Die Kritiker

«Nichts mehr wie vorher»

von  |  Quelle: Inhalt: SAT.1

Trotz kleiner Schwächen liefert Sat.1 mit «Nichts mehr wie vorher» endlich mal wieder eine relevante Eigenproduktion ab.

Inhalt:


Der 16-jährige Daniel Gudermann ist der Hauptverdächtige im Mordfall des elfjährigen Fabian. Sein Fehler: Als die Polizei bei den Gudermanns klingelt und Daniel sprechen will, rennt er davon – und macht sich damit suspekt. Unter den Augen der Nachbarn wird er abgeführt. Ein Mitschüler filmt ihn dabei. Kurz darauf steht das Video von Daniels Verhaftung im Internet. Die Bürger der Kleinstadt haben ihr Urteil gefällt: Daniel muss der Mörder sein. Eine unerträgliche Hetzkampagne gegen ihn, seine Eltern Claudia und Ulli sowie seine Geschwister Emma und Theo beginnt. Soko-Leiter Udo Mathias agiert trotz des Drucks der Bevölkerung und der Medien souverän. Die junge Hauptkommissarin Leonie Ahrens hingegen will Daniel schnell als Täter überführen. Sein Alibi ist geplatzt, und es gibt Spuren vom Tatort an seiner Kleidung. Sie setzt darauf, dass er gesteht.

Während seine Mutter Daniel mit Zähnen und Klauen verteidigt und an seine Unschuld glaubt, wird sein Vater misstrauisch – zumal er auf Daniels Laptop eine Seite für homosexuelle Männer findet. Das bisherige Leben der Familie wird aus den Angeln gehoben. Alles, was bisher galt, wird mit einem Mal in Frage gestellt: der absolute Ausnahmezustand zwischen Zweifel und Überzeugung, Bauchgefühl und scheinbar harten Fakten. Für die Familie ist nichts mehr wie vorher!

Darsteller:


Annette Frier («Danni Lowinski», «Omamamia») ist Claudia Gudermann
Jonas Nay («Homevideo», «König von Deutschland») ist Daniel Gudermann
Bernadette Hehrwagen («Tatort», «Schilf») ist Leonie Ahrens
Thomas Sarbacher («Die Welle», «Du hast es versprochen») ist Udo Matthias
Götz Schubert («Unsere Mütter, unsere Väter», «Spieltrieb») ist Ulli Gudermann
Elisa Schlott («Draußen am See», «Das Wochenende») ist Emma Gudermann

Kritik:


Normalerweise sind die am Dienstagabend ausgestrahlten Sat.1-Produktionen nicht unbedingt dafür bekannt, die Fernsehlandschaft mit tiefschürfenden Themen zu bereichern. Setzt der derzeit strauchelnde Privatsender auf eigens produzierte Filme, besinnt man sich dabei zumeist auf das von den Deutschen verehrte Genre der seichten TV-Komödie oder –Romanze. Nur ab und an traut man sich an gesellschaftsrelevante Themengebiete, wie etwa im Jahre 2011 mit der filmischen Aufarbeitung des Falles Marco Weiss in «Marco W. – 247 Tage im türkischen Gefängnis» oder wagt sich gar an Filmsparten außerhalb von Drama, Komödie und Romanze, etwa wenn man mit «Die Krähen» auf den Spuren von Alfred Hitchcocks «Die Vögel» zu wandern versucht.

