First Look

«Die Sopranos» in Hollywood?

von

Eine gebrochene Familie, ein Auftragsmörder, dunkle Geheimnisse, die Reichen und Skrupellosen: Die neue Showtime-Serie «Ray Donovan» führt uns zu den menschlichen Abgründen im großen Glanze Hollywoods. Unsere Kritik zur Premiere.

Rekordstart

«Ray Donovan» legte am Sonntag in Amerika den besten Serienstart in der Geschichte des Senders Showtime hin. Die Wiederholungen am selben Abend mit einberechnet, kam die Produktion auf 2,22 Millionen Zuseher - zuvor hatte «Homeland» den Rekord gehalten. Gezeigt wird die erste Staffel von «Ray Donovan» im Zusammenspiel mit den finalen Folgen von «Dexter».
Als «Die Sopranos» 1999 im US-Fernsehen starteten, brachen sie mit vielen Traditionen der Serienunterhaltung. Unter anderem mit jener der heilen Familie, dem Hort der Geborgenheit und Heimkehr, der uramerikanischen Lebenseinstellung. Die Sopranos, das erkannten Zuschauer schnell, waren zwar auch eine solche Familie – aber ebenso schnell zeigten sich die ehrlichen Gräben, die großen und kleinen Selbstzweifel von Tony und Carmela, die Versuche der Kinder, der Brandmarkung als Soprano zu entkommen. Und die Skrupellosigkeit, mit der Tony das vermeintlich heile Leben seiner Familie durch Tod und Lügen zu erhalten versucht.

Nun, in der neuen Showtime-Serie «Ray Donovan», kehrt die verruchte Familie zurück ins amerikanische Fernsehen: Die Donovans, das ist zunächst ein Clan aus drei Brüdern, die mehr oder weniger gebrochen ihre Zeit verleben. Ray, der Hauptcharakter, ist eine Art Saubermann für die Schönen und Reichen Hollywoods – er bereinigt ihre Probleme, wenn nötig auch mit Blut. Rays erster Bruder: Alkoholiker, versucht den Ausweg aus der Sucht, die auf traumatische Erfahrungen in der Kindheit zurückzuführen sind. Damals war er von einem Priester misshandelt worden. Rays zweiter Bruder: An Parkinson erkrankt, Besitzer einer Untergrund-Boxhalle. Er versucht sich seine tückische Krankheit aus dem Leib zu prügeln, vergeblich. Eine Schwester hatten die drei auch, sie nahm sich als Jugendliche das Leben.

Über diesen drei Donovans schwebt das Mysterium ihres Vaters Mickey, der 20 Jahre im Gefängnis saß und jetzt entlassen wird. Unbeeindruckt von der Freiheit, selbstsicher und voller Zorn führt ihn sein erster Weg zu besagtem Priester, den er für dessen Taten büßen lässt: Kaum in Freiheit, begeht Mickey das nächste mörderische Verbrechen. Und fliegt dann zu seinen Brüdern nach Los Angeles, wo er weitere alte Rechnungen zu begleichen hat.

„Was immer du glaubst, was passierte: Es war zehnmal schlimmer“, sagt Ray eines Abends zu seiner Frau, nachdem er über die Rückkehr seines Vaters informiert wurde. „Wenn du ihn in die Nähe unserer Familie lässt, dann wird alles, wofür wir gearbeitet haben, alles was wir aufgebaut haben – alles wird vorüber sein. Lass‘ den Wolf nicht durch das Tor, Abby.“ Ein paar Serienminuten später steht dieser Wolf vor dem Tor, er sagt zu Abby: „Ray hasst mich, Abby. Warum, das weiß ich nicht.“ Kurze Zeit später jedenfalls darf Mickey seine Enkelin in die Arme schließen.

Wer lügt hier? Wer ist dieser rätselhafte Familienpatriarch, was hat er vor? Und wer ist Ray, der titelgebende Hauptcharakter, der aber in der Pilotepisode viel mehr verbirgt als offenbart? Auch wenn die Premiere von «Ray Donovan» vollgepackt ist mit Handlung und mit Gesichtern, so tappt der Zuschauer doch irritiert im Dunkeln. Viel wird über Ray und Mickey nicht verraten; vor allem Ray bleibt fast unnahbar, seine Dialoge beschränken sich auf das Nötigste. Er haucht seine Worte in die Kamera, bleibt ständig kontrolliert, andere würden sagen: cool. Dennoch ist Ray Donovan keine Maschine, hat seine Prinzipien: Die Familie, manche Weggefährten sind ihm wichtiger als seine Auftraggeber. Als jemand Ray engagiert, um eine Affäre zu beschatten, stellt diese Affäre sich als eine alte Freundin Rays heraus. Die beiden reden miteinander, haben Sex. Der Auftrag gerät in diesen Momenten in den Hintergrund – genauso wie die Familie, vor allem Frau Abby, die später von Rays Seitensprung hört.

