Hinter den Kulissen
- Originalmusik: Craig Armstrong
- Kamera: Simon Duggan
- Schnitt: Jason Balantine, Jonathan Redmond & Matt Villa
- Szenenbild: Damien Drew, Ian Gracie & Michael Turner
- Set-Dekoration: Beverley Dunn
Generell maßt sich «Der große Gatsby» auf dem ersten Blick wie ein Hybrid aus «Romeo + Julia» und «Moulin Rouge» an: Wie in beiden Filmen arbeitet der Autor, Produzent und Regisseur mit zahlreichen Anachronismen. Wie in «Romeo + Julia» verwandelt er ein Stück Standardliteratur, das einigen heutigen Lesern trocken vorkommen könnte, in einen Bilderrausch, der die ursprüngliche Wirkung zeitgemäß wiederbeleben soll. Und die Partys des großen Gatsby könnten locker aus «Moulin Rouge» entsprungen sein. Zudem entnimmt Luhrmann dem achtfach Oscar-nominierten Musical die Rahmengeschichte eines verzweifelten, am Boden zerstörten Autors, der seine Erlebnisse an der Schreibmaschine sitzend verarbeitet – und so den Kinozuschauern die Filmhandlung erzählt.
Die Handlung von «Der große Gatsby» kommt ins Rollen, als der wenig gefragte und schüchterne Schriftsteller Nick Carraway (Tobey Maguire) 1922 vom mittleren Westen der USA nach New York zieht, um sich dort eine bessere Existenz aufzubauen. Er heuert an der Börse an und kauft sich ein kleines Haus auf Long Island, direkt im Schatten des Gatsby-Anwesens. Der geheimnisvolle Millionär Jay Gatsby (Leonardo DiCaprio) gibt dort regelmäßig die prächtigsten Partys der Westküste, auf der sich die Schönen, die Reichen, die Träumer und auch prahlerische Gangster Seite an Seite eine Nacht in Saus und Braus gönnen. Als Nick eines Abends seine Cousine Daisy (Carey Mulligan) und deren Ehemann Tom (Joel Edgerton) besucht, erfährt er durch eine gemeinsame Freundin des Paares (Elizabeth Debicki), dass Tom seine Gattin mit einer Mätresse aus dem Arbeiterviertel betrügt. Einige Zeit später lernt Nick dann endlich Gatsby und das ihn umgebende Nachtleben kennen – der joviale Mittelpunkt ungezählter Gerüchte bietet Nick seine Freundschaft an und lässt ihn an seinem Alltag teilhaben. Im Gegenzug erhofft sich der große Gatsby, dass Nick ein Stelldichein mit Daisy arrangiert. Angesichts Nicks Zustand, während er die Geschehnisse des Sommers 1922 rekapituliert, lässt sich erahnen, dass sein Ausflug in die illusorische Welt des Glamours eine dunkle Wende nehmen sollte ...
Der gewiss längst zum Patent angemeldete Exzess Luhrmanns kommt, wenig überraschend, am stärksten in der Illustration des losgelösten Trubels während Gatsbys Feiern zur Geltung. Produktions- und Kostümdesignerin Catherine Martin, zweifach Oscar-prämiert für «Moulin Rouge», verzichtet ein weiteres Mal auf jeglichen Minimalismus und lässt es an allen Ecken glänzen, glitzern, glittern und schimmern. Das bedeutet: Aufwändige Kostüme vor einem bombastischen Set, in dem mit Konfetti um sich geschmissen wird und in prägnanten Momenten auch Feuerwerk das Bild erhellt. Somit versetzen Luhrmann und Martin das Publikum effektvoll in die Lage des staunenden, vom Wirbel mitgerissenen Nick Carraway, ehe ein enigmatischer DiCaprio in der Titelrolle das Leinwandbild betritt und die eigentliche Kerngeschichte des Bilderreigen mit sich bringt, nämlich Gatsbys Bestreben, Daisys Herz zu gewinnen.
DiCaprio chargiert mit gelassenem Charme zwischen komödiantischen Einlagen, in denen der millionenschwere Lebemann wie ein verschüchterter Schuljunge herum druckst, hoffnungsvoller Romantik und einschüchternder Wut – durch den gekünstelten Tonfall des Films kann er die Figur dennoch nicht über ihre thematische Konzeption hinaus zum Leben erwecken. Immerhin hinterlässt der Academy-Award-nominierte Darsteller einen bleibenden Eindruck, während Maguire daran scheitert, dem eh schon unauffälligen Ich-Erzähler der Romanvorlage denkwürdige Eigenschaften zu verleihen.
