Es gibt zahlreiche gute Gründe, weshalb Quentin Tarantino einer der populärsten und am lautesten gefeierten Regisseure unserer Zeit ist. Der Autorenfilmer erschafft denkwürdige Figuren, schreibt knallige Dialoge und hat ein nahezu unschlagbares Gespür bei der Zusammenstellung von Soundtracks. Doch ein nicht zu verachtender Aspekt von Tarantinos Appeal ist auch der facettenreiche Tonfall seiner Filme. Während andere Regisseure eine ganz klar umrissene Zielgruppe ansprechen, lassen sich Tarantinos Werke mittels unterschiedlicher Herangehensweisen goutieren. Tarantino-Filme sind meisterlich umgesetzte B-Movie-Ware und durchdachte Kunst zugleich – was nicht verwundert, bedenkt man, dass Tarantino seine Filme primär für sich selbst dreht. Und der Filmliebhaber Quentin Tarantino verschlingt alles! Von Rache-Exploitation über Kunstporno hin zu Blockbuster und Kinoklassiker.
Der jüngste Beweis für Tarantinos nahezu unmöglich mit nur einem einzigen Label beschreibbaren Filmgeschmack liefert seine kürzlich veröffentlichte, alphabatisch sortierte Hitliste seiner zehn Favoriten des bisherigen Kinojahres:
«Afternoon Delight» (Jill Soloway)
«Before Midnight» (Richard Linklater)
«Blue Jasmine» (Woody Allen)
«Conjuring» (James Wan)
«Das ist das Ende» (Seth Rogen, Evan Goldberg)
«Drinking Buddies» (Joe Swanberg)
«Frances Ha» (Noah Baumbach)
«Gravity» (Alfonso Cuarón)
«Kick-Ass 2» (Jeff Wadlow)
«Lone Ranger» (Gore Verbinski)
Kein Film in Tarantinos Hitliste gleicht dem anderen, und dennoch dürfte es niemanden, der sich nur ein wenig mit dem früheren Videothekar befasst hat, überraschen, dass seine Top Ten so uneinheitlich geraten ist. Gore Verbinskis «Lone Ranger» etwa ist ein wilder Ritt durch die mannigfaltigen Facetten des Westerngenres, eine vom US-Publikum verachtete, von europäischen Kritikern deutlich wärmer aufgenommene, skurrile Hommage im tösenden Blockbuster-Gewand. Und somit Tarantinos eigenem «Django Unchained» gar nicht einmal so unähnlich. Genauso könnte «Kick-Ass 2» ein Werk sein, das von Tarantino produziert und ins Kino gehievt wurde: Blutig, derb und zynisch, zugleich albern und smart. Und «Das ist das Ende» als frivole Dialogkomödie mit übertrieben andersweltlichen Einschlag passt ebenfalls ins Tarantino-Pantheon.
«Gravity» hingegen ist ein mit dem visuellen Prunk eines Blockbusters umgesetzter Arthouse-Thriller, während «Conjuring» als Werk eines Horrorfans mit all seiner Passion einen leichten Weg ins Herzen eines jeden Horroranhängers hat. Ein Tarantino, der in «Inglourious Basterds» und Co. die Ästhetik, den Humor und die Logik des Schundkinos nimmt und mit all seinen Ambitionen zu Oscar-Material formt kann natürlich auch solche Filme abfeiern, während er zugleich die stillen «Drinking Buddies» sowie «Before Midnight» und den neusten Film von Dialogmeister Woody Allen würdigt. Tja, und von welchem Hollywood-Regisseur kann man schon erwarten, dass er ein schwarz-weißes Indie-Drama zu seinen Jahreslieblingen packt?
Natürlich lässt sich über solch subjektive Top Tens diskutieren. Doch wenn jemand wie Tarantino dafür Werbung machen kann, dass es keine Schande ist, seine Sympathien kreuz und quer zu verteilen und dass man Filme wie «Lone Ranger» vielleicht nochmal neu betrachten sollte, dann darf sich die Filmwelt nur glücklich schätzen, dass es Regisseure gibt, die jede Gelegenheit nutzen, Hitlisten zu veröffentlichen ...