Abseits von «Noch ein Wort und ich heirate dich», «Sind denn alle Männer Schweine» und Co. weiß Sat.1 dennoch immer wieder zu überraschen. Das von Oliver Dommenget inszenierte Sozialdrama «Nichts mehr wie vorher» schlägt in dieselbe Kerbe wie die bereits erwähnte Marco-Weiss-Kriminalfall-Aufbereitung, für die Dommenget ebenfalls zuständig war, und bedient sich erneut an einem realen Vorbild. Gleichwohl der Film kein 1:1-Abbild wahrer Geschehnisse sein möchte, nutzt der Regisseur einen Kindsmord in Emden aus dem Jahre 2012, um anhand dessen den psychischen Verfall innerhalb der betroffenen Familie sowie die greifenden, gesellschaftlichen Mechanismen hinter einer solchen Tat zu zeigen. Dafür entwickelte Dommenget eigens Kunstfiguren und bediente sich im weitesten Sinne fiktiver Voraussetzungen, die Ausgangslage blieb jedoch bestehen: «Nichts mehr wie vorher» erzählt von drei Tagen, in denen das Leben einer gutbürgerlichen Familie rigoros auf den Kopf gestellt wird. In diesen drei Tagen wird ein Familienmitglied des sexuellen Missbrauchs und Mordes an einem kleinen Jungen beschuldigt, fristet mehrere Tage in U-Haft und lässt seine Familie mit einem wütenden Mob an Mitbürgern zurück, die in dem – bislang lediglich verdächtigen (!) – Jungen Daniel längst ihren Täter gefunden haben.

Ganz neu ist dieses Themengebiet nicht. Schon oft stellte sich die Fernseh- und Kinowelt der Frage nach Schuld und Unschuld. Dabei gelingt es den Verantwortlichen selten, das Erheben des moralischen Zeigefingers damit zu vereinen, dem Zuschauer einen Spiegel vorzuhalten, hierbei jedoch gleichzeitig die Tücken einer polizeilichen Ermittlung realistisch darzustellen. Allein dieses schwierige Unterfangen auch noch damit zu kombinieren, die Umstände der Tat, der Festnahme und anschließend der gerichtlichen Konsequenzen halbwegs realitätsnah aufzuzeigen, macht derartig gelagerten Stoff zu einem der Anspruchsvollsten, den es zu verfilmen gibt. Internationale Beispiele wie das dänische Drama «Die Jagd» mit Mads Mikkelsen zeigen jedoch, dass so etwas durchaus möglich ist.

«Nichts mehr wie vorher» ist in allen Belangen ein Mammutprojekt, das zu schaukeln den Verantwortlichen jedoch auf den meisten Ebenen gelingt. Dabei deutet der Auftakt noch nicht unbedingt an, dass man es hier mit einem guten bis sehr guten Vertreter seiner Klasse zu tun bekommt. Der Einstieg in den gezeigten Mordfall beginnt sowohl optisch, als auch inszenatorisch auf durchschnittlich deutschem Krimi-Niveau ohne Seele. Ruhige Bilder in einem nichtssagenden Einheitsgrau, das allem Anschein nach die Tristesse der fortan gezeigten eineinhalb Stunden unterstreichen soll, deuten den Mordfall an, sorgen so jedoch dafür, dass der gewünschte Schlag in die Magengrube beim Zuschauer ausbleibt. Mit einer, für die Ausstrahlung um 20:15 Uhr notwendigen, angestrebten Altersfreigabe ab 12, war es den Machern schlicht nicht möglich, drastischere Aufnahmen zu zeigen. Dennoch hätte vor allem dem Anfang ein höheres Tempo gut getan, das sich gut mit einer vielsagenden Tonkulisse hätte kombinieren lassen, um die FSK (oder FSF) somit dennoch nicht vor den Kopf zu stoßen.

Auch die schlichte Einführung in das Familienleben der Gudermanns verläuft schleppend und besinnt sich öfter als nötig auf Klischees, um die Stimmung innerhalb der Familie deutlich zu machen. Das eisige Verhältnis zwischen Vater und Sohn wird lediglich angerissen, sodass die Entwicklung des selbigen über die komplette Laufzeit zeitweise nicht nachzuvollziehen ist. Ebenso verhält es sich mit der Charakterisierung der Ermittler, bei welcher man zwar immer wieder die wahren Umstände des Falles berücksichtigen muss, der jedoch mehr Tiefe gut getan hätte, anstatt die bloße Klassifizierung in „guter Cop und böser Cop“.

