Till, Alden Ehrenreich
  • OT: Stoker (USA/UK 2012)
Jedes Jahr wird in den USA die sogenannte „Black List“ veröffentlicht. Darauf stehen herausragende Drehbücher, die nicht verfilmt worden sind. Im Jahr 2010 befand sich auf der Liste ein Skript des Schauspielers Wentworth Miller, der mit «Prison Break» zum Serienstar wurde und mit «Stoker» sein Autorendebüt ablegte.

Einige Jahre später nahm Regisseur Chan-wook Park das Projekt unter seine Fittiche. Auch für Park, der mit seiner «Vengeance»-Trilogie für Aufsehen sorgte, stellte die Arbeit an «Stoker» etwas Neues dar. Zum ersten Mal drehte der Koreaner in englischer Sprache. Seinem Stil blieb er dabei jedoch treu und erschaffte somit einen ruhig inszenierten Familienthriller, bei dem sich das Unheil langsam anschleicht, aber umso heftiger ausfällt.

Nach dem tödlichen Verkehrsunfall ihres Vaters Richard (Dermot Mulroney), taucht Indias (Mia Wasikowska) Onkel Charlie (Matthew Goode), dessen Existenz ihr bis dahin unbekannt war, auf, um bei ihr und ihrer psychisch labilen Mutter (Nicole Kidman) zu leben. Schon kurz nach seinem Einzug vermutet India, dass dieser mysteriöse und charmante Mann Hintergedanken hegt. Doch anstatt darüber empört zu sein oder gar Angst vor ihm zu haben, beginnt die junge Frau, die sonst keine Freunde hat, immer mehr für ihn zu schwärmen.

Park versteht Kino als Kunstform. Seine Einstellungen sind unkonventionell, die Bilder malerisch. In dieser Hinsicht ist «Stoker» ein Filmgemälde. Schon im Prolog lässt sich erkennen, dass der Regisseur weit weg vom typischen Einheitsbrei inszeniert. Während Hauptfigur India erzählt, werden die bewegten Filmaufnahmen immer wieder angehalten. Park spielt mit dem Zuschauer, erweckt aber nie den Eindruck von Effekthascherei.

Jede Szene und jeder Schnitt tragen etwas zur Handlung bei, unterstützen die Gespräche der Protagonisten, geben Hinweise auf deren Eigenschaften. Das ist mitunter so faszinierend anzusehen, dass man in diese Welt ein- und vorerst nicht mehr auftauchen möchte. Park macht aus dem eigentlich hochdramatischen Familienleben ein optisches Kunstwerk, ohne die Intention des Drehbuchs schleifen zu lassen. Geschickt bindet Park auch den Gehörsinn von India auf der Ton- und Bildspur ein. Das Bürsten der Haare entwickelt sich zum Rauschen von Gräsern. Leise Geräusche sind lautstark zu vernehmen. Eine Ebene, die eine wichtige Rolle spielt – nicht nur im Leben des Mädchens.

Die gemächliche Erzählung entfaltet eine intensive Spannung, die bis zum Klimax unaufhörlich steigt. Darauf Einfluss haben neben der Bild- und Tonkomposition vor allem die Darsteller. Mia Wasikowska («Alice im Wunderland») zeigt eine denkwürdige Performance als India Stoker. Die junge Frau ist undurchsichtig und lässt sich keiner Seite zuordnen. Sie hasst ihre psychisch angeknackste Mutter (Nicole Kidman), kann sich aber auch mit Onkel Charlie, der nach dem Tod des Vaters bei den beiden einzieht, nicht anfreunden. Bis zuletzt ist völlig unklar, für welchen Weg sich India entscheidet. Aber egal, welchen sie wählt: er wird brutal.

Jegliche Sympathiepunkte verspielt Matthew Goode («A Single Man», «Watchmen – Die Wächter») als Onkel mit seinem ersten Auftritt. Ein stets lächelnder, dennoch arroganter und kalter Mensch. Er spricht mit warmer und sanfter Stimme, ist zuvorkommend, stets gut gekleidet, fährt ein schickes Auto. Doch er ist ebenso zwielichtig bis ins Mark. Man kann Indias anfängliche Abneigung gegen diesen Mann nur allzu gut nachvollziehen. Genau diese doppelbödige Darstellung von Goode macht seine Figur wahnsinnig interessant. Befindet sich da womöglich doch ein herzensguter Mensch hinter der geleckten Fassade? Oder gaukelt Charles seiner Nichte und ihrer Mutter nur etwas vor? Fragen, die bis zum tragischen Finale unbeantwortet bleiben.

«Stoker» lässt sich Zeit und verzichtet auf Action und Schocks. Stattdessen bringt uns Park die Familie näher und lässt uns an ihrem Leid unmittelbar teilhaben. Und wenn Blut spritzt oder fließt, dann äußerst ästhetisch. Dazu staut die merkwürdige Atmosphäre die Spannung bis zuletzt an. Das Szenario geht unter die Haut und wird dadurch zum wahren Horror – und dazu passt kein Song besser als Lee Hazlewoods und Nancy Sinatras „Summer Wine“.

Millers Geschichte und Chan-wook Parks Regiearbeit bewegen sich weit entfernt von Mainstream-Kino. Wer etwas Geduld mitbringt und sich auf die Stokers einlässt, wird mit prächtigen Impressionen, einer klasse agierenden Besetzung und einer tollen Regie belohnt. Parks Einstand in Hollywood ist rundum gelungen – und Millers hervorragendes Buch zurecht von der Schwarzen Liste verschwunden.

«Stoker» startet am 9. Mai in den deutschen Kinos.

Kurz-URL: qmde.de/63661
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