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Dass Network-Serien heutzutage aufwändiger produziert sind, zumeist episodenübergreifende Handlungen aufweisen, actionreich daher kommen können und zudem im vergangenen Jahrzehnt den Weg für noch ambitioniertere Kabelserien ebneten, ist zu einem durchaus beachtliche nTeil einer Serie zu verdanken, die eine TV-Saison später an den Start ging. Im Fernsehjahr 2001/2002 wechselte J. J. Abrams, der Kopf hinter der Dramaserie «Felicity», ins Actionfach und bescherte dem kränkelnden Network ABC «Alias – Die Agentin». Gleichzeitig belebte er ein Konzept wieder, das im US-Fernsehen kurz zuvor noch brach lag: Das serielle Erzählen und das Spinnen einer eigenen, komplexen Mythologie. Der Cliffhanger kehrte in die Flimmerkiste zurück – und wollte sie bald darauf nicht mehr verlassen.
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Das Herzstück der Serie war jedoch von Beginn an die charakterstarke Protagonistin Sydney Bristow, gespielt von Jennifer Garner. Sydney führt in der der Pilotfolge ein Doppelleben als harmlose, gutherzige Studentin und toughe Agentin für die Organisation SD-6, die ihres Wissens nach eine verdeckte Abteilung des CIA ist. Als ihr Verlobter im Auftrage ihres Vorgesetzten Arvin Sloane (Ron Rifkin) ermordet wird, um Sydneys Doppelleben weiterhin geheim zu halten, quittiert sie ihren Dienst. Als wandelndes Sicherheitsrisiko eingestuft, steht nun auch sie selbst auf der Abschussliste, woraufhin sie von ihrem entfremdeten Vater Jack (Victor Garber) beschützt und in ein dunkles Geheimnis eingeweiht wird: SD-6 ist in Wahrheit ein Verbrechersyndikat. Um das Vertrauen von SD-6 wiederzuerlangen und so wieder halbwegs sicher leben zu können, besorgt Sydney kurz danach ein von Sloane begehrtes Artefakt. Zugleich stellt sie sich aber der CIA und bietet an, als Doppelagentin die gefährliche Organisation SD-6 von innen heraus zu sabotieren.
So lebt die auf den Schultern dieser Entwicklungen stehende erste Staffel einerseits von der kinetischen Agentenaction vor exotischen Schauplätzen, andererseits vom facettenreichen Spiel Garners, die als sich verzweifelt durchbeißende Sydney Bristow nicht nur ein Alltagsleben aufrecht erhalten muss, sondern ihren SD-6-Kollegen gegenüber Loyalität zu heucheln hat und für die CIA Informationen erhascht oder zuweilen den Operationen von SD-6 möglichst unauffällig Steine in den Weg legt. Garner gibt der Serie mit ihrer glaubwürdigen Balance aus kämpferischer Agentin und zerrütteter Seele einen emotionalen Ankerpunkt, während die Autoren unter J. J. Abrams in Staffel eins die Fallhöhe in Sachen Action und Doppelmoral von Episode zu Episode intensivieren.
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Die zweite Staffel gab zwar auf durchschnittlich 9,0 Millionen Interessenten nach, dafür stieß mit Gaststar Lena Olin («Chocolat») eine talentierte Actrice zum Ensemble hinzu, die sich direkt in die Herzen der Fans spielte. Olin brachte die Rollen der Verführerin, Mentorin, Vertrauten und hinterhältigen Gegenspielerin unter einen Hut und sorgte so für viele der denkwürdigsten Dialogmomente und Plottwists der gesamten Serie. Zudem schockten die «Alias»-Macher am 26. Januar 2003 direkt im Anschluss an den Super Bowl während der Episode „Phase Eins“ mit einem der spektakulärsten Richtungswechsel, die es bis dahin im US-Fernsehen zu bestaunen gab. Von da an hatten die Autoren einen waghalsigen Balanceakt zu bewältigen: Auf der einen Seite rissen sie mit Wucht einige der Elemente des Formats ein, die Gelegenheitszuschauer davon abhielten, einen Überblick über den Plot zu erlangen. Auf der anderen Seite wollten sie «Alias» nicht zu sehr verwässern, weshalb sie nun rasanten Twists und immer komplexeren Geheimnissen Raum gewährten. Kurzum: Das Konzept wurde übersichtlicher, die Ausführung aber verschachtelter.