360 Grad

Catch-22

von

«Meine Wahl - An einem Tisch mit Peer Steinbrück» war für viele Medienbeobachter der Untergang des Abendlandes. Julian Miller widerspricht.

Joseph Heller hätte es nicht besser schreiben können.
Einerseits sollen die Privatsender politische Inhalte vermitteln – Politik und gesellschaftlich relevante Themen, das findet bei RTL und ProSieben ja gar nicht mehr statt, jammern Politiker, Medienbeobachter, Aktivisten, Publizisten, Öffentlich-Rechtliche, Meediamenschen und Quotenmetis bei jeder sich bietenden Gelegenheit.

Und wenn sie es doch einmal tun – um Gottes Willen, das schadet dem Ruf der Talk-Show, das ist unseriös und infantil und doof, wird von vielen dann weitergejammert. Man meint, als seriöses Polit-Format könne nur durchgehen, was in Berliner Gasometern produziert wird, wo Georg Restle ganz ernst in die Kamera blickt, wo Ingo Zamperoni oder Thomas Roth draufsteht oder zumindest Arnulf Baring zu Gast ist.

Diesen Eindruck bekommt man zumindest, wenn man all die Verrisse der ersten «Meine Wahl»-Ausgabe liest, in deren Rahmen sich RTL-Chefredakteur Peter Kloeppel und interessierte Wähler mit Peer Steinbrück an einen Tisch gesetzt haben.

Natürlich war das eine sehr künstliche Situation – genauso künstlich wie jede andere Fernsehsituation auch. Wohnzimmeratmosphäre statt wuchtiges Gasometer mag nicht jedermanns Geschmack sein; aber hätte besagtes Interview im «Fernsehgarten» stattgefunden, hätte wohl niemand was gesagt.

Das war kein feuilletonistischer intellektueller Knaller, der sprachlich ausgefeilt mit cleverer Koketterie dem feingeistigen Zuschauer serviert wurde. Das war bürgernaher Journalismus, der mitunter die Aufgabe hat, ein tendenziell eher politikfernes Publikum in den politischen Meinungsaustausch miteinzubeziehen. Er ist dann gut gemacht, wenn die Veranstaltung nicht mehr heruntergeblödet und vereinfacht wird als nötig und ohne suggestives Gewäsch auskommt.

Anforderungen, die «Meine Wahl» nahezu unumschränkt erfüllen konnte. Es entstand eine durchaus interessante Atmosphäre, auch wenn die inhaltlichen Erkenntnisse beim regelmäßigen „Zeit“- und „FAZ“-Leser gegen null gegangen sein mögen. Der brauch eine solche Sendung auch nicht.

Sicher: auf manche Gimmicks hätte man verzichten können. Etwa die Einspielfilme über die Wähler, die ziemlich redundant waren und den Gesprächsfluss eher störten. Oder die abschließende Notenvergabe an Peer Steinbrück. Eine Situation, die doch ziemlich peinlich ausfiel und keinerlei Mehrwert bot. Doch der Rest war grundsolide und für den politischen Laien informativ – nicht der Untergang politischer Seriosität, wie in einer Vielzahl der Rezensionen zu lesen war.

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