Dein Kreuz für Deutschland
Dass die Wahlbeteiligung am heutigen Sonntag Experten zufolge erstmalig unter 70 Prozent rutschen könnte, ist ein Armutszeugnis für unsere Demokratie. Wie viele Menschen haben im Laufe der Geschichte ihr Blut vergossen, damit wir heute in einem freien Land leben dürfen? Die Argumentation vieler unzufriedener Bürger, alle Parteien wollten ohnehin nur das Gleiche und täten nichts für das Land, ist schwach. Es gibt zahlreiche Parteien, deren Konzepte teils sehr unterschiedlich sind. Da findet sich für jeden eine Partei mit ausreichend Schnittpunkten.Jeder Bundesbürger darf mit seiner eigenen Stimme das Deutschland der nächsten vier Jahre mitgestalten. Nutzen auch Sie Ihr Recht auf politische Mitbestimmung und gehen Sie an die Urnen. Als überzeugte Anhänger der Demokratie ist es Ihre Pflicht.
ProSieben machte aus der Show keineswegs eine Schunkelveranstaltung. Ganz im Gegenteil. Stefan Raab kam im Laufe der Talkrunde auf viele Themen der „harten Politik“ zu sprechen wie etwa den Soli, die Renten und Leiharbeit. Die rund zwei Stunden boten reichlich Zeit, um die verschiedenen Ideen der Parteien zu relevanten Themen zu erörtern. Der beliebte Vorwurf, Talkshows wären medienwirksame Inszenierungen ohne Mehrwert, ist Raab wahrlich nicht zu machen. Teils sehr konkret und rege diskutierten die Spitzenpolitiker am Samstagabend über ihre Parteiprogramme in der Runde.
Und dennoch: Bei all den vielen Dingen, die Stefan Raab in seinem Talk abarbeitete, blieb die Diskussion fast durchgehend auf verständlichem Niveau und wurde nicht zu kompliziert. Somit dürfte das Format seine Intention erfüllt und in der Tat viele junge (Erst-)Wähler erreicht und informiert haben. Als besonders gute Entscheidung machte sich für ProSieben im Übrigen die Einladung von CDU-Vize Armin Laschet und Linken-Spitzenkandidat Gregor Gysi bezahlt, die die Runde mit ihren teils sehr emotionalen Ausführungen prägten und für den einen oder anderen unterhaltsamen Moment sorgten. Überhaupt bekamen sich die Politiker bei vielen Streitpunkten in die Haare. Wahlkampf kann auch spannend sein!
Während ProSieben also einen qualitativ guten Polit-Talk auf die Bildschirme brachte, wusste RTL am Abend vor der wichtigen Bundestagswahl lediglich lauwarme Unterhaltung zu versenden. Die als „Live-Experiment“ betitelte Show «Wie tickt Deutschland?» stellte sich im Gegensatz zu Stefan Raabs «TV total Bundestagswahl» nämlich als völlige Enttäuschung heraus. Statt mit gesellschaftlich-politischen Themen zu arbeiten, setzte RTL lieber auf Belangloses und Massenkonformes. Als gebe es wenige Stunden vor der Bundestagswahl nichts Wichtigeres als die Kinderfreundlichkeit der Deutschen, die Vereinsliebe von Schalke-Fans, oder – das Beste – die Einrichtung des typisch deutschen Wohnzimmers.
Zwischendrin versuchte RTL die mit drei Stunden viel zu lang geratene Show mit Comedyacts aufzulockern, etwa mit dem eines Uli-Hoeneß-Doubles. Dies stellte sich eher als lahme Idee heraus, die nicht so recht ins Konzept passen wollte und es dem Zuschauer schwer machte, das Format in irgendeiner Weise ernst zu nehmen. Einen besonderen Verdienst an der deutschen TV-Unterhaltung leisteten aber auch die Gäste (u.a. Lena Gercke und Bülent Ceylan) nicht, sie fielen die Show über kaum auf. Überhaupt hätte man gerade von Steffen Hallaschka, der sich mit «stern TV» einen Namen für seriöses Infotainment machte, mehr erwartet als eine irrelevante Rateshow.
Erst am Ende der Sendung versuchte RTL dann doch noch, die Kurve zu kriegen und die Zuschauer zur Teilnahme an einer Wahlumfrage zu bewegen. Dass sich die Verantwortlichen nach drei Stunden softer Unterhaltung mit einer derart seriösen Bitte an die Zuschauer wendeten, passte nicht ins Konzept. Und so blieb nach drei Stunden der Eindruck, dass die Verantwortlichen gar nicht so recht wussten, wo sie mit ihrer Show überhaupt hinwollten. Im Endeffekt war «Wie tickt Deutschland?» nicht mehr als eine 0815-Rateshow wie es sie in den öffentlich-rechtlichen Programmen schon unzählige Male gegeben hat. Mit dem Unterschied, dass sie am Ende noch eine Wahlprognose parat hatte.
Dennoch: Schwächen zeigten sich zum Ende hin auch bei Stefan Raabs «Bundestagswahl». Denn der oben beschriebene Talk füllte lediglich die ersten zwei der auf drei Stunden angelegten Sendung. Eine ganze weitere Stunde widmete ProSieben im Anschluss an die Talkrunde der Präsentation von Telefonvoting-Ergebnissen, die die Zuschauer im Laufe der Show abgegeben hatten. Bundesland für Bundesland schlüsselte ProSieben die Resultate liebevoll auf. Doch gut gemeint ist wie so oft nicht automatisch gut gemacht. Zum einen nahmen die nicht enden wollenden Zahlen der Show eine Menge Dynamik. Zum anderen waren die Ergebnisse ohnehin völlig uninteressant, da grundlegend verzehrt: So wäre nach den «TV total»-Zuschauern die Linke stärkste Kraft im Bundestag – und Gregor Gysi somit der nächste Kanzler. Dass dies absolut irreal ist, erklärte schließlich auch Stefan Raab, der am Ende der Show eine deutlich realistischere und "demographisch geglättete" Umfrage vorlegte. ProSieben wäre besser beraten gewesen, den Zuschauern nur letztere Umfrage vorzustellen.
Doch trotz des zähen Endes geht aus dem Show-Duell vom Samstag ganz eindeutig ProSieben vom Platz. Die Münchener, die sonst ganz stark auf die 14- 29-jährigen Zuschauer schielen, zeigten mit der «TV total Bundestagswahl» eine Sendung, die im privaten Fernsehen eine absolute Einzelerscheinung darstellt. Das verdient Respekt vor ProSieben und Stefan Raab, der sich dieser Aufgabe annahm und sie sehr souverän löste. Einziger Minuspunkt: Die zahlreichen Umfrageveröffentlichungen nahmen der Show gegen Ende ein wenig den Wind aus den Segeln. ProSieben wäre besser beraten gewesen, hätte es den zweiten Teil der Sendung verkürzt.
Als großer Verlierer des Abends muss hingegen «Wie tickt Deutschland?» bezeichnet werden. Die Show enttäuschte auf ganzer Linie, konnte die Erwartungen nicht erfüllen und blieb nicht mehr als lauwarme Unterhaltung. Am Abend vor den Wahlen hätte gerade RTL, das sich neben den öffentlich-rechtlichen Sendern als kompetenter Informationssender sieht, mehr bringen müssen. Für das Jahr 2017 dürfen sich die Kölner ruhig eine große Scheibe von der Konkurrenz abschneiden!