Pro von Sidney Schering:
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Weswegen sich jemand für eine Ausweitung des «Berlin – Tag & Nacht»-Serienkosmos aussprechen sollte? „Kurzfristige Gewinnmaximierung“ lautet da das Zauberwort. Denn darüber, ob es mehr Formate im Stil von «Berlin – Tag & Nacht» und «Köln 50667» auf RTL II zu sehen gibt, entscheiden nicht die Hüter des guten Geschmacks, sondern die Senderchefs und die Geschäftsleitung der Produktionsfirma filmpool, die sich dank der von Fernsehbeobachtern und Politikern vehement kritisierten Sendungen seit einigen Monaten in einem Erfolgsrausch wähnen dürfen.
Im Juni standen bis zu 13,9 Prozent Marktanteil in der für die Werbewirtschaft besonders wichtigen Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen für die Soap aus der Bundeshauptstadt zu Buche, der Kölner Ableger ergatterte mit seiner Rekordfolge vom 12. Juni sogar 14,3 Prozent. Mehr als 2,68 Millionen Menschen gaben den chaotischen Protagonisten aus Berlin bei Facebook mit einem „Gefällt mir“ ihren Segen, «Köln 50667» steht kurz davor, immerhin die Marke von 800.000 „Gefällt mir“-Angaben zu durchbrechen. Die Fanbase ist zudem nicht nur groß, sondern auch obsessiv: Eine der Seriendarstellerinnen färbte sich kürzlich die Haare neu – und erntete dafür einen gewaltigen Shitstorm. Keineswegs eine angenehme Sache, aber sie bestätigt, dass ein aufmerksames und diskussionswütiges Publikum gegeben ist.
Als Programmverantwortlicher ist man da nur verführt, diesen Quotenbringer zu melken, so lange es möglich ist. Zumal noch lange nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind: filmpool selbst positioniert seine in Bars spielende Köln-Soap im Vergleich zum Berliner Original als Format für ein „älteres Publikum“. Ein drittes Format, vielleicht mit größerem Fokus auf Geschichten über Schulschwänzer, Schulfeten und Schulstress, ohne sich nur auf Schülerrollen und -zuschauer zu konzentrieren, liegt da als „jüngere“ Alternative sehr nah. Das wird zwar noch mehr Kritik von der Presse ernten – aber wenn man nur auf die Quoten schielt, wie kann man als Senderchef bei dieser Idee nicht erfreut den Daumen heben?
Contra von Manuel Weis:
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Trotzdem gibt es noch Potential – denn der Sendeplatz um 17.00 Uhr, wirtschaftlich auch nicht uninteressant, könnte noch optimaler genutzt werden. Aktuell laufen da zwei, drei Jahre alte Episoden der Urlaubssoap «X-Diaries», die seit Staffel vier ein anderes Konzept verfolgt. Erzählen die derzeit im TV ausgestrahlten Folgen die Geschichten auf Mallorca und Ibiza über fünf Folgen hinweg, weitete filmpool im vergangenen Jahr die Stränge auf 40 Episoden aus – machte also eine kleine Soap im Stil von «Berlin» und «Köln». So soll auch heuer wieder verfahren werden – auf beiden Inseln entstehen derzeit neue Ausgaben, wieder mit festem Cast.
Doch da muss doch mehr gehen als die zuletzt georderten 80 Episoden. Ganz so einfach ist das nicht: filmpool braucht natürlich volle Strände und Clubs, schlafende Sonneninseln empfehlen sich nicht für ein „Love, sun & fun“-Format. Deshalb wird es wohl auch nicht möglich sein, «X-Diaries» mit 250 neuen Folgen pro Jahr on Air zu schicken. Aber mehr als 80 gingen sicherlich. Ziel müsste es sein, Jahresstaffeln mit einer Anzahl von 150 bis 170 Episoden auf die Beine zu stellen. Dafür müsste die Crew sieben, acht Monate lang drehen. Heißt: Theoretisch von März bis September oder Oktober.
Und dann würde man vielleicht nicht – wie mit den Wiederholungen derzeit – sehr schwankend teilweise nur fünf Prozent holen, sondern wieder acht bis neun Prozent – die Klickzahlen online noch gar nicht mitgerechnet. Und eventuell lassen sich ja zu «X-Diaries» Verbindungen mit den beiden nach 18.00 Uhr gezeigten authentischen Soaps herstellen.
«X-Diaries» als längerlaufende Soap, «Köln» und «Berlin» - das wäre ein Vorabend-Line-Up gegen das so manche etablierte Konkurrenz ziemlich alt aussehen würde.