Ab dem Moment, in dem die Polizisten mit dem Erscheinen vor der Tür der Gudermanns die eigentliche Handlung einläuten, zieht der Regisseur das Tempo deutlich an. Hier zeichnet sich einmal mehr die Handschrift des Produzenten Michael Sauvignier ab, der in Filmen wie «Böseckendorf» und «Contergan» schon ähnlich vorging. Von der ruhigen, fast beobachtenden Atmosphäre der ersten Minuten ist nun nichts mehr zu spüren. Stattdessen dominiert ab sofort eine weitaus härtere Gangart das Geschehen. Dies kommt vor allem Jonas Nay zugute, der in «Homevideo» bereits brillierte und ab dem Moment der Festnahme an seine Leistung in dem preisgekrönten Familiendrama anknüpft. Dennoch ist seine Performance in «Nichts mehr wie vorher» kleinen Schwankungen unterworfen. Während Nay in Gefühlsausbrüchen wütender oder verzweifelter Natur triumphiert, bleibt er in den ruhigen Momenten ungewohnt blass. Szenerien wie diese, als er wütend auf seinen Vater losgeht oder seine Gefängniszelle bezieht, trösten jedoch über die kleinen Schwächen hinweg.

Annette Frier, die in einem Interview zum Film erklärte, auch im wirklichen Leben gern zu einer „archaischen Mutter“ zu werden, verkörpert diese auch in «Nichts mehr wie vorher» mit Leib und Seele. Mühelos wird sie in den hitzigen Momenten zur kämpfenden Löwin für ihr Kind, wenn sie sich etwa vor die Meute an aufgebrachten Journalisten und Protestanten stellt, und ihr Sprechorgan dabei mehr als einmal aufs Äußerste strapaziert. Weinkrämpfe sowie der stete Versuch, dabei dennoch für ihre anderen Kinder da zu sein, sind von immenser Intensität und die Verzweiflung, die ihr dabei ins Gesicht geschrieben steht, dürfte manch einen zartbesaiteten Zuschauer zu Tränen rühren. Ihr gegenüber steht mit Götz Schubert ein gänzlich anderer Charakter, der mit seinem respekteinflößenden Auftreten einen richtigen Unsympathling verkörpert. Dass vor allem ihm gen Ende die stärksten Momente zuteilwerden, liegt an der Ausrichtung seiner Figur: Der stete Aufbau von einer autoritären Erziehungsperson zu einem überambitionierten und seinem Sohn misstrauenden „Ermittler“ mündet in einen emotionalen Zusammenbruch. In Kombination mit der starken Leistung von Jonas Nay, der in dieser Szene ebenfalls mit von der Partie ist, erreicht «Nichts mehr wie vorher» seinen Höhepunkt somit zwar erst knapp zehn Minuten vor Schluss, dafür jedoch mit voller Wucht.

Abgesehen davon, dass der Auftakt zur Hetzjagd, gegenüber der betroffenen Familie noch recht schleppend und unter Zuhilfenahme üblicher Motive vonstatten geht – durchs Fenster fliegende Steine und beschmierte Wände sind schlicht schon zu oft in diesem Zusammenhang gezeigt worden – ist «Nichts mehr wie vorher» gerade wegen seiner schauspielerischen Leistungen ein Highlight unter den letztjährigen Sat.1-Eigenproduktionen. Die ruhigen Aufnahmen, eingefangen von Georgij Pestov, lassen immer wieder einen Blick in die Seele der jeweiligen Figur zu und während sich die Ruhe in den Aufnahmen anfangs noch als Hindernis für das Erzähltempo entpuppt, tut sie der Story im Laufe der Zeit immer mehr einen Gefallen. Musikalisch bleibt das Drama unauffällig und erhält einen leise untermalenden, jedoch stetig zur Szenerie passenden Instrumentalscore.

Fazit: Trotz kleiner Schwächen in der Inszenierung und einem holprigen Auftakt ist «Nichts mehr wie vorher» ein hervorstechender Beitrag des deutschen Drama-Fernsehfilms.

«Nichts mehr wie vorher» läuft am Dienstag, den 24. September um 20:15 Uhr in Sat.1.

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