Wenn es an der ersten Folge von «Ray Donovan» etwas zu kritisieren gibt, dann an ihrer Handlungsdichte. Zu viele Charaktere und ihre Geschichten werden eingeführt, dabei teilweise völlig uninspiriert und dramaturgisch vermeintlich sinnlos: Gegen Mitte der Folge erfährt Ray, dass er einen weiteren Halbbruder hat, der kurze Zeit später auf der Bildfläche erscheint, sonst aber keine Relevanz für die Handlung hat. Als Ray später seiner Frau von diesem Halbbruder erzählt, fangen beide herzlich an zu lachen – als wenn sie wüssten, wie dumm diese Story um einen Halbbruder als irrelevantem deus ex machina ist. Übrigens ist dies die einzige nennenswerte Szene, in der jener unnahbare Ray Donovan eine ausgeprägte menschliche Emotion zeigt.

Auch abgesehen davon wirken die zahlreichen Offenbarungen in der Premiere wie verschossenes Pulver: Sollte die Story um einen geheimnisvollen Halbbruder ernst gemeint sein, so hätte sie sich dramaturgisch besser im Laufe der Staffel einbauen lassen – als größerer Handlungsstrang. Gleiches gilt für die verstorbene Schwester, die bei Ray noch immer Albträume auslöst und von welcher der Zuschauer nebenbei erfährt. Oder Rays Kindern, die langsam merken, dass sie in einer gebrochenen, kriminellen Familie aufwachsen. Im offensichtlichen Vorbild «Die Sopranos» wurden solche Geschichten taktvoller entwickelt und gemächlich in die Handlung eingebaut. Man darf gespannt sein, ob «Ray Donovan» nach dieser überladenen Auftaktfolge sein Tempo finden wird.

Davon abgesehen bietet sich dem Zuschauer glanzvolle Unterhaltung. Zwei Aufträge, die Ray innerhalb der ersten Folge erledigt, offenbaren das Bild eines skrupel- und emotionslosen Hollywood: Ray lockt die Medien (Stichwort TMZ) auf eine falsche Fährte, nachdem die Bettgespielin seines Klienten tot aufgefunden wird. Kurze Zeit später findet Ray sich im Büro eines Paramount-Managers wieder, der die Dienste des „Besten in der Stadt“ in Anspruch nehmen will. Solche Fälle – auch wenn sie den Piloten weiter überladen – braucht es, um den Charakter Ray zu entwickeln. Denn er definiert sich über seine Arbeit. Und sie etablieren das Setting des unmenschlichen Hollywood.

Visuell beeindruckt «Ray Donovan», steht sonstigen Hochglanzproduktionen in Nichts nach. Noch stärker wirkt die musikalische Untermalung mit ihrer punktgenauen Dramatik und gleichzeitigen Melancholie. Das anfangs eingespielte berühmte Stück „Hooray for Hollywood“ ist eine Art kritische Parabel auf das, was sich in den darauffolgenden Minuten über dem Zuschauer ergießt. Auch dank der großartigen Schauspieler, allen voran Oscar-Preisträger Jon Voight als Vater Mickey, könnte «Ray Donovan» der nächste große Serien-Hit werden. Die Unsicherheiten bleiben jedoch: Selten hatte eine Premiere so viel Potenzial wie diese, selten aber wurde der Zuschauer so ahnungslos und irritiert zurückgelassen wie hier.

Dieser Artikel erschien zum US-Start der Serie im Juli 2013.

FOX zeigt «Ray Donovan» im Pay-TV ab Montag, 10. Februar immer gegen 21.45 Uhr.

Mehr zum Thema... Die Sopranos Ray Donovan
Kurz-URL: qmde.de/64729
Teile ich auf...
Kontakt
vorheriger ArtikelReparatur-TV?nächster ArtikelFOX beendet «The X Factor»

Optionen

Drucken Merken Leserbrief




E-Mail:

Quotenletter   Mo-Fr, 10 Uhr

Abendausgabe   Mo-Fr, 16 Uhr

Datenschutz-Info

Letzte Meldungen

Werbung

Mehr aus diesem Ressort


Jobs » Vollzeit, Teilzeit, Praktika


Surftipp


Surftipps


Werbung