Sechseinhalb Minuten pro Kilometer, sieben Kilometer am Hamburger Elbufer: Am 11. September 2007 hält sich Jogger Tom Buhrow fit, gibt ein Interview für eine Jogging-Website: „Ich war schon immer laufstark, wenn auch kein Jogger. In der Schule habe ich beim Sprint immer besonders gut abgeschnitten“, so der noch fast neue «Tagesthemen»-Moderator. Rund ein Jahr steht Buhrow in diesem September 2007 bereits als Anchorman für die Spätabendnachrichten des Ersten vor der Kamera – im Vergleich mit den 15 Jahren vorher, in denen Ulrich Wickert eine „geruhsame Nacht“ wünschte, ein wahrlich überschaubarer Zeitraum.
Ohne Frühstück, ohne Kaffee macht er sich morgens auf den Weg, so Buhrow. Das Jogging: offenbar sein Munter- und Fitmacher am Morgen für die Aufgaben, die bis in den späten Abend anstehen. Mehrere Marathons ist Buhrow gelaufen, 2008 den letzten im Hamburg. Auf die Idee zum Marathon brachte ihn 1998 Joschka Fischer, damals frischgebackener Außenminister der rot-grünen Koalition. Buhrow war damals ARD-Korrespondent in Washington, interviewte Fischer, auch über den Sport: „Ich gestand ihm, dass mir ein Marathon unerreichbar vorkam und fragte, wie man das nur schaffen könne. Fischer nur supercool: ‚Sie haben zu viel Gewicht‘.“ In dem Moment habe alles begonnen, so Buhrow 2012 in einem Gespräch mit Laufexperte Andreas Butz. Die Herausforderung Marathonlauf stand.
Sieht man es rein sportlich, so muss sich Tom Buhrow nach fünf Jahren wieder auf einen Marathon vorbereiten: Als frisch gewählter WDR-Intendant steht der 54-Jährige vor mehreren schweren Aufgaben, vor den vielleicht herausforderndsten seiner Karriere. Mehr noch: Erstmals seit vielen Jahrzehnten arbeitet Buhrow nun ausschließlich hinter der Kamera, wird vom Journalisten zum Verwalter und zum Entscheider. Rund 4200 feste Mitarbeiter unterstehen ihm künftig, weitere 10000 als freie. 1,4 Milliarden Euro Etat hat er zu verantworten. Der WDR ist die mit Abstand größte Rundfunkanstalt der ARD – umso verantwortungsbewusster muss Buhrow mit seinem neuen Amt umgehen, umso mächtiger ist er in seinem neuen Amt.
Schon in jungen Jahren weckt Tom Buhrow die Herausforderung, er geht aus Austauschschüler in die USA. Nach dem Abitur arbeitet er bei einer Zeitung, studiert in Bonn unter anderem Politikwissenschaften. Anschließend beginnt er als Volontär dort, wo ihn sein beruflicher Weg nun wieder zurückführt: beim WDR. Schnell steigt Buhrow auf, wird Redakteur für das WDR Fernsehen und Chef vom Dienst der «Aktuellen Stunde». 1992 wechselt er zur «Tagesschau»-Redaktion, zwei Jahre später wird er Außenkorrespondent in Washington. 1999 verschlägt es ihn als Korrespondent nach Paris, drei Jahre später geht es zurück in die Staaten, diesmal als Leiter des ARD-Studios in Washington. 2006 dann die Rückkehr nach Deutschland, als neuer «Tagesthemen»-Moderator, vor allem aber: als Nachfolger von Ulrich Wickert.
