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Zurück zu Aaryn, zurück zu Episode 14 von «Big Brother»: Als Hausvorsteherin muss sie am Abend (öffentlich!) die Nominerungen entscheiden, und sie sollte sich an ihre geheim getroffenen Abmachungen halten. Das Problem: Da sich die Dealerei herumgesprochen hat, versuchen nun mehrere Bewohner, auf Aaryn einzuwirken, um sich vor einer Nominierung zu schützen. Aaryn merkt, wie schwer es ist, in diesem Spiel zu bestehen: Hält sie die vorherige Abmachung ein, macht sie sich gleich mehrere Feinde und spaltet die Hausgruppen vielleicht endgültig. Entscheidet sie anders, bricht sie ihren Deal – und macht sich wohl damit wohl komplett unglaubwürdig. Aaryn wiegt ab und will die für sie beste Entscheidung treffen, das heißt: die Entscheidung, mit der sie selbst ihr langfristiges ‚Überleben‘ im Haus sichert. Der Druck auf Aaryn wächst, am Ende aber nominiert sie wie im Deal vereinbart. Sie hat ihre Integrität bewahrt, vorerst. Aber ist sie nicht nur eine Marionette im Plan derjenigen, die den Deal mit ihr vereinbart haben?
Zur Abwechslung zeigt «Big Brother» auch mitunter ganz alltägliche Szenen: Yoga-Übungen der Bewohner, Essensgespräche, kleine Liebeleien. Und es gibt Aufgaben, bei denen zwei Gruppen gegeneinander antreten. Die Verlierergruppe wird in der Folgewoche sanktioniert, beispielsweise mit kaltem Duschwasser. Einen prominenten Platz nehmen diese Challenges aber nicht ein, auch wenn sie von prominenten Paten per Videoschalte präsentiert werden. In Folge 14 war Poppy Montgomery («Unforgettable») dabei.
Die nächste Episode, die ich mir anschaue, zeigt die Bewohner nach den Nominierungen – und da Aaryn ihr Wort gehalten hat, bleiben neue Streitereien zunächst aus. Vielmehr gibt es tröstende Worte für die Nominierten und anerkennenden Zuspruch für Aaryn. Und die Gespräche zwischen den Bewohnern beginnen: Wer von den Nominierten soll rausgewählt werden, wer schadet dem Haus am meisten? Als Ziel wird schnell Howard auserkoren, ein Jugendberater. Er hat im Haus eine Allianz geschmiedet, diese ist jedoch offenbar längst gebröckelt.
Zwei weitere konzeptuelle Kniffe erschließen sich in Folge 15: Zunächst gesellt sich zu den zwei Nominierten ein Dritter, der von den Zuschauern bestimmt wird. Und zweitens gibt es eine Veto-Challenge, bei der alle Bewohner mitmachen. Der Gewinner darf einen der drei Nominierten schützen – dieser kann dann nicht mehr aus dem Haus gewählt werden. Die Challenge besteht diesmal daraus, in einem steinzeitlichen Garten Teile einer Skulptur zu finden und diese richtig zusammenzusetzen. Harmlose, aber spaßige Spiele finden sich hier – offenbar setzt «Big Brother» selbst bei den Challenges nicht auf einen Action- oder Ekel-Faktor. Das Spiel selbst gewinnt nicht Howard, sondern Spencer, der ebenfalls auf der Nominierungsliste steht – und sich per erspieltem Veto selbst sichert.
Nach diesen zwei Folgen «Big Brother» ist mein Selbstversuch beendet. Ich erfahre, dass Howard am Ende der nächsten Episode tatsächlich aus dem Haus gewählt wird – und ich ertappe mich dabei, dass ich an dieser Show interessiert bleibe: Daran, wie die Bewohner nominieren; daran, welche neuen Abmachungen getroffen werden; daran, ob Aaryn mit ihrer Taktik weiter erfolgreich ist. Die Faszination, die «Big Brother» seit Jahren in den USA ausübt, erschließt sich mir ein wenig: Es ist nahezu das ursprüngliche Konzept selbst, das auch heute noch funktioniert. Es wurde kaum verwaschen mit konzeptuellen Spielereien, die Dramaturgie und Schlagzeilen produzieren sollen, wie man es in Deutschland versuchte. Nein, es ist tatsächlich ein wenig das ursprüngliche «Big Brother» aus dem Jahr 2000, an das ich mich hier erinnert gefühlt habe.
Einen Nachteil hat die US-Variante durch ihre nicht tägliche Primetime-Ausstrahlung: Der Live-Charakter des Konzepts entfällt fast gänzlich; als Zuschauer hat man nicht das Gefühl, mitzuerleben, was die Bewohner heute oder gerade treiben. Durch die drei Ausstrahlungen pro Woche werden Geschichten gestrafft. Diese Entbehrungen nehme ich aber gern in Kauf dafür, dass hier erstaunlich bodenständiges, leises und klassisches Reality-Fernsehen gezeigt wird – offenbar ohne Hang zum Skandal oder zur Schlagzeile. Vielleicht hätte ich es ahnen können: Schließlich sind auch hierzulande skandalträchtige Reality-Sendungen in den USA viel harmloser, beispielsweise «Das Supertalent» («America’s Got Talent») oder «Deutschland sucht den Superstar» («American Idol»).
Warum gerade deutsches Reality-TV so krawallig ist – und deswegen so in Verruf geraten –, bleibt die Frage, die sich mir nun am ehesten stellt. Wieder einmal. Denn für US-Zuschauer ist ruhiges Reality-Fernsehen wie «Big Brother» wohl normal, für mich als deutschen Zuschauer war es völlig überraschend – aber im positiven Sinne: Dieses Zuschau-Experiment ist auf ganzer Linie geglückt.