Generell rückt, von DiCaprio abgesehen, das Ensemble deutlich in den Hintergrund. Carey Mulligan bekommt gerade genügend Leinwandzeit spendiert, um zu verdeutlichen, dass Daisy eine verletzte Seele ist, Josh Edgerton gelingt es, Daisys Ehemann gleichermaßen unsympathisch wie nachvollziehbar zu zeichnen und damit wäre die Wirkung der Darsteller bereits ausgereizt. Da Fitzgeralds Werk unter anderem auch deshalb die Jahrzehnte überstand und bis heute gelesen und besprochen wird, weil die handelnden Figuren in mannigfaltiger Weise ausgelegt werden können, erzeugt die Charakterdarstellung in Luhrmanns «Der große Gatsby» einen faden Beigeschmack.
Während die Figurenzeichnung und die Schauspielleistungen im neuen Film des visionären Filmemachers durch die überbordende Inszenierung an den Rand gedrängt werden, stellen die zentralen Themen des Romanklassikers einen Aspekt dar, den Luhrmann stimmig mit seinem Stil vereint. Wenn im Hause Gatsby der Jubel und die Heiterkeit enden, versinnbildlichen zum Beispiel sehnsuchtsvolle, nebelgetränkte Aufnahmen eines fernen, konstant aufblinkenden grünen Lichts den ursprünglichen Hoffnungsschimmer Gatsbys und somit auch den eigentlichen Gedanken hinter dem Amerikanischen Traum sowie seine Unerreichbarkeit. Diese Bilder sind es auch, die gemeinsam mit den Partysequenzen Luhrmanns Entscheidung rechtfertigen, «Der große Gatsby» in 3D zu drehen. Bildeinstellungen, wie jene, in denen Gatsby verträumt am Steg seines Anwesens steht oder sich endlich eine ruhige Minute in seinem Pool gönnt, machen mit ihrer gestochen scharfen Qualität und dadurch, dass ihre Plastizität den Symbolcharakter verstärkt, klar, dass 3D mehr sein kann, als ein reines Gimmick für Effektstreifen.
Die Musikauswahl, eine ekstatische Mischung aus mit moderner Wucht neu eingespielten Jazz-Klassikern, aktueller Rapmusik und Covern diverser Pop- und Rocksongs, die ihnen ein Retro-Flair verleihen, passt ebenfalls zur Geschichte sowie zu Luhrmanns visueller Interpretation. Mehr noch als beim Liebesrausch «Moulin Rouge» ist es auch eine Geschmacksfrage, ob einem diese bunte Zusammenstellung zusagt, jedoch vermag es der Soundtrack, durch sein Aufeinandertreffen von Vergangenheit und Gegenwart, Bekanntem und Unbekanntem, die Parallelen zwischen den „Roaring Twenties“ und unserer Zeit zu betonen. Zudem treibt die Klangtapete von «Der große Gatsby» den Mittelteil des Films voran, in dem Luhrmann und sein Co-Autor Craig Pearce damit hadern, ein angemessenes Tempo für den Fortlauf der Handlung zu finden.
Da dass Figurenrepertoire aus oberflächlichen Maulhelden, hoffnungslosen Träumern und oberflächlichen Träumern besteht, glichen zu ausführliche Sequenzen rasch einer Geduldsprobe, was den Autoren auch gewiss ist. Gleichwohl muss das Publikum eine Bindung zu den Zielen der Protagonisten entwickeln, damit sich die Handlungsbögen emotional bezahlt machen – während das erste und letzte Drittel von «Der große Gatsby» den richtigen Mittelweg finden (sofern sich nicht die schleppende Rahmenhandlung aufdrängt), finden sich dazwischen vereinzelte Stolpersteine.
Fazit: Baz Luhrmanns «Der große Gatsby» sieht blendend aus, klingt außergewöhnlich und fängt unter all seinem Schall und Rauch die Themen der literarischen Vorlage auf originelle Weise ein. Der inszenatorische Exzess gelingt dem Drama, das sich beispiellos an der 3D-Technologie bedient, jedoch auf Kosten der Figurenzeichnung und eines straffen Spannungsbogens.