Schwer hatte es Buhrow damals, in die übergroßen Fußstapfen seines Vorgängers zu treten. Den Quotenrückgang der spätabendlichen Nachrichten konnte auch er zunächst nicht stoppen, 2008 war man bei genau zehn Prozent Marktanteil angekommen. Danach stabilisierten sich die Zahlen, im vergangenen Jahr holten Buhrow und seine Kollegen mit 10,9 Prozent sogar minimal bessere Werte als in den Vorjahren. Dabei aber bleibt das Gefühl, dass der Anchorman Buhrow seiner Sendung nicht den Stempel aufdrücken konnte, wie es beispielsweise Claus Kleber im selben Zeitraum mit dem «heute-journal» getan hat. Akzente setzte Buhrow, doch für viele Zuschauer wirkte er nüchtern, blass. Buhrow passte sich der Sendung an, nicht umgekehrt. Am Anfang sei es ihm um die Vermeidung von Fehlern gegangen, so Buhrow selbst ein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt. Verständlich, wenn der Vorgänger Ulrich Wickert eine Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen so geprägt hat wie fast kein zweiter.
Doch die nüchterne Sachlichkeit wurde Methode bei Tom Buhrow. Der eine mag sagen, er habe sich den Zuschauern nicht angebiedert – er konnte die Zuschauer nicht mitnehmen, schlussfolgert der andere. Was Buhrow schaffte, war eine klare und simple, aber nicht zu vereinfachende Sprache in die «Tagesthemen» zu bringen, nachdem die Verständlichkeit der ARD-Nachrichten immer wieder kritisiert wurde. Die Vereinheitlichung der Sendezeit – zumindest von Montag bis Donnerstag – fiel ebenfalls in seine Ära.
Vielleicht erkannte Tom Buhrow irgendwann selbst, dass ihm als abendlichem Nachrichtenerklärer das gewisse Etwas fehlte, das die Größen des Geschäfts besitzen. Konsequent daher, dass er die Moderationsrolle nun abgibt und sich von der Kamera verabschiedet – künftig muss sich Buhrow nicht mehr den Zuschauern stellen, sondern seinen Mitarbeitern. Denn seine wohl wichtigste Aufgabe als WDR-Intendant wird es in nächster Zeit sein, die richtigen Personalentscheidungen zu treffen. Im nächsten Jahr werden Fernseh- und Hörfunkdirektor neu gewählt, mancher gibt intern bereits inoffizielle Bewerbungen ab. Einvernehmlich zu koordinieren und keine Gräben zu schaffen, das ist Buhrows große Herausforderung. Positiv vielleicht, dass er als externer Bewerber zunächst unvoreingenommen arbeiten kann – negativ, dass er die aktuellen Hierarchien und WDR-Strukturen nur unzureichend kennt.
„Ich bringe die Liebe mit“, satte Buhrow nach seiner Wahl zum Intendanten, und dies nicht ohne Hintergrund: Die Stimmung im WDR soll sich eingetrübt haben, die breite Rationalisierung wirft ihre Schatten voraus. Denn nachdem bereits viel gespart wurde, muss noch mehr gespart werden – besonders die Hörfunkwellen, vor allem WDR 3, haben dies zuletzt zu spüren bekommen. Dabei sollen gleichzeitig die Programme des WDR Fernsehens reformiert werden, vor allem im Unterhaltungsbereich. Hier hat das einstig innovative ARD-Zugpferd keine positiven Akzente mehr setzen können, negative dagegen zuhauf – nicht zuletzt als federführender Sender bei der «Gottschalk live»-Produktion. Buhrow selbst betonte die digitale Revolution als große Herausforderung: das Fernsehen in Zeiten des Internets relevant zu halten, die Programme im Netz sinnvoll aufzubereiten.
Zuletzt schien der WDR unter der scheidenden Intendantin Monika Piel wie erlahmt, vor allem nach ihrem ARD-Vorsitz in den letzten zwei Jahren. Große Baustellen wie die Talkshow-Kritik, den kränkelnden Vorabend, den Streit um die «Tagesschau»-App und die Diskussion um die ARD-Digitalkanäle konnte Piel nicht lösen; dies färbte auch auf den Intendantenposten des WDR ab.
Kurz gesagt: Buhrow hat die Aufgabe, den eingeschlafenen WDR als größten Senderverbund nicht nur zu sanieren, sondern auch inhaltlich und programmatisch wieder an die Sitze aller Rundfunkanstalten zu führen. Vielleicht sieht man den neuen Intendanten dann bald wieder trainieren: am Kölner Rheinufer, für den nächsten Marathon.